| # taz.de -- Doku über Bundesamt für Migration: Von Wartezeit und Überstunden | |
| > „Entscheider unter Druck“ begleitet den Arbeitsalltag eines Mitarbeiters | |
| > des Amtes. Die Doku zeichnet ein paradoxes Bild der Behörde. | |
| Bild: Jochen Otto bei seiner Arbeit in der Bamf-Außenstelle Trier | |
| Im Sommer bei Hitze, im Winter bei Kälte: Die vergeblich ausharrenden | |
| Flüchtlinge am Berliner Lageso kennt jeder als 1A-Bildquelle für Polemiken | |
| gegen Merkels „Wir schaffen das“; oder aber als Symbol für die | |
| „schlechteste Behörde Deutschlands“. Wichtiger ist aber das Bamf: Das | |
| Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist die Bundesoberbehörde, die | |
| Asylanträge bearbeitet. Die Menschen, die dort entscheiden, heißen | |
| entsprechend „Entscheider“. Der Filmemacher Michael Richter hat einem von | |
| ihnen über die Schulter gesehen. | |
| „Mein Stiefvater wollte mich an einen Mann zwangsverheiraten. Punkt. Und er | |
| drohte mir damit, Komma, dass ich entweder zustimme, Komma, oder durch ihn | |
| getötet werde. Punkt.“ Jochen Otten spricht während der Anhörung einer | |
| Somalierin in sein Diktiergerät. Otten ist ein junger Mann mit akkuratem | |
| Vollbart, dem es beinahe gelingt, seine pfälzische Herkunft aus seinem | |
| Beamtendeutsch herauszuhalten. Sein Arbeitstag, erzählt er, geht von sieben | |
| bis 17 oder auch mal 18 Uhr. Drei bis fünf Anhörungen schafft er in dieser | |
| Zeit – danach entscheidet er. Über die Drehgenehmigung allerdings hat er | |
| nicht entschieden. | |
| Seit einem knappen Jahr leitet Frank-Jürgen Weise das Bamf, obwohl er | |
| bereits der Bundesagentur für Arbeit vorsteht. Er will „die Sache gut | |
| machen“, aber es läuft beileibe nicht alles rund. Bis zum Anhörungstermin | |
| vergehen manchmal zwei Jahre, bis zur Entscheidung mitunter weitere zwei | |
| Jahre. Anwälte reagieren mit Untätigkeitsklagen. Reserveoffizier Weise | |
| greift an und beklagt im Film höchstselbst: „97 Prozent Wartezeit“ seien | |
| „nicht akzeptabel, auch für das Behandeln des Anliegen des Menschen.“ | |
| Also macht Weise eine Vorgabe: Otten und Kollegen sollen bitte die über | |
| 500.000 Asylanträge bis zum Jahresende alle abarbeiten. Es werden neue | |
| Entscheider eingestellt, Rentner zum Beispiel. Früher hat die Schulung zum | |
| Entscheider sechs Monate gedauert, dann drei Monate, jetzt sind es fünf | |
| Wochen, höchstens. Was in dem Film nicht vorkommt, aber dieser Tage | |
| vermeldet wurde: Über den Antrag eines Asylsuchenden entscheidet gar nicht | |
| mehr unbedingt der Bamf-Mitarbeiter, der ihn zuvor angehört hat. | |
| Bei Jochen Otten läuft das noch anders, aber er erinnert sich bestimmt auch | |
| noch an ein Bewerbungsgespräch – auch auf die verzichtet das Bamf nämlich | |
| bei seinen Einstellungen neuerdings. | |
| ## Analphabeten und Ausländerhasser | |
| Gernot Hüter ist Personalrat beim Bamf und kann sich offenbar ein offeneres | |
| Wort als Otten erlauben. Analphabeten und Ausländerhasser erwiesen sich | |
| schnell als für den Job ungeeignet, berichtet er. Ebenso, dass die | |
| unterschiedliche Verfahrensdauer politische Gründe habe: „Das Bundesamt | |
| wird beauftragt, eine bestimmte Ländergruppe vorrangig zu bearbeiten – alle | |
| anderen Akten bleiben liegen.“ Nach der Silvesternacht in Köln etwa sei der | |
| Auftrag der Politik gekommen, die Maghrebstaaten vorrangig zu bearbeiten. | |
| Was soll man dazu sagen – der Filmautor kommt zu einem hilflosen Fazit: | |
| „Schnelle Verfahren sind im Interesse auch der Flüchtlinge. Der Grat | |
| zwischen dem Grundrecht auf Asyl und einem reinen Verwaltungsakt bleibt | |
| schmal.“ | |
| Jochen Otten glaubt der Somalierin, andere Anträge lehnt er ab. Seinen | |
| Seelenfrieden bewahrt er sich mit ein bisschen Autosuggestion: „Ich würde | |
| nicht sagen, dass es mir unheimlich ist, dass ich quasi das Schicksal von | |
| Menschen in meinen Händen hätte. Ich sehe das nicht so. Ich vertraue auf | |
| unseren Gesetzgeber und darauf, dass unser Gesetz eben das Richtige | |
| normiert.“ Zudem gebe es ja immer noch den Instanzenweg. | |
| Am Ende hat man das unheimliche Gefühl, parallel zwei Filme geguckt zu | |
| haben: Der eine handelt von unglaublichen Pannen und Problemen im Bamf – | |
| der andere von dem Vorzeigebeamten Jochen Otten, der von diesen Problemen | |
| noch nie gehört hat. | |
| 29 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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