# taz.de -- EMtaz: Frankreich darf noch hoffen: In der Defensive hakt es noch | |
> Frankreichs Achtelfinalsieg über Irland ist Folge eines Systemwechsels. | |
> Ist das die Lösung für den Gewinn des EM-Titels? | |
Bild: Der französische Nationalspieler Paul Pogba zeigt Künststücke | |
Lyon taz | Eine der tröstenden Geschichten des Fußballs ist die späte | |
Entpuppung. Alles kann sich immer noch zum Wunderbaren fügen. Das ist der | |
Gedanke, der die Stakeholder vieler Teams durch das Turnier trägt. Bis sie | |
plötzlich raus sind und es sich demnach nicht gefügt hat. Zu denen, die | |
noch ernsthaft hoffen dürfen, gehören nach dem 2:1 über Irland im | |
EM-Achtelfinale von Lyon die Franzosen. | |
Antoine Griezmann drehte am Sonntag mit zwei Toren (58., 61.) das Spiel, | |
das eine Halbzeit lang den Iren gehörte. Ohne dass diese dafür mehr mit dem | |
Ball hätten tun müssen, als ihn wegzuschlagen. Paul Pogbas unelegantes | |
Einsteigen gegen Shane Long hatte zu einem Strafstoß geführt, den Irlands | |
Robby Brady über den Innenpfosten zum frühen 1:0 ins Tor schoss (2.). | |
Es war danach zumindest für den nicht regelmäßigen Frankreich-Betrachter | |
unmöglich zu erkennen, mit welchen Strategien und Automatismen Trainer | |
Didier Deschamps seine Individualisten dort in Ballbesitz bringen wollte, | |
wo diese etwas hätten kreieren können. | |
Die Iren sind eines dieser Teams, die das Verteidigen geübt haben und das | |
Angreifen nicht üben müssen. Das hat sie nun erstmals überhaupt in ein | |
EM-Achtelfinale gebracht. Unvergessen, wie indigniert DFB-Trainer Joachim | |
Löw nach eine 0:1 Niederlage in der EM-Qualifikation war, als er von 100 | |
langen irischen Bällen sprach, von denen man 99 souverän kontrolliert habe. | |
Aber einen eben nicht. So war das auch diesmal. Die Iren und ihr Trainer | |
Martin O'Neill sagten hinterher unisono, dass sie in der Pause gedacht | |
hätten, sie würden das Spiel gewinnen. So verzweifelt hätten die Franzosen | |
gewirkt. | |
## Und plötzlich lief es | |
Mitentscheidend war daher sicher Deschamps' Wechsel zur zweiten Halbzeit. | |
Er wechselte nicht nur den Bayern-Spieler Kingsley Coman für Kante ein, er | |
veränderte damit die Statik des französischen Spiels. Der Tempodribbler | |
Coman ging nach rechts, Antoine Griezmann dafür auf die Position hinter der | |
Spitze. Und plötzlich ging alles, wo vorher nichts gegangen war. | |
Die individuellen Qualitäten seiner Offensivspieler konnten sich plötzlich | |
zu Ergebnissen addieren, die berühmten Läufe in die Tiefe wurden gemacht, | |
der direkte zweite Ball gespielt, der eine Abwehr wirklich aufreißt. Beim | |
Ausgleich spielte Dimitri Payet den öffnenden Pass, Sagna hatte endlich die | |
Zeit, zu schauen, bevor er in den Rücken der irischen Abwehr flankte. | |
Und Antoine Griezmann ist ein klinischer Vollender, was er nicht nur beim | |
Kopfball zum 1:1 (58.) zeigte, sondern vor allem auch beim 2:1 (61.). | |
Mittelstürmer Giroud hatte die Mitte freigemacht und dorthin einen Flugball | |
per Kopf weitergelenkt: Griezmann verwandelte im direkten Duell gegen | |
Keeper Randolph so perfekt wie bei Atleticos Weiterkommen im Champions | |
League-Halbfinale in München gegen Manuel Neuer. Als Griezmann dann auch | |
noch Irlands Innenverteidiger Duffy zu einer Roten Karte zwang, um das | |
dritte Tor zu verhindern (66.), war das Spiel binnen acht Minuten zu Ende. | |
Martin O' Neill behauptete, der taktische Wechsel sei nicht entscheidend | |
gewesen, sondern der Energieabfall in seinem Team. „Wir hatten nichts mehr | |
übrig. Wir haben alles gegeben“, sagte er. Und dass sie „den kurzen | |
Strohhalm“ gezogen hätten, was die Erholungsphase vor dem Achtelfinale | |
anging. | |
## Gesteigertes Tempo | |
Gastgeber Frankreich hatte tatsächlich einige Tage mehr. Es kann aber auch | |
sein, dass das gesteigerte Tempo in Frankreichs Offensivspiel zu viel für | |
die Möglichkeiten der irischen Verteidigung war. Sowie Nordirland im | |
letzten Vorrundenspiel gegen Löws Deutschland einfach nicht mitkam, weil | |
dessen Offensive zu schnell und gut kombinierte. | |
Nun könnte man versucht sein zu sagen: Aha, Deschamps muss das jetzt | |
einfach immer so machen. Coman rein und dann geht die Post ab. Aber es geht | |
ja darum, Risiko und Risikovermeidung in eine Balance zu bringen, und das | |
muss man immer wieder neu durch trial and error herausfinden. In einer | |
Lage, in der die Beihaltung des Status Quo ganz offensichtlich aussichtslos | |
war, wurde selbst dem vorsichtigen Deschamps schnell klar, dass er die | |
Risikovermeidung, also seinen Quarterback Kante', zugunsten einer | |
offensiveren Formation aufgeben musste. | |
Das hört sich vielleicht jetzt seltsam an, aber das wirklich Bedenkliche | |
des Sonntags von Lyon könnte sein, dass die Franzosen bereits ihr zweites | |
Gegentor geschluckt haben. Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch mit ihrer | |
Hochsicherheitsvariante agierten. | |
Denn auch wenn Teams mit Ambitionen von der medialen Öffentlichkeit vor | |
allem über ihre Offensive bewertet werden: Turniere werden über die | |
Defensive gewonnen. Sie muss hundertprozentig funktionieren, wenn man einen | |
Titel haben will. Wenn Frankreich auf einen Gegner auf Augenhöhe trifft, | |
öffnet der trotz Coman nicht sofort alle Räume, wie es die Iren taten. Aber | |
er nutzt vielleicht die Räume, die Frankreich im Risiko-Modus bietet. | |
Noch kann sich alles fügen. Aber wetten sollte man nicht darauf. | |
26 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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