# taz.de -- Interview mit Berliner Parlamentarier: „Jungen Kollegen fehlt Lei… | |
> Uwe Lehmann-Brauns ist der dienstälteste Abgeordnete Berlins: 1979 kam er | |
> ins Parlament. Zum Karriereende zieht der CDUler Bilanz – und lobt die | |
> Piraten. | |
Bild: „Die CDU ist wie ein Dampfer: Der lässt sich nur sehr langsam umsteuer… | |
taz: Herr Lehmann-Brauns, als Sie 1979 ins Abgeordnetenhaus kamen, war die | |
CDU in der Opposition. Wenn Sie nun rausgehen, droht ihr das selbe | |
Schicksal. Sieht aus, als schließt sich da ein Kreis. | |
Uwe Lehmann-Brauns: Ja, so ist es. Nichts ist von Bestand. | |
Mit dem großen Unterschied, dass die CDU damals mehr als 44 Prozent hatte, | |
jetzt aber in der jüngsten Umfrage nur noch 18. | |
Die anderen Parteien sind ja auch geschrumpft. Für mich hängt das viel | |
damit zusammen, das die Gesellschaft – vor allem die Jüngeren – | |
unpolitischer geworden ist. Ich habe uns junge Abgeordnete damals wie | |
Kettenhunde gesehen, die hechelnd an der gespannten Leine zerrten und es | |
gar nicht erwarten konnten, mitzugestalten. | |
Das ist nicht mehr so? | |
Wenn ich meine jungen Kollegen sehe, dann ist da kein Hecheln mehr. Für die | |
ist das ganz nett, im Parlament zu sein. Das hat auch etwas mit Status zu | |
tun. Aber da ist keine Leidenschaft mehr. Das führt leider auch dazu, dass | |
weniger prägende Köpfe in die Parteien kommen. Wenn Sie die prägenden | |
Gestalten von damals mit den heutigen vergleichen – das war noch ein anders | |
Kaliber. | |
Sie als Kulturpolitiker wissen schon, dass man bereits aus dem alten Rom | |
Aufzeichnungen gefunden hat, in denen die damalige Jugend gleichermaßen | |
gescholten wurde … | |
Ich habe mir ja auch geschworen, dass ich nicht zu denen gehören will, die | |
sagen: Früher war alles besser. Aber in Sachen Leidenschaft muss ich das | |
doch so sagen. Sie wollten ja eine Antwort haben, warum die CDU so | |
geschrumpft ist. | |
Sie waren in den 90ern führender Kopf einer parteiinternen Reformgruppe, | |
die sich Union 2000 nannte und vom eigenen Regierungschef Eberhard Diepgen | |
forderte, als Parteichef abzutreten. Heute ist so eine Kritikergruppe nicht | |
zu erkennen – leider oder glücklicherweise? | |
Ich bedaure das. Damals ging es uns darum, Diepgens Kurs etwas zu | |
radikalisieren und stärker in unseren Inhalten zu betonen, was uns von | |
anderen Parteien unterscheidet. Da sind wir auch mal bei einem Parteitag | |
über die Ballustrade gesprungen, haben mit der Glocke des | |
Versammlungsleiter gebimmelt und richtige Diskussionen gefordert. | |
Verändert hat das aber nichts, auch 20 Jahre später nicht: Beim jüngsten | |
Parteitag, im Juli zum Wahlprogramm, gab es keine einzige Frage, keine | |
einzige Wortmeldung – und das bei fast 300 Delegierten! | |
Die CDU – für die SPD gilt dasselbe – ist da wie ein Dampfer: Der lässt | |
sich nur sehr langsam umsteuern. | |
Vielleicht will die das gar nicht: Was Frank Henkel als Parteichef am | |
meisten angerechnet wird, ist, dass er die Partei nach tiefen Zerwürfnissen | |
wieder geeint hat. Da geht es mehr um Stabilität als um Quirligkeit. | |
Das ist auch ein sehr wichtiger Punkt: Frank Henkel ist der einzige, der | |
die ganze Partei hinter sich hat. Er ist an sich offen, vielleicht kommt zu | |
wenig von uns. | |
Wenn es bei der Wahl am 18. September so schlecht läuft, wie es die | |
Umfragen nahe legen: Hat Henkel dann noch ein Zukunft in der CDU? | |
Beim Thema Zukunft halte ich es mit dem Schriftsteller Imre Kertész: Dahin | |
kann man nicht gucken, es kommt immer auf den nächsten Augenblick an. Und | |
für den nächsten Augenblick hat Frank Henkel eine Zukunft. | |
Ihre Zeit im Parlament seit 1979 umspannt den Nato-Doppelbeschluss, vier | |
Päpste, den Mauerfall, das eineinhalbjährige rot-grüne Intermezzo in | |
Berlin. Was war für Sie der Höhepunkt? | |
Der Mauerfall, ganz klar. Das war der glücklichste Tag in meinem kleinen | |
Leben. Ich habe nie damit gerechnet, dass es dazu kommt und zur | |
Wiedervereinigung – aber ich hab's immer gewollt. Wir dachten ja stets: | |
Wenn es Reformbestrebungen in der DDR gibt, rollen die russischen Panzer | |
wie in Ungarn und der Tschechoslowakei. | |
Ein Tiefpunkt dürfte gewesen sein, als ihre Bundestagskandidatur 2002 | |
scheiterte – was auch daran lag, dass große Teile Ihres Zehlendorfer | |
Kreisverbands Sie nicht unterstützen wollten. Schmerzt das noch immer? | |
Ach, das ist vergessen. Meine Leidenschaft waren immer Kultur- und | |
Stadtthemen. Mit Themen wie Landwirtschaftspolitik, die mich im Bundestag | |
erwartet hätten, konnte ich nicht viel anfangen … Na gut, so habe ich mir | |
das später zurecht gelegt, damals wollte ich ja wirklich in den Bundestag. | |
Es war natürlich gruselig zu kandidieren, wenn die eigenen Leute über meine | |
Plakate klebten „Trotzdem CDU“. | |
Nach drei Jahren Pause sind Sie 2004 zurück ins Abgeordnetenhaus. Wieso | |
noch mal, im Alter von 65, nach damals schon 22 Parlamentsjahren und dem | |
verpassten Aufstieg? | |
Das liegt vielleicht an meinem Kernthema, der Kulturpolitik, die immer | |
wieder neu ist. Und meine politische Leidenschaft hatte ich ja noch. | |
Dass jetzt doch Schluss ist: War das Ihre freiwillige Entscheidung oder hat | |
Ihnen Ihre Partei das nahe gelegt? | |
Nein, das war meine eigene Entscheidung. Zuletzt war es mir dann doch | |
genug. Ich habe ja auch weiterhin die Arbeit in meiner Kanzlei, die ich | |
gern mache. | |
Viele nennen es realitätsfremd, dass das Berliner Abgeordnetenhaus trotz | |
großer Arbeitsbelastung weiter offiziell ein Teilzeit- und kein | |
Vollzeitparlament ist und seine Mitglieder vergleichsweise schlecht | |
entschädigt werden. Sehen Sie das auch so? | |
Nein, ich finde die jetzige Regelung richtig. Die Arbeit außerhalb des | |
Parlaments garantiert, dass wir Abgeordneten im Kontakt mit den Leuten | |
bleiben. Ich gebe aber zu, dass beides manchmal kollidiert: Ich kann als | |
Anwalt meinen Mandanten nicht immer sagen, dass jetzt die Politik vorgeht. | |
Da leidet dann auch schon mal die Vorbereitung auf eine Ausschusssitzung. | |
Mit Ihnen verlassen ja höchstwahrscheinlich auch die Piraten das | |
Abgeordnetenhaus, allerdings schon nach nur fünf Jahren. Bedauern Sie das | |
als früherer Über-Ballustraden-Springer? | |
Ich finde es schade, dass die Piraten rausgehen. Ich saß ja im Plenarsaal | |
gleich neben denen und hatte zu vielen fast freundschaftliche Kontakte. | |
Nicht wegen ihrer verquasten Ideologie, sondern weil da Persönlichkeiten | |
dabei waren, offene und interessante Menschen. | |
8 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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