# taz.de -- Buch über jugoslawischen Staatsgründer: Titos Schein und Glanz | |
> Kaum einer war so glamourös wie er: Partisan, Revolutionär und Diktator | |
> Tito. Eine neue Biografie zeichnet seinen Weg nach. | |
Bild: Die Titos im Urlaub | |
Es gibt einen einzigen harmonischen Moment zwischen Tito und Stalin, der | |
überliefert ist. Nachdem die jugoslawischen Partisanen mit Unterstützung | |
der Roten Armee die Nazis besiegt hatten, soll der sowjetische Diktator den | |
überraschten Partisanenführer hoch gehoben und gesagt haben: „Ich werde | |
nicht mehr lange leben, (…) aber du wirst Europa erhalten bleiben.“ | |
Es ist eine dieser ironischen Wendungen der Geschichte, dass er damit Recht | |
behalten sollte. Denn obgleich Stalin dem eigenwilligen Jugoslawen schon | |
vor dessen Bruch mit der Sowjetunion 1948 nach dem Leben trachtete, war | |
Tito ein angesehener Staatsmann, als Stalin 1953 starb. | |
Diese Begegnung dieser beiden Männer ist eine von unzähligen Legenden, die | |
sich um den Kommunisten, Partisanenführer, Diktator und Begründer eines | |
alternativen Sozialismus bis heute ranken. Es ist darum nicht überraschend, | |
dass bis heute Wissenschaftler versuchen, hinter die schillernde Fassade | |
Josip Broz Titos zu blicken. | |
30 Jahre etwa hat der slowenisch-italienische Historiker Jože Pirjevec die | |
Archive auf der ganzen Welt durchsucht, vor allem aber unzählige private | |
Notizen ausgewertet. Sein Buch wurde zum Besteller, in Slowenien, wo es | |
2011 erschien, und sogar im antijugoslawischen Kroatien. Nun ist das 700 | |
Seiten starke Buch auch auf Deutsch erschienen. | |
## Geschichte der Ausgestoßenen | |
Eher ungewöhnlich für einen Geschichtsprofessor nähert Pirjevec sich Tito | |
über persönliche Zeugnisse, Nachlässe und Briefe von Weggefährten und | |
flüchtigen Bekannten. Genaugenommen ist „Tito“ weniger eine Biografie als | |
vielmehr ein Buch über den engsten Kreis Titos – im Original heißt es | |
darum: „Tito und Genossen“. Gemeint sind Titos Freunde aus | |
Partisanenzeiten, mit denen er Jugoslawien aufbaute: der Theoretiker Edvard | |
Kardelj, die harte Hand, Alexander Ranković, und der Schriftsteller Milovan | |
Đilas – sie alle sägte Tito im Laufe seiner Regentschaft ab. | |
Umso interessanter ist, dass auch sie nun seine Geschichte schreiben. Und | |
also wird Tito auch als leidenschaftlicher Machtmensch beschrieben, der mit | |
seinen Konkurrenten – wie den Nazikollaborateuren 1945 und den | |
Kominformlern 1948 – ganz nach Stalin’schem Vorbild umging. Tausende | |
verschwanden auf der Gefängnisinsel Goli Otok. | |
Recht schnell rauscht das Buch durch die eher unbekannten ersten 40 Jahre | |
des 1892 in einer kroatischen Bauernfamilie geborenen Josip Broz: Er wurde | |
Schlosser, zog für Österreich-Ungarn in den Krieg, überlebte jahrelange | |
Gefangenschaft in Russland und, nachdem er sich den Kommunisten | |
angeschlossen hatte, die Säuberungen Stalins. Und er stieg schnell auf. | |
Interessant ist vor allem die Zwischenkriegszeit, als Tito ein Agitator von | |
Stalins Gnaden war. In einer Passage über den Spanischen Bürgerkrieg, als | |
Tito Mittelsmann zwischen den Internationalen Brigaden und Moskau war, | |
zitiert Pirjevec ganz nebenbei einige Hinweise, nach denen Tito für die | |
Liquidierung der „Trotzkisten“ in den eigenen Reihen verantwortlich gewesen | |
sein könnte, und endet mit dem Verweis, dass dies aber erst die Öffnung der | |
Archive des sowjetischen Geheimdienstes zeigen werde. | |
## Teurer als König Alexander | |
Nach 100 Seiten entwickelt sich in dem eher episodenhaften Buch so etwas | |
wie ein rote Faden: der Kampf um die Selbstständigkeit Jugoslawiens, Titos | |
Wille, unter keinen Umständen ein sowjetischer Satellit zu werden. Dieser | |
Balanceakt hatte bereits im Zweiten Weltkrieg begonnen, als die | |
jugoslawischen Partisanen aus einem subtilen Spiel zwischen den Sowjets und | |
den Briten siegreich hervorgingen und Tito auf die internationale Bühne | |
katapultiert wurde. | |
Jahrzehnte später, längst jugoslawischer Präsident, schämte er sich für ein | |
Foto, das ihn in der Marschalluniform, die ihm Stalin geschenkt hatte, 1944 | |
bei seinem ersten Treffen mit Churchill zeigt. „Da bin ich in einer Pose, | |
als wäre ich gerade aus dem Wald gekommen“, schrieb er. | |
Ganz abgesehen davon, dass Tito tatsächlich aus seinem | |
Partisanenunterschlupf gekrochen kam, ist es ein Foto, das vieles | |
vorwegnimmt: die charmante Dreistigkeit, mit der Tito sich wenig später auf | |
internationalem Parkett bewegen wird, seinen Hang zur Extravaganz, zu | |
Uniformen, dem Gold der jugoslawischen Könige, exotischen Tieren, den | |
Besitz, den er bewusst inszenierte. Die Fotos dieser Zeit füllen ganze | |
Bildbände: Tito mit Ho Chi Minh auf seiner Jacht, Zigarre schmauchend mit | |
Richard Burton, Walzer tanzend mit Queen Elisabeth. Es war ein geradezu | |
vulgärer Luxus, den Tito sich als Kommunist gönnte. Pirjevec kommentiert, | |
„dass Tito den Staat bedeutend mehr kostete, als König Alexander“. | |
Doch nicht zuletzt dieses Image machte Titos Kampf gegen den Stalinismus | |
greifbar, machte ihn akzeptabel für den Westen. Zwar hatten die USA ein | |
großes Interesse daran, das blockfreie Jugoslawien auf seinem Weg jenseits | |
der Sowjetunion zu stützen, und so akzeptierten sie jahrelang den | |
jugoslawischen Eiertanz zwischen Anerkennung der DDR und Verurteilung der | |
Niederschlagung des Prager Frühlings. | |
## Gleicher unter Gleichen | |
Doch vor allem die Wirkung Titos auf die Staatsmänner seiner Zeit war | |
außergewöhnlich: Richard Nixon und Willy Brandt etwa waren so eingenommen, | |
dass sie sich persönlich für die Finanzierung des „dritten Wegs“ zwischen | |
Markt- und Planwirtschaft auf Pump einsetzten. Jene hoch gelobte | |
Selbstverwaltung, die nie funktioniert hatte. Als Tito 1980 starb, stand | |
Jugoslawien mit 30 Milliarden Dollar in der Kreide. | |
Und dennoch: Der Aufstieg Jugoslawiens vom bettelarmen Agrarland zu einer | |
modernen Gesellschaft mit steigendem Lebensstandard, Konsumgütern, | |
Reisefreiheit und Subkulturen war rasant. Erfolgreich war aber vor allem | |
Titos Außenpolitik. In einem Drahtseilakt schaffte er das Unvorstellbare: | |
ein drittes Lager zwischen den verfeindeten Blöcken zu etablieren. Jože | |
Pirjevec hält das für seine größte Errungenschaft. | |
Der Schulterschluss mit den Abgehängten der Dritten Welt war ein Statement. | |
Als der Präsident 1958 mit der Staatsjacht nach Indonesien, Burma, | |
Äthiopien, Sudan und in die Vereinigte Arabische Republik segelte, | |
„begegnete zum ersten Mal in der Geschichte ein führender europäischer | |
Staatsmann den afrikanischen Führern als Gleicher unter Gleichen“. | |
## Unheilvolle Zukunft | |
Doch als Jugoslawiens Ansehen auf dem Höhepunkt war, war das Land längst in | |
Auflösung begriffen. Die Partei zerstritten, der Slogan „Brüderlichkeit und | |
Einheit“ von Nationalismen zerfressen, der Staat autoritär. Das Ende | |
Jugoslawiens sieht Pirjevec Anfang der 70er Jahre. Da hatte sich Tito einer | |
neuen Generation von Reformern entledigt, die, so deutet es der Autor an, | |
Jugoslawiens letzte Chance gewesen sein könnten. Da war „der Alte“, wie | |
Tito schon als Partisan genannt wurde, beinahe 80 Jahre alt und hatte sich | |
jedes potenziellen Nachfolgers entledigt. | |
Und doch wusste Tito, was sein Tod für Jugoslawien bedeuten würde. „Wenn | |
Sie wüssten, wie ich die Zukunft Jugoslawiens sehe, wären Sie schockiert“, | |
soll er Ende der 70er zu einer Angestellten gesagt haben. Als er 1980 | |
starb, war der Staat am Boden. Die letzte Entscheidung, die Tito auf dem | |
Weg zum Krankenhaus traf, war, den Dinar gegen die Empfehlung der Partei | |
nicht fundamental abzuwerten. Umso größer waren Schock und Trauer über | |
seinen Tod in Jugoslawien und auf der ganzen Welt. | |
Das Buch endet mit einem geschwätzigen Exkurs über „Tito und die Frauen“, | |
wie er wohl in keiner Biografie fehlen darf. Tito war bekannt für seine | |
Affären. Pirjevec schreibt darin seitenweise über die Tyrannei Jovanka | |
Broz’, der 32 Jahre jüngeren First Lady, ohne dabei zum eigentlichen Kern | |
vorzustoßen. Denn Jovanka Broz lebte auf Druck der Partei in den letzten | |
Jahren von Tito getrennt – nicht wegen ihrer Launen, sondern wegen | |
handfester politischer Ambitionen. | |
Nach Titos Tod nahm ihr die Partei die Bürgerrechte und stellte sie unter | |
Hausarrest. Kurz bevor sie vor drei Jahren starb, hatte sie ihre Memoiren | |
vorgelegt. Bei Pirjevec, der das Buch 2011 fertigstellte, wurden sie leider | |
nicht nachgearbeitet. Ein großes Versäumnis, war Jovanka Broz doch die | |
einzige, durchgängige Vertraute Titos. | |
1 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
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