# taz.de -- Mehr Sicherheit auf dem Oktoberfest: Zaungäste in München | |
> Samstag beginnt die Wiesn. Erstmals ist das Gelände wegen der Sicherheit | |
> komplett eingezäunt. Ist der Charakter des Festes in Gefahr? | |
Bild: Das wird ein Spaß | |
München taz | Es ist viel los auf dem Oktoberfest. Dabei hat es noch gar | |
nicht begonnen. Es wird geklopft, gehämmert, gekärchert, gebohrt, | |
geschraubt, auf der Wirtsbudenstraße gibt es einen Stau. Die Bierzelte | |
stehen schon, die Lebkuchenherzen hängen. Auch der legendäre Schichtl, bei | |
dem man gern mal der „Enthauptung einer lebenden Person auf hell | |
erleuchteter Bühne“ beiwohnt, hat seine Bude schon aufgebaut. „Wunder aller | |
Art“ verspricht er. | |
Weiter oben in der Schaustellerstraße, beim Fahrgeschäft Flipper, hebt ein | |
Kran gerade eine Gondel auf die Karussellscheibe. Im Bierzelt Schottenhamel | |
trinken die Arbeiter Bier aus Flaschen. Draußen steht der Porsche des | |
Küchenchefs neben Lieferwagen und Gabelstaplern. | |
Seit Juli schon ist die Münchner Theresienwiese eine einzige Baustelle. | |
Jetzt sind es nur noch wenige Tage, bis alles fertig sein muss. Am Samstag | |
um Punkt 12 Uhr wird Oberbürgermeister Dieter Reiter im Schottenhamel mit | |
einem Schlegel den Zapfhahn ins erste Fass Bier, den sogenannten Hirschen, | |
schlagen. „Ozapft is“, wird er rufen, und Nachrichtensprecher jedweder | |
nichtbayerischer Provenienz werden sich wieder die Zungen brechen bei dem | |
Versuch, diesen Ausruf im bairischen Idiom nachzusprechen. | |
Die Wiesn. Die Münchner lieben sie oder hassen sie. Oft auch beides. Viele | |
Einheimische kennen diesen Moment, wenn sie etwa an der Haltestelle | |
Theresienwiese die U-Bahn verlassen, sich von der Menschenmenge langsam auf | |
eine der beiden Rolltreppen schieben und von dieser nach oben befördern | |
lassen – hinein in ein Meer aus Lärm, grellen Lichtern, durchwachsenen | |
olfaktorischen Eindrücken und schreienden Menschen. All das eben, was bei | |
normalen Lebewesen den Fluchtinstinkt auslöst. | |
## Die „Oktoberfestung“ | |
In diesem Moment kommt er dann hoch, der Zweifel: Warum bin ich hier? Bei | |
manchem Besucher soll er sich erst nach der ersten Mass Bier wieder | |
verflüchtigt haben. | |
26 Hektar umfasst das Wiesn-Gelände in diesem Jahr, 14 große Bierzelte | |
stehen darauf. Um die sechs Millionen Besucher werden erwartet, die rund | |
7,5 Millionen Mass Bier trinken und sich eine halbe Million Hendl, 120 | |
Ochsen sowie 27.000 Kilo gebrannte Mandeln einverleiben sollen. Im letzten | |
Jahr hinterließen sie 1.413 Tonnen Müll und 3.665 Fundsachen. Darunter 479 | |
Mobiltelefone, drei Dirndl, ein Hund und eine Reitpeitsche. Dieselbe | |
Prozedur wie jedes Jahr also? | |
Nicht ganz! Zum ersten Mal in seiner Geschichte wird das Volksfest komplett | |
eingezäunt. Und an seinen Eingängen finden Kontrollen statt. Mit Rucksack | |
oder einer großen Tasche kommt hier keiner mehr durch. Von der | |
„Oktoberfestung“ ist die Rede. | |
Rund 2.000 größere Oktoberfeste gibt es auf dem übrigen Globus. Alles | |
Kopien. Verliert nun ausgerechnet das Original seinen einzigartigen | |
Charakter? Im Münchner Stadtrat sind etliche dieser Ansicht, etwa die | |
Grünen-Fraktion. | |
## 300 bis 400 Meter mehr Zaun | |
Marcus da Gloria Martins dagegen versteht die Aufregung nicht. „Dass uns | |
ein Zaun so bewegt, das hat das letzte Mal Stefan Raab geschafft.“ Da | |
Gloria Martins ist der Mann, der in der Nacht des Münchner Amoklaufs | |
stundenlang auf so ziemlich jedem deutschen Fernsehschirm zu sehen war. Er | |
ist Sprecher der Münchner Polizei und seither ihr Gesicht. Die Wiesn sei | |
auch bisher zu einem großen Teil umzäunt gewesen, erklärt er, jetzt kämen | |
halt noch 300 bis 400 Meter Zaun dazu. | |
Neben ihm sitzt Hubertus Andrä, sein Chef. Der Polizeipräsident erklärt, es | |
gebe „keinerlei konkrete Gefährdungshinweise“. Und deshalb auch kein neues | |
Sicherheitskonzept. Nur „Anpassungen“, die man nach den Bluttaten von | |
Würzburg, Ansbach und München vorgenommen habe. So wurde die Zahl der | |
Polizisten, die rund um die Wiesn im Einsatz sind, auf 600 erhöht. Einige | |
Maßnahmen habe man ohnehin schon 2009 eingeführt, zum Beispiel den | |
Bavariaring für den Verkehr gesperrt. | |
Fast könnte man meinen, die ganze Zaunaktion sei mehr was fürs Gemüt. Damit | |
sich der Wiesnbesucher bei seinem Bier entspannen kann. Für Andrä | |
jedenfalls steht fest: „Der Charakter der Wiesn wird durch den Zaun nicht | |
verändert.“ Die Wirte, die Schausteller – und vor allem die Besucher, die | |
prägten doch schließlich den Charakter der Wiesn, nicht ein paar Meter | |
Rollzaun. | |
## Groß also bleibt es. Und sonst? | |
Was also macht nun eigentlich das Wesen der Wiesn aus? Die Suche nach der | |
Antwort auf diese Frage führt einen an den Stadtrand. Denn im südlichen | |
Stadtteil Solln lebt Gabriele Weishäupl. Und wenn sich jemand mit dem | |
Oktoberfest auskennt, dann diese Frau. 27 Jahre lang war sie | |
Tourismusdirektorin der Stadt München und Chefin der Wiesn. | |
Fragt man Weishäupl, was die Wiesn ist, fällt ihr zunächst einmal ein | |
Adjektiv ein: gigantisch. Die 69-Jährige sitzt in einer Sollner Eisdiele | |
und erzählt von ihrem ersten Wiesnbesuch in den Sechzigern. Die schiere | |
Größe dieses Volksfestes war das, was die gebürtige Passauerin schon damals | |
besonders beeindruckt hat. | |
Ein Prosit der Gemütlichkeit? Tausend- und abertausendfach wird diese Hymne | |
auf die Bierseligkeit während der Wiesn in den Zelten gegrölt – und dann | |
wird „gsuffa“. „Inwieweit es in einem Zelt mit 10.000 Plätzen gemütlich | |
ist, das muss jeder selbst entscheiden, der da reingeht“, sagt Weishäupl. | |
„Für mich hat das nichts mehr mit Gemütlichkeit zu tun.“ | |
Groß also. Und sonst? „Für mich ist die Wiesn ein bedeutendes und | |
einmaliges Phänomen, weil sie immer Spiegelbild der Zeit war – der | |
Gesellschaft, aber auch der Politik.“ Weishäupl macht eine Pause. „Und | |
jetzt der Zaun!“ Die Wiesn als Spiegelbild einer verängstigten | |
Gesellschaft? | |
## Tödliches Gedränge statt Terror? | |
Die Diskussion über den Zaun habe es ja schon lange gegeben. „Ich war immer | |
dagegen, weil ich die Gefahr beim Oktoberfest eher durch ein tödliches | |
Gedränge gesehen habe“, erzählt die ehemalige Wiesnchefin. Die | |
Zaunbefürworter halten dagegen. Man könne den Rollzaun innerhalb von 50 | |
Sekunden abbauen. Trotzdem: „Das war immer meine größte Angst. Das andere | |
ist als sogenannte Abstraktgefährdung mitgelaufen.“ | |
Das andere, das ist die Angst vor Anschlägen. Ein Attentat hat es ja schon | |
gegeben. 1980. 13 Tote, 68 Schwerverletzte. Der schwerste Terrorakt der | |
deutschen Nachkriegsgeschichte, heißt es. Die Rohrbombe des 21-jährigen | |
Gundolf Köhler explodierte damals am Haupteingang, also da, wo in diesem | |
Jahr ein Großteil der Kontrollen stattfinden werden. „Einen Anschlag wirst | |
du durch einen Zaun nicht verhindern“, sagt Weishäupl. | |
Nicht dass Weishäupl an einem Übermaß an Fatalismus litte. Natürlich war | |
die Sicherheit auch in ihrer Amtszeit immer ein großes Thema. Etwa im Jahr | |
2009, als man sie auf ein Internetvideo hinwies. „Da hockte ein Islamist | |
mit einer Eierhandgranate und einer Kalaschnikow. Der sagte: Sicherheit in | |
Deutschland ist nur eine Illusion. Hinter ihm: der Kölner Dom, das | |
Brandenburger Tor und der Haupteingang zur Wiesn.“ Die Botschaft war klar. | |
„Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Augenblick. Ich hatte | |
Gänsehaut.“ Nach dem Video kamen die Poller, die Sprengstoffhunde und das | |
Überflugverbot. | |
Und jetzt der Zaun. „Wenn nun weniger Besucher kommen, wird sich der | |
Charakter der Wiesn schon ein wenig verändern“, kündigt Weishäupl an. „A… | |
es gab immer Höhen und Tiefen. 24-mal ist die Wiesn ausgefallen. Cholera, | |
Kriege, sonst was. Und dann hat sich die Wiesn immer wieder neu erfunden. | |
Ich sehe das entspannt.“ Anders als zum Beispiel Regine Sixt, | |
Autovermietersgattin. Die hat ihre traditionelle „Damen-Wiesn“ in diesem | |
Jahr abgesagt. Weishäupl wird dagegen schon aufs Oktoberfest gehen. Zehn | |
Einladungen hat sie angenommen. | |
„Nicht hinzugehen ist die völlig falsche Botschaft“, findet auch die | |
Kabarettistin Luise Kinseher, „wir dürfen nicht klein beigeben.“ Gemeinsam | |
mit ihrem Kollegen Christian Springer hat sie sich daher werbewirksam ein | |
Lebkuchenherz umgehängt. Die Aufschrift: „I geh! Du aa?“ | |
16 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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