# taz.de -- Freiräume in Friesland: Provokation war gestern | |
> Im alten Kurhaus in Dangast treffen sich Unangepasste und Künstler. Mit | |
> der neuen Generation wird der Künstlerort massentauglich | |
Bild: Wacht über den Strand am Jadebusen: Die Frauenstatue der Jade. | |
DANGAST taz | Die Gäste des Kurhauses im friesländischen Dangast haben den | |
Jadebusen mit Leuchtturm vor der Nase. Der Sandstrand unten an der | |
Deichmauer gehört zum Haus. Drinnen gibt es hausgemachten Rhabarberkuchen. | |
Seit Ende der 70er-Jahre ist der bei den Gästen Kult. Um ihn zu bekommen, | |
stellen sie sich geduldig in die Warteschlange, die oft quer durchs Lokal | |
reicht. Ein stereotypisches Café für Nordseetouristen, so scheint es. Wäre | |
da nicht dieses Schräge. | |
So ragt am Strand, von der Terrasse aus gut sichtbar, ein drei Meter hoher | |
Granitphallus aus dem Sand. Diese Seltsamkeiten sind Spuren der Künstler, | |
die sich seit den 70er-Jahren im Kurhaus trafen und ihm den Ruf bescherten, | |
eine Insel für das Unangepasste, Skurrile zu sein. | |
Seitdem ihr Vater Karl-August das Kurhaus 1977 von ihrem Großvater | |
übernommen habe, sei das so, sagt Betreiberin Maren Tapken. Sie sitzt an | |
einem der Tische mit rot-weiß karierter Decke. Gerade noch hat sie mit | |
ihrem Team hinter der Theke im Akkord Kuchen verkauft. Jetzt ist später | |
Nachmittag, die Kuchenschlange ist kürzer geworden. | |
Das Kurhaus ist seit 1884 im Besitz der Familie. Tapken hat es von ihrem | |
Vater übernommen, der im Frühjahr starb. Neben dem Café und Restaurant gibt | |
es ein Kulturprogramm mitsamt Lesungen, Konzerten, Theater, Kino. Das | |
organisiert Till Krägeloh. Er holte Heinz Strunk, Katrin Bauerfeind, Rocko | |
Schamoni oder Harald Martenstein in das Dorf mit seinen nicht mal 600 | |
Einwohnern. | |
Zum Musikfestival Watt en Schlick hatte er die Idee. Ende Juli findet es | |
zum dritten Mal unten am Privatstrand der Tapkens statt. Sein | |
„Herzensprojekt“, wie er sagt. Krägeloh erwartet erstmals 4.000 Menschen. | |
„Das ist der Wahnsinn“, sagt er. Hier, am Tisch mit der Karodecke, hat er | |
den Nachmittag verbracht, sich mit Unterstützer getroffen. Es ging um den | |
Bühnenbau, die zusätzliche Campingwiese. | |
Tapken und Krägeloh sind ein eingespieltes Team. Eines, das an diesem | |
alteingesessenen, etwas schrammeligen Ort hängt. Nach dem Tod von Wirt | |
Karl-August gestalten nun sie das Kurhaus. Tapken erzählt von den | |
Ursprüngen. Davon, wie es ihr Vater in den 70ern zum Treffpunkt für eine | |
neue Kunstszene machte. Das war Jahrzehnte nachdem die Künstler der | |
Dresdener Brücke in den Ort gekommen und 1912 wieder gegangen waren. Und | |
nachdem Maler Franz Radziwill 1921 gekommen, aber geblieben war. | |
Der sei Stammgast gewesen, sagt Tapken. Genau wie Bildhauer Anatol, der | |
fast jedes Wochenende aus Düsseldorf angereist sei. Auch Eckart Grenzer, | |
ebenfalls Bildhauer, sowie der Künstler und selbsternannte Wikingerkaiser | |
Butjatha gehörten zur Szene. „Mein Vater hat sie gefördert“, sagt Tapken. | |
Anatol habe wochentags angerufen und seine Ideen beschrieben. „Mein Vater | |
besorgte im Dorf Hilfe und Material und am Wochenende ging es los.“ So | |
entstand 1977 „Tante Olga“, ein Schiff aus Polyester. Vom Strand aus | |
schipperte sie bis zur Documenta 6 nach Kassel. Die Jade, eine | |
Frauenstatue, die noch am Strand über den Jadebusen wacht, schuf Anatol im | |
Kurhaussaal. Den durfte er außerhalb der Hauptsaison als Atelier benutzen. | |
Im Jahr 1984 stellte Grenzer dann den Phallus am Strand auf, wollte die | |
„Umarmung der Geschlechter“ symbolisieren. Das war der Bild eine Titelseite | |
wert. | |
Im gleichen Jahr fand das erste Punkkonzert im Saal statt. „Punk? Noch nie | |
gehört“, hieß es damals von den Tagesgästen als die ersten Konzertbesucher | |
in Lederjacken und mit Nietengürtel schon nachmittags im Café auftauchten. | |
Er habe das Schräge, Neue, mitunter Provokative gemocht, sagt Tapken über | |
ihren Vater. Dieser Geist sei geblieben. „Hier kann jeder sein wie er ist“, | |
findet auch Krägeloh. Stimmt. Das zeigt der Blick nach draußen auf die | |
Terrasse. Dort haben Familien ihre Tische zu einer langen Kaffeetafel | |
zusammengeschoben. Am Tisch daneben spielen Biker seit Stunden Karten und | |
ein Stück weiter nippen Hipster an ihrem Kaffee. Nur spendet der Phallus | |
heute eher Schatten oder dient als Hintergrund für Urlaubsselfies. | |
Provokation geht anders. | |
Was die Frauenstatue soll, wissen die meisten Gäste wohl auch nicht. Im | |
Abendprogramm tummeln sich zunehmend etablierte Namen. Das Watt en Schlick | |
hat sich der urbanen Musik verschrieben. Das alles wirkt noch immer mit | |
Anspruch und Herzblut gestaltet. Aber auch glatter, gängiger. Ein | |
Generationenwechsel? | |
Das Kurhaus bewege sich verstärkt am Mainstream, sagt Krägeloh. Aber am | |
urbanen, nicht am allgemeinen. Dazu zählt er Rocko Schamoni, der regelmäßig | |
im Kurhaus spiele. „Die Leute kommen aus Hamburg, um ihn hier zu sehen, | |
obwohl sie das auch dort haben könnten“, sagt Tapken. | |
Aber all das Herzblut müsse sich eben auch wirtschaftlich lohnen. Denn das | |
Publikum muss in die Provinz kommen – auch zum Watt en Schlick. „Ich hätte | |
gern ein offenes Festival ohne Zäune, aber ohne Sponsor geht das nicht“, | |
sagt Krägeloh. Deshalb bucht er auch mal aus dem Radio bekannte Künstler | |
wie Flo Mega, Patrice oder Jan Plewka von der Band Selig. Trotzdem will er | |
nicht zu sehr Mainstream sein, holt den Singer-Songwriter William | |
Fitzsimmons aus den Staaten nach Dangast oder Die Nerven aus Stuttgart. | |
Einige habe er vor ihrem Durchbruch auf der Bühne gehabt, zum Beispiel | |
Wanda und Joris. Die seien mittlerweile groß, sagt er nicht ohne Stolz. | |
„Gleichzeitig sind wir noch immer Plattform für die Kunst“, sagt Krägeloh. | |
Er erzählt von der neuen Bühne, die es in diesem Sommer auf dem Festival | |
geben wird. Handgebaut, aus recyceltem Palettenholz. An der Bühne | |
arbeiteten das Festivalteam, Handwerker und Künstler zusammen. Wie in alten | |
Zeiten. | |
Und was ist mit der Performancekunst im Geist der 70er? Einer, die | |
irritiert? „Wir sind dafür offen“, sagt er. Nur sei das nicht planbar, die | |
Künstler müssten auch mit ihren Ideen kommen. Das Kurhaus-Team macht also | |
weiter. Glatter, aber noch eine Spur neben dem Mainstream. | |
26 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Manuela Sies | |
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