# taz.de -- HipHop-Ikone Taktlo$$ im Porträt: Der Joseph Beuys des Rap | |
> Steglitz represents – irre Performance-Ideen und spektakuläres | |
> Draufgängertum: eine Begegnung mit dem Berliner Künstler Taktlo$$. | |
Bild: Hat auch am Meer Fans: Kingsly Defounga alias Taktlo$$ | |
Alles scheint wie immer um den Görlitzer Bahnhof in Berlin-Kreuzberg? Alles | |
wie immer? Nicht ganz: Denn in einer Ecke des italienischen Lokals | |
„Trentasei“ sitzt vor einer hübsch hergerichteten Backsteinwand der Rapper | |
Taktlo$$. Der 41-Jährige trägt einen Wollpulli mit dicken Streifen in zwei | |
Grautönen, eine graue Jacke, eine graue Wollmütze, eine graue Stoffhose, | |
schwarze Nikes, neben ihm liegt eine dunkle Sonnenbrille. | |
Der Künstler, der eigentlich Kingsly Defounga heißt, wirkt zunächst wie | |
jemand, der unerkannt bleiben möchte. Die Ausnahme von der Regel des | |
Rappers als mitteilungs- und geltungsbedürftiger Zeitgenosse. Taktlo$$ gibt | |
an, den Reporter hauptsächlich deshalb zu treffen, weil er für sein | |
angeblich allerletztes Konzert werben möchte: „Das ist wichtig, es findet | |
statt am 10. Juni 2017 im Berliner Astra. Da trete ich nämlich zum ersten | |
Mal zusammen mit der Band rhythmuz auf, die stelle ich extra für dieses | |
Konzert zusammen.“ | |
An dieser Stelle sei erwähnt, dass Taktlo$$ sein angeblich letztes Konzert | |
bereits gespielt hat, es gibt sogar eine fast ausverkaufte DVD-Version | |
davon: Auf zwei Abende verteilt „verabschiedete“ er sich mit einer | |
dreistündigen Show von seinen rund 20 Jahren im HipHop-Business. | |
3.000 Fans sahen ihm dabei zu, Weggefährten wie Kool Savas, Sido und Miss | |
Platnum kamen für Gastauftritte auf die Bühne. Die Fans von Taktlo$$ sind | |
mehrheitlich, aber nicht ausschließlich männlich und zwischen 25 und 35 | |
Jahre alt. Für sie bleibt der Berliner Künstler sicher eine Erinnerung an | |
das verblichene Berlin der eigenen Jugend. | |
Als Jugendlicher in den Neunzigern hörte Defounga ausschließlich US-Rapper | |
wie 2 Live Crew, E-40 und Ice-T. Aufgewachsen ist er im Stadtteil Steglitz, | |
wo die US-amerikanische Subkultur über die dort stationierten GIs | |
weiterverbreitet wurde. Defounga lernte HipHop bereits auf dem Schulhof | |
kennen. | |
## Westberlin Maskulin | |
Ende der Neunziger traf edann Kool Savas und veröffentlichte gemeinsam mit | |
diesem als Duo Westberlin Maskulin zwei Do-it-yourself-mäßig produzierte | |
Alben („Battlekings“ und „Hows, Floes, Moneytoes“). Sie rissen das Genre | |
nachhaltig aus der gepflegten Deutschrap-Mittelstandsidylle. | |
Damals war (West-)Berlin zwar nicht mehr von der Mauer umschlossen, aber | |
kulturell immer noch eine überschaubare Insel inmitten der neuen | |
gesamtdeutschen Realität. Davon ist heute kaum noch was übrig. Der Sound | |
von Taktlo$$ erinnert noch daran, er ruft nicht nur seine Einflüsse auf, | |
sondern auch ein Gefühl, wie HipHop in den Neunzigern klang. | |
Als Graffiti-Sprüher benutzte Taktlo$$ damals das Tag „LEVEL“. In der | |
Berliner HipHop-Szene fiel er sofort auf: Obwohl er nicht unbedingt | |
technisch herausragend sprühte und taggte, war er dreister und furchtloser | |
als alle anderen. Und so ging er dann auch als Rapper vor: Nichts und | |
niemand war ihm heilig. Frauen, Männer, Gott – alle werden erst mal | |
effektvoll beleidigt. Sein Sound ist immer auf die Zwölf, er klingt grob | |
und selten elegant. Reimstrukturen ignorierte Taktlo$$ genauso wie | |
Musikindustrie-Konventionen. | |
Einmal unterschrieb er einen Plattenvertrag. Als das Label pleiteging und | |
er als Künstler auf dem Trockenen saß, entschied er, von nun an die | |
Kontrolle zu behalten über all das, womit er im Zusammenhang mit seiner | |
Kunst Geld verdient. „Ich will nicht, dass mir irgendjemand dreinreden | |
kann“, erklärt er. | |
## Grimmig und gelangweilt | |
Taktlo$$ ist kein Mann des großen Wortes. Seine Antworten bleiben kurz und | |
knapp. Mehr drückt er mit seiner Mimik aus: Mal lächelt er trocken, dann | |
grinst er verschmitzt, ab und an guckt er grimmig, gelangweilt, dann gibt | |
er seinem Gegenüber das Gefühl, dass man gerade etwas sehr Banales gefragt | |
hat. Diesen Eindruck verstärkt seine Kleidung: Man hat jemand vor sich, der | |
nicht will, dass man ihm zu nahe kommt. | |
Er bleibt auf distanzierte Art freundlich – solange man nicht versucht, in | |
seine Komfortzone einzudringen. Defounga ist ein schamloser | |
Selbstvermarkter, genialer Performer, streitbarer Lyriker, das finden auch | |
seine Kollegen: Kool Savas hat ihn deshalb einmal völlig zutreffend als | |
„Joseph Beuys des Rap“ bezeichnet. Und ja, ohne Taktlo$$ wäre der Popzirkus | |
hierzulande ein großes Stück öder. | |
Defoungas bestes Schutzschild: Taktlo$$. Kein deutscher Rapper vor oder | |
nach ihm inszeniert sich derart erratisch. Einmal stellte er sich 45 | |
Minuten lang vor eine Fernsehkamera und rappte ohne Pause – nur, weil er | |
keine Lust auf das Interview hatte. | |
## Battlerap und Theater | |
Ein anderes Mal lud ihn die Kunstakademie Düsseldorf für einen Vortrag ein. | |
Taktlo$$ ließ den Vorlesungssaal räumen, nur eine Person bekam Zutritt und | |
er starrte diese so lange an, bis sie zuckte – und reiste wieder ab: Eine | |
Aktion, die an die Performance „The Artist is Present“ von Marina Abramović | |
erinnerte. Bis heute sind seine Liveauftritte immer spektakulär: Taktlo$$ | |
ist sich selbst der beste DJ, spielte seine Beats vom Laptop ab, rappt, | |
zielt mit Plastikgewehren aufs Publikum und führt irgendwas zwischen | |
Battlerap und Theater. | |
Schade allein: Taktlo$$ hat seit Jahren kein Album mehr veröffentlicht. Er | |
sagt dazu, er wolle sich nicht wiederholen. Ganz aufgeben will er sein | |
Alter Ego trotzdem nicht. Deshalb arbeitet er gerade mit einem anderen | |
Berliner Rapper an einem Kollabo-Werk. „Du darfst nicht schreiben, was | |
genau da kommt, aber ja, es kommt schon bald etwas raus.“ Dann löffelt er | |
weiter sein Tiramisu. „Aber am wichtigsten: Die Karten fürs allerletzte | |
Konzert gibt es nur bei Koka 36 in Kreuzberg.“ | |
13 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Sascha Ehlert | |
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