# taz.de -- EMtaz: Hooligans in Europa: Kodex kaputtgekloppt | |
> Fanforscher beobachten mehr enthemmte Hooligans. Deswegen wundern sie | |
> sich über den Mangel an Kooperation französischer Behörden. | |
Bild: Wollten sich nicht beraten lassen: Polizisten in Marseilee | |
Für die Hooligans ist es bislang eine erfolgreiche Europameisterschaft. Die | |
Partien, die bisher am meisten Aufmerksamkeit erregt haben, fanden auf der | |
Straße statt und wurden mit Fäusten ausgetragen. Das heikelste Match aus | |
deutscher Sicht steht dabei noch bevor: das Spiel gegen Polen heute in | |
Paris. | |
„Das ist eine historisch belastete Begegnung. Für die deutsche wie für die | |
polnische Hooliganszene ist das ein attraktives Spiel“, sagt Fanforscher | |
Robert Claus, „die Mobilisierung über die sozialen Medien war in der | |
deutschen Hoolszene viel größer als für das Spiel gegen die Ukraine.“ | |
Überraschend kamen die jüngsten Gewaltexzesse von Marseille und Lille für | |
Claus nicht. Er forscht über Fankulturen und Gewaltprävention an der | |
Leibniz Universität Hannover und ist Mitglied der Kompetenzgruppe | |
Fankulturen am Institut für Sportwissenschaft GmbH (KoFaS). | |
Dass es in Osteuropa Hooligangruppen gebe, die zum Teil paramilitärisch | |
aufträten, sei lange bekannt gewesen. Er spricht davon, dass Russland und | |
Polen sozusagen aktuell die „Hool-Elite“ stellten. Es würde ihn deshalb | |
wenig wundern, träten die polnischen Hools in Frankreich auch noch in | |
Erscheinung. | |
## Das Phänomen des „Hooltras“ | |
Für das Spiel in Paris rechnet die Zentrale Informationsstelle für | |
Sporteinsätze (ZIS) aber auch mit mehreren Hundert gewaltbereiten deutschen | |
Fans. Am Rande der ersten deutschen Begegnung am vergangenen Sonntag hatten | |
rund 50 deutsche Hooligans ukrainische Fans in der Innenstadt von Lille | |
angegriffen. Claus beobachtet in Deutschland generell ein „Revival der | |
Hooligankultur“. | |
An Fußballstandorten wie in Dortmund habe sich etwa seit Längerem das | |
Phänomen „Hooltras“ abgezeichnet. Dabei handelt es sich um Fans, denen das | |
Ultradasein zu langweilig geworden ist und die sich dem gewalttätigeren | |
Hoolspektrum zuwenden. | |
Bei den deutschen Hooligans seien die Überschneidungen mit der | |
rechtsextremen Szene ziemlich groß – das Erstarken völkischer und | |
nationalistischer Bewegungen gehe in Deutschland wie auch in Europa mit der | |
Renaissance des Hooliganismus einher. | |
Bei Pegida in Dresden etwa seien ja auch Hooligans aktiv gewesen, zudem | |
habe es Phänomene wie HoGeSa (Hooligans gegen Salafisten) gegeben. Für | |
Ultras, die in der Regel nicht für Nationalismus anfällig sind, spielen die | |
internationalen Fußballturniere übrigens kaum eine Rolle. | |
## Acht sogenannte szenekundige Beamte | |
Der Sportsoziologe Gunter Pilz war einer der Experten, die vor dem Turnier | |
vor Gewalteskalation gewarnt haben. „In den einschlägigen Foren wird schon | |
lange mobilgemacht. Es dürfte auch die französische Polizei nicht | |
überraschen, dass viele gewaltbereite Hooligans anreisen“, so Pilz. „Aber | |
die französischen Behörden haben die Kooperation im Vorfeld verweigert.“ | |
Seit Jahren ist ein Austausch von Fußball- und Sicherheitsexperten vor | |
solchen Turnieren üblich – die Franzosen aber hätten gesagt, sie brauchten | |
keine Hilfe. | |
So kam es, dass ganze 8 sogenannte szenekundige Beamte aus Deutschland in | |
Lille waren – angeboten worden und üblich bei den vorangegangenen Turnieren | |
seien etwa 50 Beamte gewesen. Dass die Zahl nun in Paris auf 12 erhöht | |
werden soll, hält Pilz für einen schlechten Witz. „Und wenn Risikopartien | |
wie Russland gegen die Slowakei (Mittwoch in Lille) und England gegen Wales | |
(heute in Lens) zeit- und ortsnah angesetzt sind, ist das ein Problem.“ | |
Daniela Wurbs, Sprecherin der Football Supporters Europe (FSE), ist derzeit | |
beim Turnier und bekräftigt die Kritik an der französischen Polizei: „Wir | |
haben immer wieder vorgeschlagen, dass die Vertreter unserer Fanbotschaften | |
an den Sicherheitsbesprechungen zu allen Spieltagen teilnehmen können – | |
ohne Erfolg. Jetzt – nach den Ereignissen von Marseille – wurden unsere | |
Fanvertreter aus Albanien und Frankreich und auch aus Deutschland, England | |
und Russland plötzlich zu diversen Sicherheitsmeetings vor dem Spieltag | |
eingeladen.“ | |
## Free-Fight und Hooliganismus | |
Dass aber kurzfristig überhaupt wirksame Korrekturen der Polizeiarbeit | |
möglich sind, bezweifelt Sportsoziologe Pilz. „Mehr Polizei bedeutet nicht | |
unbedingt mehr Sicherheit“, betont er. Wenn sie jetzt mit noch mehr | |
Repression und Präsenz reagierten, könne das einen eher gegenteiligen | |
Effekt haben. | |
Wurbs hingegen hofft, dass die französischen Einsatzkräfte aus den Fehlern | |
von Marseille und Lille gelernt haben und die Polizeiaktionen fortan, wie | |
in manchen anderen Ländern üblich, „auf Dialog, Deeskalation und | |
Verhältnismäßigkeit ausgerichtet“ sein werden. Im Vergleich zum | |
Hooliganismus der 80er hält Pilz die neue Generation für „gefährlicher, | |
professioneller und sehr viel brutaler“. Es handle sich um eine völlig | |
entgrenzte und willkürliche Form der Gewalt. „Es gibt da keinen Kodex | |
mehr.“ | |
Ein großes Problem, so sagt Pilz' Kollege Robert Claus, sei die Verbindung | |
von Kampfsportszenen wie Mixed Martial Arts (MMA) oder Free-Fight und dem | |
Hooliganismus. Es gebe in einigen großen Städten extrem große | |
Überschneidungen zwischen den Kampfsportlern, der rechtsextremen Szene und | |
den Hooligans. „Wir beobachten seit Jahren eine ungesunde Verbindung von | |
Kampfsport, rechtsextremer Szene und Hooliganismus. Was wir daher brauchen, | |
ist ein Programm gegen Rechtsextremismus im Kampfsport“, sagt Robert Claus. | |
15 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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