# taz.de -- Rigorose Abschiebungspraxis: Es gibt keinen Schutzraum | |
> Polizisten schieben zwei Flüchtlinge direkt aus der Psychiatrie ab. | |
> Flüchtlingsrat und Linkspartei geißeln das Vorgehen als „inhuman“ und | |
> „Tabubruch“. | |
Bild: Das kann einen schon depressiv machen: Massenunterkunft Tempelhof | |
Für Menschen, die im Amtsdeutsch „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind, gibt | |
es wenig Orte, wohin sie gehen können, um ihre Abschiebung zu verhindern | |
oder zu verzögern – wenn sie nicht in die Illegalität gehen wollen. Das | |
Kirchenasyl ist ein solcher Ort. Und auch Krankenhäuser sind solche | |
Schutzräume – oder sollten es sein, sagen manche. Doch wie nun bekannt | |
wurde, hat die Polizei im August zweimal Menschen aus der psychiatrischen | |
Abteilung des Vivantes-Klinikum Spandau „abgeholt“, um sie nach Polen | |
respektive Norwegen abzuschieben. Einen „neuen Tabubruch in der | |
skrupellosen Abschiebepraxis“ Berlins nennt das Katharina Müller vom | |
Berliner Flüchtlingsrat: „Was hier passiert ist, ist ein Skandal.“ | |
Auch für Hakan Taş, flüchtlingspolitischer Sprecher der Linksfraktion, sind | |
Abschiebungen aus dem Krankenhaus „inhuman, unabhängig von der rechtlichen | |
Lage“. Viele Flüchtlinge hätten Traumatisierungen oder andere psychische | |
Probleme: „Man geht nicht umsonst in die Psychiatrie, sondern weil man | |
behandelt werden muss“. Zu klären sei, ob bei den Aktionen am 16. August um | |
acht Uhr morgens und am 18. August nachts um halb drei alles mit Recht und | |
Gesetz zugegangen ist, so Tas. | |
Für die Innenverwaltung steht das außer Frage: Einen rechtlich anerkannten | |
„Schutzraum Krankenhaus“ habe es nie gegeben. Maßgeblich sei allein, ob | |
gesundheitliche oder sonstige Abschiebehindernisse vorliegen. Dies werde in | |
jedem Einzelfall geprüft. So auch diesmal: „In beiden Fällen ist vor Ort | |
Rücksprache mit den behandelnden Ärzten gehalten worden. Die Reise- und | |
Transportfähigkeit wurde bejaht, zumal für beide Personen bereits die | |
Entlassung aus dem Krankenhaus vorgesehen war.“ | |
Warum aber, fragt Taş zurück, habe man dann nicht die paar Tage bis zur | |
Entlassung warten können, warum kommt man in dem einen Fall mitten in der | |
Nacht? Gab es eine ärztliche Begleitung der Abschiebung? Und vor allem: | |
„Haben die Behörden sichergestellt, dass die Betroffenen in Polen | |
beziehungsweise Norwegen weiter behandelt werden?“ Das will auch Müller vom | |
Flüchtlingsrat wissen. Zudem verweist sie auf Artikel 5 der | |
EU-Rückführungsrichtlinie, der vorsehe, „dass die Mitgliedstaaten in | |
gebührender Weise den Gesundheitszustand des betreffenden | |
Drittstaatsangehörigen berücksichtigen.“ | |
## Gab es ärztliche Begleitung? | |
Im ersten Fall war ein Mann aus dem Kaukasus nach Polen als für den | |
Asylantrag zuständiges EU-Land abgeschoben worden, im zweiten ein Afghane | |
nach Norwegen. Bei letzterem Vorfall mitten in der Nacht war laut | |
Flüchtlingsrat ein teils vermummtes Einsatzkommando „in voller Montur“ in | |
der Klinik erschienen, der Betroffene „befand sich zum Zeitpunkt des | |
Zugriffs in einem psychischen Ausnahmezustand, wurde von den Beamten | |
fixiert und unter erheblicher Gewaltanwendung aus der Klinik gebracht“. | |
Die Innenverwaltung erklärt dazu, bei jeder Abschiebung finde der Grundsatz | |
der Verhältnismäßigkeit Beachtung. „Die auch in diesen beiden Fällen | |
eingesetzten Polizeikräfte des Arbeitsgebietes Interkulturelle Aufgaben | |
(Agia) tragen in der Regel zivile Kleidung. Sie werden ggf. zur | |
Unterstützung von Polizeikräften in der üblichen Schutzkleidung begleitet.“ | |
Ob das in den aktuellen Fällen gegeben war, sagt sie nicht. | |
Angesichts der vielen offenen Fragen will Taş eine parlamentarische Anfrage | |
an die von Frank Henkel (CDU) geführte Innenverwaltung stellen. Mit Antwort | |
rechnet er allerdings frühestens in drei Wochen – lange nach der Wahl. | |
9 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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