# taz.de -- Ohne Rakija kommt niemand weg: Land der schwarzen Berge | |
> Montenegro ist seit den letzten Balkankriegen bei Urlaubern in | |
> Vergessenheit geraten. Unverbaute Strände garantieren auch im Hochsommer | |
> ein ruhiges Plätzchen | |
Bild: Rafting auf der Tara | |
Eigentlich ist Montenegro ein zweigeteiltes Land. Nicht nur wegen dieses | |
seltsamen politischen Status, mehr noch wegen der Geografie im eigenen | |
Land: 10 Prozent der Gesamtfläche machen die Küste und die Ebenen aus, 90 | |
Prozent gehören den Bergen. Eingeklemmt zwischen Kroatien, Albanien, | |
Bosnien-Herzegowina und einer knapp dreihundert Kilometer langen Küste, | |
gehörte es zum früheren Jugoslawien unter Tito. Vom Balkankrieg nur | |
peripher betroffen, bildet Montenegro heute zusammen mit Serbien den Staat | |
Serbien-Montenegro, verfügt aber über eine eigene Regierung, über eigene | |
Gesetze und - anders als Serbien - über den Euro als Landeswährung. Ein | |
seltsames Konstrukt. Das empfinden auch die 650.000 Montenegriner so. | |
Deshalb haben Unabhängigkeitsbestrebungen hier Hochkonjunktur. | |
Die Geschichte der Küste ist schnell erzählt. Traumstrände, die denen in | |
Kroatien, Italien oder den kleinen Buchten auf Mallorca in nichts | |
nachstehen. Allerdings ohne die dort anzutreffenden negativen Implikationen | |
wie überfüllte Buchten oder kastenförmige Bettenburgen direkt hinter den | |
Strandlinien. Ein Paradies auch für Segler. Neben Herceg Novi im Norden der | |
Küste, der Region rund um die Bucht von Kotor, dem einzigen Fjord am | |
Mittelmeer, und Ulcinje, der südlichsten montenegrinischen Stadt, war vor | |
allem Budva in 2004 einer der beliebtesten Orte am Meer für die knapp | |
200.000 ausländischen Besucher. | |
Die verwinkelte Altstadt mit engen Gassen, schön restaurierten | |
Patrizierhäusern, orthodoxen Kirchen, kleinen Geschäften und einladenden | |
Straßencafés liegt auf einer Landzunge, umgeben von einer Stadtmauer. In | |
früheren Zeiten trotzte sie den zahlreichen Eroberungsversuchen von Römern, | |
Veneziern und Türken, heute bietet sie Ausblick auf die kleine, in | |
türkisfarbenes Wasser eingebettete Hotelinsel Sveti Stefan, die Berge und | |
versteckte Buchten. Aber auch auf die Baukräne, die für mehr Kapazitäten | |
und höhere Standards in den Hotels der Drei- und Viersternekategorie | |
sorgen. | |
Der vorhandene Hotelbestand, selbst in den gehobenen Unterkünften, ist | |
geprägt von sozialistischem Charme: hellblauer Plüschüberzug auf dem von | |
einfachen Metallrohrgestellen umrandeten Bett, ein grünes Telefon aus den | |
1970er-Jahren mit Wählscheibe, grauer Mehrzweckteppichboden. Und manchmal | |
sitzt die ganze Stadt wegen eines kleinen Defekts im Wassersystem einen Tag | |
lang auf dem Trockenen. Dafür wartet nur fünf Minuten vom Bett entfernt, | |
eine einsame verwunschene Felsbucht auf Badegäste. | |
Weg von der Küste, Aufbruch in den anderen Teil Montenegros: in die Berge. | |
Auf dem Weg dorthin noch ein Besuch in einem der vielen serbisch- | |
orthodoxen Klöster, dem ein langbärtiger und von vielen freundlichen | |
Runzeln gezeichneter Pope im schwarzen langen Kleid vorsteht. Er ist für | |
das Seelenwohl der Menschen genauso zuständig wie für die Segnung eines | |
neuen Autos. | |
Kaum sind bei offenen Autotüren die rituellen Worte und Handlungen beendet, | |
wendet sich der Pope den weltlichen Dingen zu: Ohne einen doppelten | |
„Rakija“, eine Art hochprozentiger Grappa, wird kein Besucher trotz der | |
frühen Tageszeit entlassen. Und auch nicht ohne Ermahnung der Frauen, die | |
mit ihren Hosen gegen die Gebote Gottes verstoßen. | |
Die Straße führt weiter nach Cetinje. Bis zur Gründung der Sozialistischen | |
Republik Jugoslawien war Cetinje die Hauptstadt von Montenegro. Kein | |
Wunder, dass sich alle wichtigen historischen Zeugnisse in dieser kleinen | |
Stadt befinden. Hier steht der bescheidene Palast von König Nikola | |
(1841-1921), wunderschöne Häuser beherbergen internationale Botschaften und | |
selbst die dick gepolsterten, dunkelroten Stoffbezüge der Straßencafés | |
zeugen von der einstigen Bedeutung Cetinjes. Alte Männer spielen Schach im | |
Schatten noch älterer Bäume, im Hintergrund zwei junge Frauen im Eingang | |
eines bunt gestylten Sportshops neben ihren nagelneuen Mountainbikes. | |
Solche Kontraste prägen den Alltag überall in Montenegro. | |
Gerade huscht noch ein alter, von der Sonne ausgebleichter Fiat 500 mit | |
aufgestellten Seitenfenstern vorbei, dann ist die kurvenreiche Straße | |
erreicht, die nach Virpazar direkt am Shkodersee führt. Vielleicht einer | |
der letzten, unentdeckten Seen in Europa. Durch eine Allee weißer Seerosen | |
tuckert das Boot dem endlosen Horizont entgegen, begleitet von Vögeln, | |
unter denen nur die Kormorane mit Namen zu benennen sind. Ruhe. Einsamkeit. | |
Und dann: ein übermütiger Sprung ins kühle Wasser. An den entfernten Ufern | |
verraten die zahlreichen Angler unter riesigen Sonnenschirmen den | |
Fischreichtum - vor allem Karpfen, die regionale Spezialität auf den | |
Speisekarten der kleinen Restaurants am See. | |
Dann beginnt das Abenteuer: Enge Serpentinen durch steinige Landschaften | |
führen hinein in die Berge, geben den Blick frei auf tief liegende, | |
mäandernde Flüsse, auf steil abfallende Schluchten. Dazwischen winzige | |
Hochplateaus, die nur wenigen Häusern und Feldern Platz bieten. Wie gut, | |
dass nur hin und wieder ein Auto entgegenkommt, denn die Fahrbahn durch die | |
Karstlandschaft ist abwechselnd durch Erdrutsche oder abgerutschte | |
Teilstücke blockiert. Nur selten ein Warnschild. Ob das den Insassen der | |
Autos genützt hätte, deren Fahrt in einer der Schluchten ein tödliches Ende | |
fand? Bunte Plastikblumen neben marmornen Tafeln mit den Bildern der | |
Verunglückten sprechen ihre eigene Sprache. | |
Das Rätseln darüber ist schnell vergessen, wenn der Blick auf eine Brücke | |
fällt, die in 220 m Höhe über die Pivaschlucht führt. Ein metallenes | |
Wunderwerk - ein kurzer Stopp ist ein Muss. Tief unten, eingequetscht in | |
den schmalen Spalt, den die Schlucht freigibt, rauscht der grünblaue | |
Wildbach über Felsbrocken. Manchmal erreicht ein Hauch der Gischt die | |
staunenden Gäste. Ein Vorgeschmack auf das, was die Taraschlucht bei einer | |
Raftingtour zu bieten hat. Mit achtzig Kilometer Länge ist sie der | |
zweitgrößte Canyon der Welt. | |
Die Fahrt in einem Jeep hinunter zum Einstieg in die Schlucht lässt selbst | |
die Hartgesottensten nicht kalt: 180-Grad-Kurven, die auf dem unbefestigten | |
Trampelpfad nur mit mehrmaligem Vor und Zurück genommen werden können, | |
steile Abhänge, in die Regenwassermassen tiefe Furchen gespült haben. Unten | |
warten gelbe Schlauchboote darauf, die neoprenverpackten Gäste durch die | |
tosenden Fluten zu jonglieren. Den beiden Bootsbegleitern macht es | |
sichtlich Spaß, das Boot so zu lenken, dass sie beim Ritt durch die | |
Stromschnellen trocken bleiben, während alle anderen von den eiskalten | |
Wassermassen ordentlich geduscht werden. Die Landschaft rechts und links | |
ist ein Traum: Steile, nackte Felswände, Tropenwald-ähnliche Teilstücke und | |
spitze, karge Berge wechseln sich ab. Nur wenige Meter hinter dem Ufer, | |
mitten im Wald, ein Wasserfall. Eine wunderbare Gelegenheit für eine | |
feucht- fröhliche Wasserschlacht, bevor die viel zu kurze Raftingtour dem | |
Ziel entgegen geht. | |
Oberhalb des Ausstiegs gibt eine Brücke den Blick zurück auf den | |
Flussverlauf frei - und auf die deutsche Division einer internationalen | |
Truppe. Die blutjungen Soldaten, mit großen Maschinengewehren im Arm, sind | |
unter einem Grenzschild versammelt, auf dem in großen Lettern „Bosnien- | |
Herzegowina“ steht. Ihr Auftrag: eine geheime Mission. Neugierig fragen die | |
Reisenden nach und nennen Namen ihnen bekannter Kriegsverbrecher. Doch mehr | |
als ein bewusstes Achselzucken bekommen die Touristen nicht als Antwort. | |
Nur wenige Fahrstunden entfernt, liegt Zabljak, mitten im Nationalpark | |
Durmitor. Dieses abgeschiedene Städtchen in 1.410 Meter Höhe ist der | |
Ausgangspunkt für Wander- und Wintersportaktivitäten in den umliegenden, | |
bis 2.523 Meter hohen Bergen. Wer hierher kommt, tut das nicht wegen des | |
Komforts oder der Sehenswürdigkeiten, denn das hat Zabljak nicht zu bieten. | |
Was zählt, ist die Schönheit der vollkommen unberührten, ursprünglichen | |
Natur. | |
Schon ein kurzer Spaziergang zum Crno Jezero, dem Schwarzen See, gibt eine | |
Kostprobe davon. Der Weg führt durch dicht gewachsene Nadelbäume, bis sich | |
am Ende eine Lichtung öffnet. In deren Mitte liegt geradezu majestätisch | |
der See, in dessen glatten Wasser sich die schneebedeckten Berge perfekt | |
spiegeln. Die Ufer leuchten königsblau: Ganze Felder von Enzian haben sich | |
hier angesiedelt. Unbeschwertes Vogelgezwitscher. Glasklare Luft. Für einen | |
Moment kehrt tiefe Ruhe ein. | |
Der Weg zur letzten Station führt durch hochalmähnliche Regionen. Die | |
Landschaft ist so schön und verwunschen wie in den abgelegenen Tälern in | |
Österreich oder der Schweiz: saftige, sanft gewellte Wiesen mit braun | |
gescheckten Kühen, Almen mit Holzhütten aus vergangenen Zeiten und nur | |
drei, manchmal auch fünf fest gemauerten Häusern, denen nie ein Kirchlein | |
fehlt. Der Glaube spielt auch noch in über 1.500 Metern Höhe eine große | |
Rolle. | |
Pünktlich zum Feierabend, die Rückkehr in die Zivilisation - welcome in | |
Podgorica, die Hauptstadt Montenegros: Stop-and-go, lautes Autohupen. | |
Menschen in Anzügen huschen geschäftig von einer Straßenseite auf die | |
andere, im Gepäck noch das Laptop vom letzten Businesstermin. Aber auch | |
schlendernde Pärchen vor Schaufenstern oder fröhlich lachend in einem | |
Straßencafé beim Happy-Hour-Drink. Podgorica ist eine Stadt, die lebt. Eine | |
junge Stadt. An allen Ecken lädt sie ein, sich auf sie einzulassen. | |
Unaufdringlich. Selbst die nüchternen Zweckbauten der sozialistischen | |
Vergangenheit treten in den Hintergrund und machen der überall spürbaren | |
Aufbruchstimmung Platz. | |
Das Flugzeug hebt ab, und mit zunehmender Höhe weitet sich die Perspektive | |
auf das Land der schwarzen Berge. Sechs Tage sind genug, um zumindest eine | |
Ahnung von dem zu bekommen, was dieses Land ausmacht, was es so einzigartig | |
macht. Und das ist neben der unberührten Natur und den vielfältigsten | |
landschaftlichen Reizen das Versprechen für viele weitere Entdeckungen. | |
18 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Marion Zorn | |
## TAGS | |
Reiseland Montenegro | |
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