# taz.de -- Krieg gegen den IS im Irak: In der Hölle von Falludscha | |
> Wer flieht, riskiert, vom IS erschossen zu werden. Wer bleibt, isst | |
> verrottete Datteln, trinkt dreckiges Wasser und hofft, zu überleben. | |
Bild: Flüchtlinge aus Falludscha im Auffanglager | |
Die Kämpfe und der Nahrungsmangel zwingen immer wieder Menschen zu der | |
gefährlichen Flucht aus Falludscha. In der irakischen Stadt haben sich die | |
Dschihadisten des „Islamischen Staats“ (IS) verschanzt. Unterdessen rückt | |
die irakische Armee langsam vor. Sie hat ihren Vormarsch in den vergangenen | |
Tagen verlangsamt. Die Hoffnung ist, dass mehr Zivilisten aus der Stadt | |
fliehen können, bevor der endgültige Sturm beginnt. Bis zu 90.000 Menschen | |
sollen sich nach UN-Angaben noch in der Stadt aufhalten. | |
Karl Schembri arbeitet für die norwegische Hilforganisation Norwegian | |
Refugee Council in einem Lager, das am anderen Ufer des Euphrat für jene | |
errichtet wurde, denen die Flucht aus Falludscha gelungen ist. | |
„Wir haben in den letzten 48 Stunden einen Massenexodus von über 4.000 | |
Zivilisten erlebt. Wir sind erleichtert, dass sich so viele in Sicherheit | |
gebracht haben. Aber es sitzen immer noch Tausende in der Falle“, berichtet | |
er telefonisch gegenüber der taz. | |
„Sie werden gegen ihren Willen festgehalten. Die Wege nach draußen sind | |
gefährlich“, sagt Schembri und gibt Geschichten der Flüchtlinge wieder, von | |
Wegen, die mit Sprengsätzen versetzt sind und Scharfschützen, die auf | |
Fliehende schießen. Wer Glück hat, kann sich seinen Weg aus der Stadt von | |
den Dschihadisten erkaufen. | |
## Die Enkel sind im Euphrat ertrunken | |
Besonders eingeprägt hat sich dem Mitarbeiter der norwegischen NGO die | |
Geschichte einer alten Frau, die er im Lager getroffen hat. „Diese | |
Großmutter musste zusehen, wie ihre drei Enkel im Euphrat ertranken, als | |
ihr Boot sank. Sie waren 16, 8 und 5 Jahre alt, zwei Mädchen und ein | |
Junge“, gibt er wieder, was die Frau erzählt hat. | |
Ihre beiden Söhne waren vom IS aufgehalten worden. Einer von ihnen stand am | |
Ufer, sah zu, wie das Boot unterging, und rief seine Familie verzweifelt | |
zurück. Die Großmutter war hin- und hergerissen, wie sie später im Lager | |
erzählte: zurück zu ihrem Söhnen und an das vom IS kontrollierte Ufer oder | |
in relativer Sicherheit ausharren. „Ich konnte nicht zurück, weil wir dort | |
am Verhungern waren“, sagte die alte Frau. | |
Jetzt sitzt sie mit Verwandten, die es mit ihr zusammen geschafft haben, in | |
dem Lager. „Sie ist total traumatisiert. Drei Enkel sind ertrunken. Zu den | |
Söhnen hat sie den Kontakt verloren. Sie weiß nicht, ob sie vom IS | |
mitgenommen wurden und ob sie noch am Leben sind“, schildert Schembri. | |
## Kein Essen, kein Wasser, keinen Strom | |
Für die Zivilisten in Falludscha sei das Leben die Hölle, berichten die | |
Flüchtlinge. „Leben in Falludscha, das ist pure Verzweiflung“, fasst | |
Schembri zusammen. Es gäbe kein Essen, kein Wasser und keinen Treibstoff. | |
„Vor allem die Männer werden vom IS eingesammelt und gegen ihren Willen | |
festgehalten“, sagt er. „Die Stadt ist außerdem seit Monaten von der | |
Außenwelt abgeschnitten.“ | |
Hunger sei neben der Angst vor dem IS und den Kämpfen der wichtigste | |
Fluchtgrund aus Falludscha. „Eine Geschichte, die ich immer wieder höre, | |
ist, dass sie verrottete Datteln essen. Sie kochen sie und machen Sirup | |
daraus“, sagt Schembri. Es gebe keine Babynahrung, Grundnahrungsmitteln wie | |
Reis seien extrem teuer. Die Menschen können könnten sich das Wenige, das | |
es noch gibt, nicht leisten. | |
„Viele essen Viehfutter und sind gezwungen, verschmutztes Flusswasser zu | |
trinken. Außerdem gibt es keinen Strom. Sie tunken Datteln in Öl und zünden | |
sie an, damit sie nachts ein wenig Licht haben“, fügt der Mitarbeiter der | |
norwegischen Hilfsorganisation hinzu. | |
Die Armee zieht unterdessen vor der Stadt ihr Militärgerät zusammen und | |
wartet auf den Befehl, den Ort zu stürmen. Die Hilfsorganisationen hoffen, | |
dass es bis dahin noch möglichst viele Zivilisten schaffen, aus der Hölle | |
von Falludscha zu fliehen. | |
## Flüchtlinge werden verhört und misshandelt | |
Wer der Stadt und den Kämpfen entkommen konnte, versucht, in einem der | |
Zelte vor der gnadenlosen Hitze Schutz zu suchen. Die meisten Familien sind | |
auseinander gerissen. Die Männer wurden vom IS gezwungen, zurückzubleiben. | |
Die wenigen, die es geschafft haben, werden von der irakischen Armee und | |
deren verbündeten vornehmlich schiitischen Milizen, verhört. Dabei häufen | |
sich die Berichte von massiven Menschenrechtsverletzungen. Die | |
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, spricht von glaubwürdigen | |
Berichten über Massenexekutionen, Schlägen und Folter von unbewaffneten | |
Männern. Manchen sollen an unbekannte Orte gebracht worden sein und sind | |
seitdem verschwunden. | |
So warten meist Frauen und Kinder im Lager auf der andern Seite des Euphrat | |
auf ihr weiteres Schicksal. Das einzige, was sie im Moment sicher wissen, | |
dass sie zumindest ihr nacktes Leben gerettet haben. | |
16 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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