# taz.de -- Nachruf auf Herbert Schui: Kämpfer gegen kapitalistische Mythen | |
> Ohne Herbert Schui gäbe es die Arbeitsgruppe Alternative | |
> Wirtschaftswissenschaft wohl nicht. Die Idee entstand bei Rotwein und | |
> Lammkeule. | |
Bild: Herbert Schui (r.) 2004 bei einer Pressekonferenz der Initiative Arbeit u… | |
Gelegentlich unterstrich seine Lautstärke den unerbittlichen Einsatz gegen | |
affirmatives Denken. Denn Herbert Schui war ein großer Kämpfer, ein Kämpfer | |
gegen die Mythenbildung der vorherrschenden Wirtschaftswissenschaft, ein | |
Mann in der Tradition der kritischen Politischen Ökonomie. Nun steht er für | |
die dringend notwendige Aufklärung nicht mehr zur Verfügung. | |
Seine wissenschaftliche Karriere begann Herbert Schui nach dem Studium der | |
Volkswirtschaft im Forschungsprojekt „Geldtheorie und Geldpolitik“ an der | |
neu gegründeten Universität in Konstanz. | |
Der Chef war der Monetarist Karl Brunner aus Rochester in den USA, der die | |
US-Notenbank scharf kritisierte. Dieser rief jedes Jahr die großen Ökonomen | |
zu einer Sommeruniversität an den Bodensee und schuf so die Möglichkeit | |
für seine Studierenden, mit Milton Friedman, James Buchanan und anderen | |
Vertretern eines Marktfundamentalismus zu streiten. | |
## Frankreich war sein Land | |
1972 promovierte Herbert Schui erfolgreich über das System der Geldpolitik | |
in Frankreich. Diesem Land galt seine Liebe wie auch seiner Ferme, dem | |
kleinen Bauernhof in einer armen Bergregion in der Nähe von Limoux. | |
1974 wechselte er zur neu gegründeten Universität Bremen, wo bald das | |
theoretisch und politisch gefürchtete Trio Herbert Schui/Jörg | |
Huffschmid/Rudolf Hickel wirkte. 1980 wechselte er zur Hochschule für | |
Wirtschaft und Politik in Hamburg. Dort wurde er zum führenden Kopf einer | |
Wirtschaftswissenschaft, die kritisiert, wie Konflikte zwischen Kapital und | |
Arbeit mit neoklassischen Mythen verdrängt werden. | |
Im Bemühen um Aufklärung konnte er sich nicht auf den Elfenbeinturm | |
zurückziehen. Schon in seiner Konstanzer Zeit war der Intellektuelle bei | |
den Gewerkschaften als Referent und Berater gefragt. Dieser Aufgabe blieb | |
er bis zu seinem Tod verbunden. | |
Zusammen mit Jörg Huffschmid gründete er 1975 die „Arbeitsgruppe | |
Alternative Wirtschaftspolitik“. Der Ort, an dem die Idee zu dieser auch | |
Memo-Gruppe genannten Diskussionsrunde geboren wurde, sagt auch etwas über | |
den Genießer aus. Mit Jörg Huffschmid saß Herbert Schui am offenen Feuer | |
seiner Ferme in Frankreich beim Wein. | |
## Gegen neoklassische Parolen | |
Die beiden warteten, bis endlich die Lammkeule gegart sein würde – und | |
vereinbarten, ein Memorandum zu einer alternativen Wirtschaftspolitik zu | |
verfassen. Nach der Rückkehr aus dem Süden Frankreichs wurde auch ich in | |
den Ideenimport eingebunden. Zur Erinnerung: 1975 brach die Wirtschaft | |
ein, die Arbeitslosigkeit stieg. Das erste Memorandum richtete sich gegen | |
die damals kreierte neoklassische Parole von den steigenden Gewinnen | |
zulasten der Löhne, die morgen Investitionen und übermorgen Arbeitsplätze | |
schaffen sollen. Diese Grundkritik gilt bis heute. | |
Es wäre anmaßend, hier das gesamte wissenschaftliche und politische Werk | |
von Herbert Schui zu bewerten und zu würdigen. Deshalb nur der Hinweis auf | |
drei Themen, die er vorangetrieben hat: | |
1. Er forschte über die Grundfragen der Anatomie des Kapitalismus und | |
entwickelte die Theorie von Karl Marx wirklichkeitsverankert weiter. Dafür | |
steht seine Publikation „Ökonomische Grundprobleme des entwickelten | |
Kapitalismus“. | |
2. Während seiner gesamten wissenschaftlichen Tätigkeit konzentrierte er | |
sich auf die Analyse der monopolistischen Konkurrenz mit ihren negativen | |
Folgen für den Wettbewerb, die Gesamtwirtschaft sowie die politischen | |
Machtverhältnisse. Dabei leistete er Pionierarbeit zur empirischen | |
Bestimmung des Monopolisierungsgrads in Deutschland. | |
3. Die Weiterentwicklung der gesamtwirtschaftlichen Analyse nach der | |
Theorie von John Maynard Keynes hat er erfolgreich vorangetrieben. Sein | |
Erkenntnisinteresse galt der Frage, wie ein Marktsystem der | |
einzelwirtschaftlichen Rationalität zur gesamtwirtschaftlichen | |
Irrationalität in Form von Krisen führen kann. Dabei hat er auch die | |
Verteilungsfrage in der Tradition von Michał Kalecki und Nicholas Kaldor | |
berücksichtigt. | |
Herbert Schuis Tod sollte zum Anlass genommen werden, sein Werk zu | |
studieren. Dann könnte die Lücke, die er hinterlässt, kleiner werden. | |
17 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Hickel | |
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