| # taz.de -- EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei: Der Deal liegt in Trümmern | |
| > Die Bundesregierung behauptet, das Abkommen habe weiter Bestand. Doch die | |
| > EU rückt von einigen Zusagen bereits ab. | |
| Bild: Es wird sicherlich nicht einfacher: Blick auf das Polizeihauptquartier in… | |
| Berlin taz | Nach dem Putschversuch in der Türkei könnte der | |
| Flüchtlingsstrom nach Griechenland wieder anschwellen. Dies befürchtete der | |
| griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas am Montag im Parlament in | |
| Athen. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Vorfälle in der Türkei auch | |
| Auswirkungen auf die Flüchtlingssituation haben“, zitierte ihn der | |
| griechische Fernsehsenders Skai. Mouzalas betonte, er wolle keine Panik | |
| schüren. Aber es sei nun einmal die Aufgabe des Parlaments, auf alle | |
| Eventualitäten vorbereitet zu sein. | |
| Mit einem Flüchtlingsproblem der besonderen Art hat seine Regierung seit | |
| dem Wochenende zu tun. Da setzten acht türkische Soldaten mit einem | |
| Militärhubschrauber nach Griechenland über und beantragten politisches | |
| Asyl. Die Türkei verlangt nun die Auslieferung der „Verräter“, denen sie | |
| eine Beteiligung am Putschversuch vorwirft. Griechenland will den Fall erst | |
| einmal prüfen. Rechtlich liegen die Dinge völlig anders als bei | |
| Flüchtlingen aus Syrien und anderswo, denn die Türkei ist für sie kein | |
| „sicherer Drittstaat“, sondern ihr – zunehmend unsicher werdender – | |
| Herkunftsstaat. | |
| Seit im März diesen Jahres das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der | |
| Türkei in Kraft getreten ist, hat sich die Zahl der Flüchtlinge und | |
| Migranten, die von der türkischen Küste aus nach Griechenland übergesetzt | |
| haben, stark verringert – von täglich bis zu 2.000 Menschen im Februar auf | |
| nur noch wenige Dutzend pro Tag im April. Doch nun wächst innerhalb der EU | |
| die Befürchtung, Ankara könne den Flüchtlingspakt einseitig aufkündigen. | |
| Der Hamburger Politologe Yaşar Aydın hält das für unwahrscheinlich. „Mein… | |
| Wissens ist die Türkei bisher ihren Verpflichtungen nachgekommen und ich | |
| gehe davon aus, dass sie das auch weiter tun wird“, sagte er der taz. | |
| „Erdoğan kann es sich nicht leisten, sich auch in der Flüchtlingsfrage mit | |
| der EU zu überwerfen und als Unterstützer von Schleuserbanden dazustehen.“ | |
| Er äußerte aber die Befürchtung, „dass durch das Chaos im Staatsapparat | |
| eine Sicherheitslücke entsteht, die den Schleusern die Arbeit erleichtert.“ | |
| ## Erst 798 Flüchtlinge aufgenommen | |
| Die Türkei hat der EU zugesichert, alle Flüchtlinge zurückzunehmen, die | |
| seit März neu auf den griechischen Inseln ankommen. Im Gegenzug | |
| verpflichtete sich die EU, dafür die gleiche Zahl syrischer Flüchtlinge | |
| direkt aus der Türkei aufzunehmen. Außerdem stellte die EU der Türkei in | |
| Aussicht, den Visa-Zwang für ihre Bürger aufzuheben und die | |
| Beitrittsverhandlungen zur EU wieder aufzunehmen. | |
| Bis Juli hat die EU aber erst ganze 798 syrische Flüchtlinge aus der Türkei | |
| aufgenommen, 294 davon kamen nach Deutschland. Kanzleramtsminister Peter | |
| Altmaier (CDU) ist dennoch der Ansicht, dass das Flüchtlingsabkommen weiter | |
| Bestand habe. Beide Seiten müssten ihre Verpflichtungen weiterhin erfüllen, | |
| und „das werden sie auch tun“, sagte er der Saarbrücker Zeitung. | |
| Allerdings ist die EU von einigen Zusagen bereits abgerückt. Weil sich | |
| Ankara schon vor dem Putsch weigerte, seine Terrorismusgesetze | |
| abzuschwächen, wurde die Visa-Frage auf die lange Bank geschoben. Zuletzt | |
| wurde der Oktober als Termin für das Ende der Visa-Pflicht genannt. | |
| EU-Kommissar Günther Oettinger hält eine solche Entscheidung noch in diesem | |
| Jahr nun aber für unwahrscheinlich. Er gehe davon aus, dass es „zum | |
| Jahreswechsel noch keine Regelung“ geben werde. Scharf kritisierte er, dass | |
| die Immunität von Abgeordneten aufgehoben wurde, Journalisten | |
| eingeschüchtert und jetzt „missliebige Richter zu Tausenden aus dem Verkehr | |
| gezogen“ würden. | |
| Mehrere EU-Politiker, darunter die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, | |
| sehen die zur Zeit debattierte Wiedereinführung der Todesstrafe als rote | |
| Linie der Beitrittsverhandlungen. Das gilt nicht nur für die EU, sondern | |
| auch für den Europarat. Das Gremium erklärte, mit der Todesstrafe könne die | |
| Türkei dort nicht mehr Mitglied sein. | |
| ## Knapp 30.000 Staatsbeamte suspendiert | |
| Seit dem gescheiterten Putsch vom Freitag wurden in der Türkei 8.660 | |
| Menschen festgenommen, unter ihnen Dutzende Generäle, Richter und | |
| Staatsanwälte. Knapp 30.000 Staatsbeamte wurden suspendiert. | |
| Eine Massenflucht wie nach dem Putsch von 1980 befürchtet der Politologe | |
| Yaşar Aydın deshalb aber noch nicht. „Gerade die vielen jetzt vom Dienst | |
| suspendierten Beamten, die weiterhin ihr Gehalt beziehen und die bisher mit | |
| ihren grünen Pässen problemlos nach Europa reisen konnten, werden zunächst | |
| abwarten, wie sich die Dinge weiter entwickeln“, sagt Aydın. | |
| Allerdings vermutet er, dass viele Hochqualifizierte sich nach Arbeit in | |
| Deutschland oder in den USA umschauen werden, weil sie über die Entwicklung | |
| in der Türkei besorgt sind. „Einen solchen Exodus gab es schon vorher, und | |
| der wird sich fortsetzen“, prognostiziert der Politologe. | |
| 19 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
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