# taz.de -- Machtkampf im Südsudan: Eine schwierige Heimat | |
> Fünf Jahre nach der Unabhängigkeit wird im Südsudan wieder gekämpft. Die | |
> einen fliehen, die anderen bleiben. Gibt es noch Hoffnung? | |
Bild: Diese Flüchtlinge sind auf dem Gelände einer Kirche in Juba untergekomm… | |
NAIROBI taz | „Ich liebe meine Heimat, trotz des Wahnsinns“, sagt Victor | |
Lugala, ein Schriftsteller, Dichter und Journalist, der im Südsudan lebt. | |
„Bei uns sagt man: Wenn deine Mutter Lepra hat, lässt du sie doch auch | |
nicht allein.“ Der 52-jährige vollschlanke Mann, meist mit dem Anflug eines | |
Lächelns im Gesicht, ist erschüttert von der jüngsten Gewalt in seiner | |
Heimat, aber auch froh, noch am Leben zu sein. In dem weltweit jüngsten | |
Staat bekämpfen sich zwei Rivalen und sorgen für Tod, Angst sowie Hunger | |
und Vertreibung. | |
Es ist gerade mal eine gute Woche her, als Lugala sich in seinem Badezimmer | |
versteckte. Denn da kämpften sie wieder auf den Straßen der Hauptstadt | |
Juba, die Einheiten der Armee des Präsidenten Salva Kiir und die Truppen | |
von Vizepräsident Riek Machar – mit Maschinengewehren, Panzern und | |
Hubschraubern. Große Teile der Stadt, die erst vor ein paar Jahren | |
aufgebaut worden sind, liegen in wieder Trümmern. | |
Wie viele Menschen bei den Gefechten gestorben sind, weiß keiner genau. Die | |
UNO geht von Hunderten aus, aber es können viel mehr sein. 35.000 Menschen | |
sind auf der Flucht. Viele befürchten jetzt, dass der Südsudan wieder | |
Schauplatz eines regelrechten Bürgerkriegs wird, auch wenn ein | |
Waffenstillstand angekündigt wurde. | |
In dem Land mit vielen Krankheiten, die andernorts unbekannt sind, ist die | |
schlimmste Krankheit seine Führung. Die Rebellen aus der Zeit des Kriegs | |
gegen den nördlichen Nachbarn Sudan, der 1983 bis 2005 ausgefochten wurde, | |
haben jetzt das Sagen. Sie sind das harte Leben im Busch gewohnt, wo andere | |
Gesetze gelten. Seit der Unabhängigkeit des Südsudan tragen sie Anzüge und | |
sollen das Land aufbauen – ohne Ausbildung, aber mit umso mehr | |
Enthusiasmus. | |
Der Westen steckte riesige Summen in den Südsudan, dessen Bevölkerung | |
überwiegend christlich ist oder Naturreligionen anhängt. Die ehemaligen | |
Rebellen aber glauben, das Geld sei ihres. Schließlich haben sie für das | |
Land gekämpft. Fünf Jahre nach der Unabhängigkeit ist die Staatskasse leer, | |
das Geld verschwunden. | |
## Flucht nach Kenia | |
Die beiden größten Völker des Südsudan sind die Dinka, zu ihnen gehört | |
Präsident Salva Kiir, und die Nuer, denen Vizepräsident Riek Machar | |
angehört. Beide sind Hirtenvölker, die sich seit Langem bekämpfen. Im | |
Dezember 2013, zwei Jahre nach der Unabhängigkeit vom Nordsudan, brach | |
wegen ihrer Rivalität erneut ein Bürgerkrieg aus. „Das kam damals völlig | |
unerwartet. Ich hatte Angst. Ich hatte noch nie Krieg erlebt“, sagt Enrica | |
Valentini. Die 34-jährige Italienerin koordiniert die Zusammenarbeit von | |
sieben unabhängigen Lokalsendern. 2013 ließ sie sich nicht evakuieren. | |
Dieses Mal floh sie nach Kenia. | |
„Die Kämpfe waren viel schlimmer als 2013. Ich glaube nicht, dass es vorbei | |
ist, trotz des angeblichen Waffenstillstands.“ In nächster Zeit will sie | |
bei Freunden in Nairobi bleiben und von dort aus arbeiten. Die kleine, | |
schmächtige Frau, die sonst wenig spricht, ist aufgeregt. Händeringend | |
erzählt sie immer wieder, was sie erlebt hat. Enrica Valentini ist zwar | |
glücklich, weg zu sein, ist aber gleichzeitig beschämt, dass sie ihre | |
südsudanesischen Mitarbeiter zurücklassen musste. | |
Victor Lugala, der Südsudaner, kann sein Land nicht einfach verlassen. | |
Männer brauchen dafür die Zustimmung des Nationalen Sicherheitsdiensts oder | |
zahlen Schmiergeld an die Soldaten an der Grenze. Ein Soldat an der Grenze | |
zu Uganda soll zu einem Ausländer gesagt haben: „Warum sollt ihr Geld mit | |
ins Ausland nehmen dürfen, während wir Soldaten schon seit Monaten kein | |
Gehalt bekommen, weil die Regierung pleite ist? Ich habe Hunger, meine | |
Familie hat Hunger. Du musst mir dein Geld geben.“ Der Ausländer möchte | |
namentlich nicht genannt werden, weil er südsudanesischer Herkunft ist. | |
Lugala will die Hoffnung nicht verlieren. Er denkt zurück an die Tage, als | |
sein Badezimmer der sicherste Ort im Haus war. „Ich verstehe die Sprache | |
der Waffen nicht. Manchmal war es staccato, manchmal nonstop. Und dann gab | |
es diese plötzliche Stille, bevor es wieder losging, die genauso | |
beängstigend war.“ | |
Der Schriftsteller vermisst seine Familie, die schon zu Beginn des Kriegs | |
2013 nach Kampala, die Hauptstadt Ugandas, geflohen ist. Er weiß, dass er | |
Geduld haben muss. „Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wenn man den Südsudan | |
wie ich als Zuhause betrachtet, als einzige Heimat, dann muss man daran | |
glauben, dass es eines Tages besser wird.“ | |
## Die Kontrolle verloren | |
Die Frage ist, wie es besser werden kann. Präsident Kiir und Vizepräsident | |
Machar scheinen nicht imstande zu sein, für eine rosigere Zukunft zu | |
sorgen. Immer öfter hört man, dass beide weg müssen. Auch, weil sie ihre | |
Truppen, Hunderte von Generälen und Offizieren, nicht unter Kontrolle | |
haben. Selbst die politische Kontrolle hat Kiir verloren, an den Stabschef | |
der Armee, Paul Malong. Zahlreiche Beobachter glauben, dass er hinter den | |
jüngsten Kämpfen steckt. Malong macht kein Geheimnis daraus, dass er gegen | |
das Friedensabkommen ist, das für eine Übergangsregierung sorgte, in der | |
alle Seiten des Konflikts vertreten sind. Damit büßen die Dinka, zu denen | |
auch Malong gehört, ihre Vormachtstellung ein. | |
Während die Kämpfe vor allem in der Hauptstadt stattfanden, spürt das ganze | |
Land die Konsequenzen. Früher kamen die meisten Lebensmittel im Südsudan | |
aus den Nachbarländern Kenia und Uganda. Das ist nun vorbei. | |
„Selbst wenn wir Geld hätten: Auf dem Markt gibt es nichts zu kaufen“, | |
schreibt Luka Di Gumwell, der für die katholische Kirche im | |
südsudanesischen Rumbek arbeitet. Über dem staubige Städtchen in der | |
Savanne liegt eine gedrückte Stimmung. Der junge Dinka-Mann, frisch | |
verheiratet, schreibt in einer E-Mail, wie seine Freude über die Zukunft | |
mit seiner Frau umgeschlagen ist in Frustration. „Die Lage war während des | |
Unabhängigkeitskriegs gegen den Norden besser als jetzt. Damals lebte ich | |
als Kind im Busch. Unsere Nahrung war Hoffnung. Jetzt haben wir nicht | |
einmal mehr die.“ | |
18 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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