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# taz.de -- Nationaltrauer in Frankreich: Buhrufe vor der Schweigeminute
> Eine zornige Menge in Nizza verlangt den Rücktritt der Regierung. Diese
> wiederum fordert die Bevölkerung zum Dienst in Reserveeinheiten auf.
Bild: Unter polizeilicher Beobachtung: der Pariser Stadtteil Montmartre
PARIS taz | Im Rahmen einer dreitägigen Nationaltrauer war am Montag in
ganz Frankreich um 12 Uhr mittags eine Schweigeminute für die Opfer des
Attentats in Nizza angesagt. Einen von der Staatsführung unerwarteten
Verlauf nahm die Gedenkfeier unweit des Tatorts bei der Promenade des
Anglais. Der sozialistische Premierminister Manuel Valls, der an dieser
Zeremonie teilnehmen wollte, wurde vor und nach der würdevollen
Schweigeminute von einer wütenden Menge ausgebuht.
Die Protestierenden machen die Regierung verantwortlich und fordern ihren
Rücktritt: Rufe wie „Valls démission!“ und sogar „Assassin!“ (Mörder…
waren zu vernehmen. Wenn dieser Zornesausbruch für manche Anwesende
vielleicht ein Mittel war, Frustration und Angst loszuwerden, war es für
andere eine politische Demonstration. Nizza, wo viele nach 1962 aus
Algerien vertriebene „Pieds noirs“ (europäische Algerienfranzosen) leben,
ist eine Bastion der extremen Rechten.
Von der breiten „ökumenischen“ Solidarität nach dem Angriff auf Charlie
Hebdo und das Bataclan ist nichts mehr übrig. Das Attentat, das 84
Menschenleben und mehr als 50 Schwerverletzte gefordert hat, schürt nicht
nur den Hass auf den Täter, sondern auch die Wut auf die Staatsführung.
Diese tut sich mit Rechtfertigungen und dem Versuch, die verunsicherte
Bevölkerung zu beruhigen, schwer.
Eine Mehrheit traut dieser Staatsführung laut Umfragen auch in der
Sicherheitspolitik nichts zu. Ihr Appell an die nationale Einheit verhallt.
Dagegen findet die Kritik Gehör. Noch bevor man genug über den Täter und
allfällige Auftraggeber, über die Umstände und die Vorbereitung des
Massenmords weiß, wird die Regierung aufgrund ihrer Versäumnisse der
indirekten Beihilfe bezichtigt.
## Zweiwöchige Ausbildung
Was kann sie jetzt tun? Innenminister Bernard Cazeneuve hat schon am Tag
nach dem 14. Juli „alle patriotischen Franzosen, die das wollen“,
aufgerufen, sich selber an der Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit
zu beteiligen. Wer mindestens 17 Jahre alt und bei guter Gesundheit ist,
die französische Staatsbürgerschaft und keine Vorstrafen hat, kann sich für
den Einsatz bei den Reserveeinheiten melden.
Nach einer mindestens zweiwöchigen Ausbildung können diese Freiwilligen –
uniformiert und bewaffnet – an der Seite der Polizisten, Gendarmen und
Soldaten zum Schutz ihrer Mitbürger eingesetzt werden.
Natürlich ist nicht geplant, diese neuen Reservisten aus dem Volk in der
vordersten Linie bei Konflikten einzusetzen, aber sie könnten bei der
Bewachung von Bahnhöfen, Flughäfen oder öffentlichen Anlagen eingesetzt
werden. Für ihren Dienst erhalten sie 50 Euro pro Tag, mehr im Fall von
Einsätzen.
Auch bisher hatte der Staat die Möglichkeit, ehemalige Polizisten oder
Gendarmen in Notsituationen in den Aktivdienst zurückzubeordern. Neu ist
das Ausmaß dieser zivilen Truppe. In den nächsten Wochen möchte Cazeneuve
12.000 Freiwillige zusammentrommeln, bis 2017 sollen es 40.000 sein.
## Nähe zur Bevölkerung
Die Regierung sucht mit diesem Appell die Nähe zur Bevölkerung. Unschwer
erkennt man auch das Vorhaben einer „Nationalgarde“, von der Staatschef
François Hollande nach der Attentatswelle des 13. November gesprochen
hatte.
Wenn es nur darum ginge, die Polizisten bei Routineaufgaben zu entlasten,
wäre dem kaum etwas zu entgegnen. Doch in der Idee einer Mobilisierung von
Freiwilligen zur Verteidigung der inneren Sicherheit steckt auch das Risiko
einer Bürgerwehr, deren mangelnde Vorbereitung und Kontrolle Gefahren für
die Gesellschaft bergen.
18 Jul 2016
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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Nizza
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