# taz.de -- Theatermacher Paul Grootboom: Die Fragen nach Schwarz und Weiß | |
> Tarantino der Townships wird Paul Grootboom genannt. Der südafrikanische | |
> Dramatiker macht die Konflikte in der Post-Apartheid-Gesellschaft | |
> sichtbar. | |
Bild: Inszenierung von „Interracial“ in Südafrika | |
Pretorias Vorzeigetheater ist ein riesiger Betonbau mit einer mehrstöckigen | |
Tiefgarage. Das Parkhaus war wichtig, als das Mall-ähnliche Gebäude in den | |
achtziger Jahren während des Apartheid-Regimes gebaut wurde. Damals durften | |
nur Weiße das bewachte Parkhaus nutzen, das Schutz garantierte. Heute | |
jeder. Oder genauer: jeder, der sich die saftigen Parkgebühren leisten | |
kann. | |
Der südafrikanische Dramatiker und Theatermacher Paul Grootboom arbeitet | |
seit zehn Jahren an der Bühne im Zentrum Pretorias. Trifft man sich mit ihm | |
und mit deutschen Theatermachern, die ihm verbunden sind, kommt die Sache | |
mit dem Parkhaus tatsächlich bald zur Sprache. Denn klar, man will ja doch | |
wissen: Wer nutzt es heute? Immer noch vor allem die weißen Südafrikaner? | |
Oder mittlerweile mehr Schwarze? Und wenn, was halten die Weißen davon? | |
Was, wenn ein Schwarzer in einer Luxus-Limousine einem Weißen den letzten | |
Platz wegschnappt? | |
Eine solche Parkhaus-Szene würde sich in seine Theaterstücke nahtlos | |
einpassen: mit einem weißen Parkhauswächter, einem schwarzen Autofahrer, | |
Streit entfacht sich in schnellen Wortwechseln, angefeuert von Vorurteilen | |
und Unterstellungen. | |
Die Fragen nach Schwarz und Weiß zu stellen ist ganz in Grootbooms Sinn. | |
Sie führen in das Erbe der jahrzehntelangen Ungleichheit, die komplizierten | |
Beziehungen zwischen schwarzen und weißen Südafrikanern in der | |
Post-Apartheid-Gesellschaft. Wie sich die Folgen der jahrzehntelangen | |
Ausgrenzung und Unterdrückung in der Gegenwart fortschreiben, macht | |
Grootboom in seiner Arbeit sichtbar. | |
## Geschichten von der Straße | |
Halbstarke Typen von der Straße stehen bei ihm im Zentrum: korrupte Cops, | |
arbeitslose Lehrer, Prostituierte, Gestrandete aller Couleur. Wer welche | |
Hautfarbe hat, erschließt sich beim Lesen nicht immer sofort. In | |
„Inter-Racial“ etwa begegnen sich in einer Szene eine Prostituierte und ein | |
Freier. Er ein Schwarzer, der sich ausgenommen und diskriminiert fühlt, | |
weil 100 Rand viel zu viel verlangt sind selbst für eine „White Premium | |
Pussy“. Er beruft sich auf alte Verhältnisse, als sein Vater die Mutter | |
vergewaltigt hat, und fordert ihren Dienst gratis ein. Zu zahlen findet er | |
anmaßend. | |
Genauso wie die Nutte Ivy dann die Hilfe eines Weißen empört ablehnt, der | |
ihr im Handgemenge zur Hilfe eilt: „Dass sich der Weiße wirklich einbildet, | |
eine Prostituierte auf der Straße beschützen zu können.“ Es bleibt offen, | |
was ihre Ablehnung provoziert: weil sie glaubt, weiße Männer seien Gewalt | |
gegenüber gleichgültig? Oder weil die Weißen die Schwarzen viel zu lange | |
unterdrückten, statt zu helfen? | |
In einer Kettenreaktion vermischen sich Vorurteile mit Unterstellungen, | |
ausgelöst durch tief sitzende Erfahrungen, die sich nicht eindämmen lassen. | |
Aber in Ermittlungsarbeit aufgedeckt werden können. So entstehen glaubhafte | |
Szenen wie in „Inter-Racial“. | |
Ein Privatdetektiv wird beauftragt von einem Mann, dessen verstorbene | |
Ehefrau einen Geliebten hatte. Einen Schwarzen, wie sich später | |
herausstellt. Um diese Ermittlungsarbeit geht es, das Aufdecken der | |
Vergangenheit und der ungelösten Konflikte. Moralische Erlösung oder ein | |
Happy End bleiben verwehrt, aber Grootboom vermeidet auch den Gang zur | |
Anklagebank. | |
Beide Seiten, Schwarze und Weiße, erleben ein Rein-Tisch-machen | |
gegenseitiger Vorurteile, eine theatrale Wahrheitsfindungskommission, die | |
nicht im Richtersaal, sondern auf der Straße spielt, und mit ihrer verbalen | |
Schlagfertigkeit wachsen einem diese Figuren ans Herz, kommen einem nah in | |
ihrem inneren Gefangensein. Das ist die gute Botschaft, die Grootboom | |
mitbringt. | |
## Preis in Deutschland | |
Ende Mai war er nach Köln gereist, wo er mit dem Jürgen Bansemer & Ute | |
Nyssen Dramatikerpreis ausgezeichnet wurde. Die Theaterverlegerin Nyssen | |
hatte seine Inszenierung „Township Stories“ auf einem Gastspiel in Paris | |
entdeckt. Eine Arbeit, die bereits vor zehn Jahren in Südafrika entstand | |
und wohl noch eine Weile gültig bleibt. | |
Man könne an Grootbooms Stücken ermessen, „wie weit der Weg noch ist, bis | |
die Dämonen der Apartheid ausgetrieben sein werden“, resümierte der | |
Literaturkritiker Christopher Schmidt in seiner Laudatio auf den 40 Jahre | |
alten Dramatiker. | |
„Township Stories“ erzählt in mehreren Handlungssträngen die Geschichte | |
eines perversen Serienmörders, dessen Vergangenheit nach und nach ans Licht | |
kommt. Wie er die Mutter verlor, vom Vater missbraucht wurde und | |
schließlich seinen ersten Sexualmord begeht – ein Kreislauf der Gewalt, in | |
dem aus einem traumatisierten Opfer ein neuer Täter wird. | |
Grootboom spart nicht mit Sex, Crime, schnellen Cuts. Der Ruf eines | |
Tarantino der Townships eilt ihm mittlerweile voraus, auch wenn daran beim | |
genauen Hinschauen wenig Wahres bleibt. | |
Grootbooms schnelle filmische Spielweisen vermögen jedoch das Publikum zu | |
gewinnen, das von Fernsehen, Film und Fußball geprägt ist. Die schwarzen | |
süfafrikanischen Zuschauer haben das Theater mit dem Ende der Apartheid | |
entdeckt. Seitdem boomt eine Community-Theater-Szene, in der | |
halbprofessionelle Spieler ihre eigenen Themen einbringen. | |
Auch in den Townships gibt es solche Theater. Was sich dort sonst verändert | |
hat? „Nichts“, sagt Grootboom, darüber darf man sich keine Illusionen | |
machen: „Die Townships sind das größte Erfolgsmodell der Apartheid, viel zu | |
erfolgreich, um abgeschafft zu werden. Die Schwarzen zwang man zur | |
Umsiedlung, bis heute zieht kein Weißer freiwillig dorthin.“ | |
Grootbooms Stücke sind biografisch geprägt. Wie sehr, konnte man bei der | |
Preisverleihung in Köln bei seiner Dankesrede hören. 1975 wurde er in | |
Soweto geboren und wuchs selbst in einem Township auf. Nun erzählt er, wie | |
er permanent häusliche Gewalt durch die Großeltern und den Onkel erfuhr. | |
„Alle haben das erlebt: Die Väter kamen nach Hause und misshandelten die | |
Kinder und Mütter auf alle Weise, die man sich vorstellen kann, es war die | |
Norm“. Eine kollektive Erfahrung mit Nachwehen, doch Mitleid sei das | |
Letzte, worum es gehe, so Grootboom. | |
Nach zehn Jahren im Education Department des Theaters arbeitet Grootboom ab | |
nächster Spielzeit wieder verstärkt als freier Regisseur und Dramatiker. | |
Man wird ihn dann auch in Europa auf der Rechnung haben, Koproduktionen | |
sind bereits in Planung. Grootbooms Arbeiten drehen sich immer auch ums | |
Selbstverständnis des Sprechens über gesellschaftliche Trauma und das, was | |
das Publikum belastet. Das macht ihn auch hier zu einem interessanten | |
Dramatiker. | |
7 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Simone Kaempf | |
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