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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Dauerwahldampf
> Endlich wieder frei atmen: Eine revolutionäre neue Technik soll Politiker
> entblähen und den Polittalk von heißer Luft befreien.
Bild: Mit der unscheinbaren Maschine kann sogar ein Volumenriese wie Sigmar Gab…
In weiten Teilen der Republik – vom braunen Norden bis in den weißblauen
Süden – hat er sich breit gemacht: der Wahldampf, jener wahre Nebel des
Grauens. Und wo er nicht leibhaftig durch die Lande bläht, da kommt er
unablässig aus dem Fernsehgerät gequollen und vernebelt die Sinne des
politikinteressierten Bürgers. Auch wenn man es kaum glauben mag, selbst
bei den öffentlich-rechtlichen Sendern hat man erkannt, dass die
allabendlichen Polit-Talkshows nur noch aus heißer respektive dicker Luft
bestehen.
Moderatoren klagen: Es atmet sich in den Studios fast so schwer wie zu
Zeiten Helmut Schmidts – und das ganz ohne Zigarettenqualm und leckeren
Mentholgeschmack. Schuld ist wohl die Hitze der Scheinwerfer, die den
Wahldampf besonders schnell und in großen Mengen entweichen lässt.
Damit soll nun Schluss sein. ARD und ZDF haben ihre letzten Notgroschen
zusammengekratzt und eine hocheffiziente neue Entdampfungsanlage mit
inkludierter Schwadenabsaugung bauen lassen. Diese muss von Talkshowgästen
durchlaufen werden, bevor sie in der Runde Platz nehmen dürfen.
## Lebensbedrohliche Dampfextraktion
Die Rundfunk-Verantwortlichen versprechen sich von dieser Maßnahme
gehaltvollere Diskussionen und nicht zuletzt auch eine bessere
Luftqualität. Letztere scheint allein schon aus arbeitsschutzrechtlichen
Gründen dringend notwendig zu sein.
Der Hochleistungsentdampfer vom Typ Mumilan Steamclean Ex MK2 ist ein
wahres Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst. Er verfügt über eine
energieeffiziente, per Frequenzumrichter gesteuerte Flutpumpe, die die
Entdampfungskammer binnen Sekunden mit einem Extraktionsmittel flutet und
anschließend den aus den Politikern heraus emulgierten Dampf absaugt.
Nebeneffekt ist eine hohe Reinigungs- beziehungsweise Entfettungsqualität,
die durch eine gleichzeitige Konservierung mit modifizierten Alkoholen
erreicht wird. Bei aller technischer Raffinesse des Geräts muss man
bedenken, dass die Dampfextraktion für einen Politiker lebensbedrohlich
sein kann. Die zugeführten Alkohole dienen der Kompensation und
Stabilisierung des politischen Organismus und sorgen zusätzlich für ein
gesteigertes Gesprächsbedürfnis.
## Hutzelzwerge in Fischaugen-Optik
Noch eine weitere Hürde mussten die Entwickler nehmen: Damit die Gäste
wegen des entzogenen Dampfs und in der Folge des erhöhten Restfettgehalts
im Scheinwerferlicht nicht zu sehr glänzen, durchlaufen sie ein sogenanntes
Vorabdampfentfetten, bei dem das ölhaltige Lösemittel in eine
Destillationseinrichtung abgeleitet wird. Dann erfolgt automatisch eine
feine Pulverbeschichtung mit einem Puder aus der Trickkiste des
Maskenbildners. In nur 15 Minuten sind die Talkshowgäste fix und fertig
entdampft, entfettet und gepudert.
Damit wären sie eigentlich bereit für die Aufzeichnung. Wenn da nicht ein
kleiner, unangenehmer Nebeneffekt wäre: Die Politiker verlieren durch das
Entdampfen erheblich an Volumen, weshalb sie im Fernsehen viel zu klein und
schmächtig wirken würden. Doch die TV-Branche weiß sich zu helfen und setzt
jetzt verstärkt aufblähende Weitwinkelobjektive ein, die sogenannten
„Fischaugen-Linsen“. Ohne die gewohnte Breitwandoptik würde der Zuschauer
einen zum Hutzelzwerg geschrumpften Sigmar Gabriel oder Peter Altmaier auch
gar nicht wiedererkennen. Die durch den „Fischaugen“-Einsatz übergroß
wirkenden Nasen werden einfach digital retuschiert oder zur Einblendung von
Info-Grafiken zum gerade verhandelten Thema genutzt.
## Peinliches Malheur
Nun mag man zu Recht fragen, warum diese Technik erst jetzt eingesetzt
wird, wo wir schon viele Jahre lang die öden und aufgeblähten Diskussionen
in Polit-Talkshows erdulden müssen. Die Antwort ist ganz simpel: Vor Jahren
hatte sich eine noch vollkommen unbekannte Politikerin als Versuchsperson
für den Vorläufer der heutigen Anlage zur Verfügung gestellt. Allerdings
ging der Test gehörig schief. Statt mit Puder war die Probandin vom Mumilan
Steamclean Ex MK1 damals mit hocheffizientem Teflon beschichtet worden,
welches fortan alle Kritik an ihr abperlen ließ. Und erst dadurch konnte
aus der unscheinbaren Angela Merkel überhaupt die mächtige Kanzlerwoman
werden.
Erst jetzt, nach über 12 Jahren, scheint die Beschichtung langsam ihre
Wirkung zu verlieren. Das peinliche Malheur hielt die Verantwortlichen
damals davon ab, den Prototyp weiterzuentwickeln. Doch nun ist der Druck
wegen der übelriechenden Dampfschwaden von der CSU bis zur AfD so groß,
dass man es doch noch einmal versuchen will. Ob es gelingen wird, bleibt
abzuwarten. Hoffen kann man es angesichts der aktuellen Dampfkesselpolitik
nur ganz inständig.
9 Sep 2016
## AUTOREN
Michael Gückel
## TAGS
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