# taz.de -- Abschiebung in Göttingen verhindert: Hinterhalt in der Behörde | |
> Statt über seinen Aufenthaltsantrag zu entscheiden, ließ die | |
> Ausländerbehörde einen brasilianischen Studenten festnehmen. Das war | |
> rechtswidrig. | |
Bild: Von hier aus sollte der Student abgeschoben werden: Flughafen Frankfurt | |
GÖTTINGEN taz | Tshiana Nguya lebte ohne Aufenthaltserlaubnis in | |
Niedersachsen. Als die Kongolesin schwanger wurde und keinen Arzt fand, der | |
sie ohne Papiere behandeln wollte, beantragte sie bei der Ausländerbehörde | |
in Hameln einen Krankenschein. Dort wurde sie festgenommen, inhaftiert und | |
abgeschoben. Nach Vergewaltigung und Misshandlungen in einem Gefängnis in | |
Kinshasa starben Mutter und Baby bei der Geburt. Nguya wurde 34 Jahre alt. | |
Das war 2004. Die Geschehnisse lösten damals landesweit Bestürzung aus, die | |
Regierung in Hannover kündigte eine Untersuchung an. Zwölf Jahre später | |
sorgt ein neuer Abschiebefall in Südniedersachsen für Kritik: Der Versuch | |
der Göttinger Ausländerbehörde, einen brasilianischen Studenten gewaltsam | |
auszuweisen, konnte erst in letzter Minute gestoppt werden. | |
Der 30-Jährige, der seit November des vergangenen Jahres mit einer legal in | |
Deutschland lebenden Israelin verheiratet ist, war am 29. August in das Amt | |
bestellt worden – vorgeblich, um über seinen vor acht Monaten gestellten | |
Antrag auf Ehegattennachzug zu befinden oder ihm zumindest zu bescheinigen, | |
dass er ihn gestellt habe. | |
Doch anstelle des Sachbearbeiters wartete die Polizei auf den Mann. Ihr | |
Mandant, berichtet die Rechtsanwältin Silke Schäfer, sei in Handschellen | |
gelegt, von zwei Polizisten und zwei Mitarbeitern des Bundesamtes für | |
Flüchtlinge und Migration abgeführt und zum Flughafen Frankfurt gebracht | |
worden. | |
Weil Unterstützer schnell aktiv wurden, konnte Schäfer vor Abflug der | |
Maschine einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht stellen. Diesem wurde | |
stattgegeben: Über den Antrag des Brasilianers sei noch gar nicht | |
entschieden worden, kritisierte das Gericht und verpflichtete die Stadt | |
Göttingen per einstweiliger Anordnung, dem Mann eine vorläufige Duldung zu | |
erteilen. | |
## „Grob rechtswidrig“ | |
Der Betroffene hatte zum Wintersemester 2008/2009 ein Medizinstudium an der | |
Göttinger Universität begonnen, musste es wegen persönlicher Notlagen aber | |
mehrfach unterbrechen. Zunächst zog er sich während eines Praktikums eine | |
Schnittverletzung zu, die eine teilweise Lähmung seiner Hand zur Folge | |
hatte. Dann starben Vater und Bruder bei einem Unfall in Palästina. | |
Schließlich erkrankte seine damalige Partnerin an Krebs. Weil sich sein | |
psychischer Zustand verschlechterte, musste er eine Therapie beginnen. | |
Wegen mangelnder Fortschritte im Studium lehnte die Ausländerbehörde | |
schließlich eine weitere Aufenthaltserlaubnis ab. Das Verwaltungsgericht | |
gab der Stadt Recht: Da der Mann sein Studium nicht mehr in einem | |
angemessenen Zeitraum beenden könne, habe er keinen Anspruch auf eine | |
weitere Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken. Kurz vor diesem | |
Gerichtsurteil hatte der Student jedoch einen Antrag auf Ehegattennachzug | |
gestellt, um legal hier bleiben zu können. | |
Die Grüne Jugend Göttingen bezeichnet das Vorgehen der Ausländerbehörde – | |
sie liegt im Verantwortungsbereich des Grünen-Ordnungsdezernenten – als | |
„grob rechtswidrig“. Die Festnahme eines Menschen in den Räumen der Stadt | |
sei „ein Unikum in den letzten Jahren“. | |
Auch Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat ist aus den vergangenen | |
Jahren kein Fall bekannt, in dem ein Flüchtling während eines | |
Behördentermins abgeschoben wurde. Er verweist allerdings auf die ebenfalls | |
rechtswidrige Abschiebung einer tschetschenischen Mutter und ihrer beiden | |
Kinder durch den Kreis Gifhorn. Sie waren von zuhause abgeholt worden, | |
obwohl ein Gericht die Ausweisung zuvor untersagt hatte. | |
In Göttingen hat Anwältin Schäfer Strafanzeige gegen einen Sachbearbeiter | |
in der Ausländerbehörde und gegen dessen Vorgesetzten erstattet. Die | |
Anzeige richtet sich auch gegen die beiden Polizisten und Beamten des | |
Bundesamtes. Die Juristin fordert zudem personelle Konsequenzen im Rathaus. | |
Es sei nicht hinzunehmen, dass eine Behörde einen | |
Aufenthaltserlaubnisantrag ignoriere und stattdessen „heimtückisch eine | |
Abschiebung eingeleitet“ habe. | |
Die Behörde selbst räumte inzwischen ein, die Abschiebung sei nicht | |
rechtmäßig gewesen. Es werde künftig bei Terminen in der Ausländerbehörde | |
keine Festnahmen zur Abschiebung mehr geben. | |
9 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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