| # taz.de -- Neues Album von Haftbefehl & Xatar: Großmäuliges Gangstertainment | |
| > Sie mögen längst erfolgreich sein, dennoch inszenieren sich Haftbefehl | |
| > und Xatar auf „Der Holland Job“ als Gefangene ihrer Vergangenheit. | |
| Bild: Beweisen Selbstironie: Haftbefehl (r.) und Xatar | |
| Gibt es ein Genre, das die gesellschaftliche Realität der westlichen Welt | |
| besser auf einen Punkt bringt als Gangsta-Rap? Musik und Texte vibrieren | |
| geradezu vor lauter Erfolgsstreben, Materialismus, Moral, Gewalt, Geld, | |
| Egozentrik, Allmachtsfantasien – und wahlweise schützen Gott, Familie oder | |
| Freunde als Retter vor den Versuchungen des Kapitals in Gestalt eines | |
| Teufels. | |
| Von den Existenzkämpfen des Individuums erzählt der Gangsta-Rap seit 30 | |
| Jahren. Von daher verwundert es kaum, dass auch Haftbefehl und Xatar für | |
| ihr Album gewordenes Königstreffen „Der Holland Job“ weder | |
| Gangsta-Genregrenzen unterlaufen noch ihren jeweiligen Diskografien | |
| Brandneues hinzufügen. | |
| Insbesondere der Offenbacher Aykut Haftbefehl Anhan recycelt auf dieser | |
| Kollaboration mehr als einmal Schlagwörter und lyrische Bilder seiner | |
| letzten Veröffentlichungen, um aus ihnen neue Kreationen aus einer als kalt | |
| empfundenen Welt zu stricken. Künstlerischer Stillstand ist das aber nicht. | |
| Wenn Haftbefehl beispielsweise ausruft: „Warum bist du kriminell? Um | |
| Flaschen aufzumachen!“, beweist er erneut, dass er momentan der | |
| deutschsprachige Rapper ist, der sich am besten darauf versteht, den | |
| Zynismus seiner Generation zu formulieren. Sein lyrisches Ich weiß, dass es | |
| eigentlich nichts zu feiern gibt – aber es feiert mangels Alternativen erst | |
| recht. | |
| Sie mögen längst erfolgreich sein, dennoch inszenieren sich Haftbefehl und | |
| Xatar als Gefangene ihrer Vergangenheit und somit auch der Gesellschaft, in | |
| der sie aufgewachsen sind. Diese drängte sie in die Rolle von | |
| Marginalisierten, denen die Insignien eines nach unseren Maßstäben | |
| „erfolgreichen“ Lebens verwehrt bleiben, es sei denn, sie greifen zu | |
| illegalen Mitteln. So weit die vereinfachte, aber durchaus glaubwürdige | |
| These, auf der Gangsta-Rap fußt. | |
| ## Die graue Realität scheint durch | |
| Zweifellos: Der Bonner Xatar alias Giwar Hajabi reimt mit mehr Biss. Wo | |
| Haftbefehl seine Stimme öfter mal neben den Beat setzt, bleibt Xatar meist | |
| im Takt, ebenso lässt er lyrisch selten Zweifel zu: Entweder gibt er den | |
| auf alles einen Scheiß gebenden Verbrecher oder er mimt den | |
| selbstkritischen Poeten. Durch diese unterschiedlichen Reimtechniken | |
| entsteht ein Wechselspiel, das das gemeinsame Werk trotz altbekannter | |
| Themen zur Achterbahnfahrt macht. | |
| „Der Holland Job“ ist eine kleine Traummaschine mit großer Wirkung. Die | |
| graue Realität, die Aykut Anhan und Giwar Hajabi, beide in Deutschland | |
| aufgewachsene Kinder kurdischer Flüchtlinge, zu den Menschen gemacht hat, | |
| die sie heute sind, scheint mehrmals durch. Musikalisch werden die Songs | |
| mit Breitwandästhetik übertüncht. Ihr frönt das Duo auch in dem für das | |
| Album gedrehten 30-Minuten-Actionstreifen. | |
| Darin beweisen Haftbefehl und Xatar Selbstironie und geben zwei wild um | |
| sich ballernde Buddys, die mit Glück und dreisten Sprüchen dem großen Geld | |
| hinterherjagen: File under großmäuliges Gangstertainment von zwei | |
| glorreichen Halunken. Wer erwartet, Haftbefehl und Xatar setzen in Zeiten | |
| von Rechtsruck und Flüchtlingskrise zu expliziter Gesellschaftskritik an, | |
| sieht sich getäuscht – na ja, fast. | |
| Im Finale von „Der Holland Job“ taucht doch noch eine „AFD“ auf, hier | |
| allerdings heißt sie „Ausländer für Deutschland“: „Ihr habt alle miese | |
| Zeiten/ Der Flüchtling ist dran schuld, / [. . .] Braucht ihr | |
| Ein-Euro-Jobber / Wird ein Flüchtling gesucht“, rappt Xatar und befindet am | |
| Ende seiner Strophe: „Ach scheiß drauf, lass mal McDonald’s chillen.“ | |
| Lakonisches Fast Food. | |
| Ansonsten hat dieses Album eine zentrale These, ganz gleich ob das Duo | |
| damit Klischees eher bedient, als diese zu unterwandern: „Flüchtlinge | |
| charten Nummer eins / wenn sie rappen“, textet Xatar auf „AFD“, was bald | |
| zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden könnte. Dass „Der Holland | |
| Job“ vom Feuilleton wie von Schülern gleichermaßen gefeiert, diskutiert und | |
| im Netz millionenfach gehört wird, zeigt bereits seine Bedeutung. | |
| 20 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Sascha Ehlert | |
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| Jan Böhmermann | |
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