| # taz.de -- Die kroatische Insel Lastovo: Verfluchtes Paradies! | |
| > Lastovo ist ein guter Ort für Verrückte. Und traumhaft schön. Die | |
| > Nachbarinsel gilt als verflucht, weil Tito dort politische Gefangene | |
| > schuften ließ. | |
| Bild: Fast so schön wie Titos Hawaii | |
| Eigentlich passiert immer nichts, aber um halb zehn morgens wird plötzlich | |
| Oma Olga vermisst. Die drei Alten mit der von Tabak und Sonne gegerbten | |
| Haut auf dem Dorfplatz unterbrechen ihr Kartenspiel nur kurz. Kein Wort, | |
| kein Drama. Blicke genügen. Oma Olga ist dement. Manchmal geht sie auf | |
| Entdeckungstour quer über die Insel, die so anrückend simpel ist wie | |
| Lummerland von Lukas und Jim Knopf: Eine kreisrunde Straße rund herum und | |
| eine in der Mitte hindurch. Auf Obstplantagen und Pinienhaine folgen Felsen | |
| und dahinter, wohl abgeschirmt, das Meer. Lastovo ist ein guter Ort für | |
| Verrückte. | |
| Wir sind in Berlin ins Auto gestiegen, um Frieden und etwas Strand zu | |
| finden. Mitten in den Sommerferien ist das nicht leicht. Also über Wien und | |
| Zagreb an die kroatische Adria. Vorbei an Stränden, wo die sonnengeölten | |
| Leiber der Pauschaltouristen Handtuch an Handtuch liegen wie Würstchen auf | |
| dem Grill. Vorbei an Bettenburgen aus Beton aus der Sowjetzeit. Vorbei am | |
| Diokletianpalast im Hafen von Split, weißer Marmor, Shakira-Bumm-Bumm, | |
| Protz und Prunk, Plastik allenthalben. Vorbei, vorbei, vorbei. Bis uns eine | |
| rostige Fähre am Kai von Lastovo ins Paradies entlässt. | |
| ## Der Fluch aus dem Kalten Krieg | |
| Luzia zapft eiskaltes Bier in einer Bar im Hauptort von Lastovo. Der heißt | |
| ebenfalls Lastovo. Luzia hat dunkelbraunes Haar, sie ist schön, sie ist | |
| schlank, sie hat in Zagreb studiert. Sie ist die Enkelin von Oma Olga. | |
| Solange es Oma Olga noch gibt, passt Luzia auf sie auf. „Ach Quatsch“, sagt | |
| sie, „hier geht doch niemand verloren. Heute Abend ist sie wieder da. | |
| Manchmal bringt sie Äpfel oder Weintrauben mit. Nach viel frischer Luft | |
| schläft sie nachts durch. Das tut ihr gut.“ | |
| 792 Menschen lebten bei der letzten Volkszählung 2011 auf dem Inselarchipel | |
| aus 46 Mini-Inseln zwischen Kroatien und Italien, überwiegend sind sie | |
| unbewohnt. Die Hauptinsel, Lastovo, ist rund 10 km lang, 5,8 km breit. Nur | |
| knapp 50 Kinder besuchen die örtliche Inselschule. Jeder kennt hier jeden. | |
| „Mit Lastovo stimmt was nicht“, hatte Josip uns gewarnt, ein cooler | |
| Thirtysomething in neongrünen Badelatschen, der im Hafen von Split | |
| Ferngläser, Sonnenbrillen, Feuerzeuge verkauft. „Ich würde dort nie Urlaub | |
| machen. Das ist ein verfluchter Flecken Erde.“ | |
| Die Inseln zwischen Kroatien und Italien lagen zwischen den verfeindeten | |
| Blöcken. Auf der Insel Goli Otok, zu Deutsch: „nackte Insel“, ließ Tito e… | |
| Strafgefangenenlager bauen. In Steinbrüchen schufteten sich vor allem die | |
| politischen Gefangenen Jugoslawiens zu Tode. | |
| Noch heute wird das unbewohnbare Eiland halb erschrocken, halb spöttisch | |
| „Titos Hawaii“ genannt. Aufgrund der Nähe zum Klassenfeind Italien war auch | |
| das Inselarchipel von Lastovo bis Mitte der 90er militärisches Sperrgebiet. | |
| Der Fluch von gestern, wenn es ihn denn gab, ist heute ein Segen. Wir | |
| lieben, dass es kaum touristische Infrastruktur gibt. Kein Plastik. Kein | |
| Fake. Kein falsches Make-up. Der Ton in den wenigen Kneipen ist rau, von | |
| der Last und dem Argwohn eines Lebens zwischen verfeindeten Blöcken | |
| geprägt. Als Berliner fühlen wir uns sofort zu Hause. | |
| Die bröseligen Militäranlagen recken bizarr ihre Antennen in den | |
| superblauen Himmel. Sie sehen wie schöne Riesendinosaurier im Tiefschlaf | |
| aus. Unsere Fantasie ist dankbar, dass es keine nervige Infotafel davor | |
| gibt, die der Vorstellungskraft ein Korsett anlegen könnte. Hier und da | |
| brennen Feuer, von keiner fucking EU-Immissionschutznorm an ihrem launigen | |
| Züngeln gehindert. Der Geruch ist echt. | |
| ## Exsoldat und Fremdenführer | |
| Kurz nach halb drei betritt Dado die Bar von Luzia. Oma Olga ist noch immer | |
| on the road. Dado, tätowiert, muskulös, durchtrainiert, ist nicht | |
| irgendwer. Er ist Exsoldat, heute inoffizieller Touristenführer von | |
| Lastovo, eine Inselautorität. In seinem Fiat Panda fährt Dado uns über | |
| holprige Seitenstraßen zu einem Gestrüpp mit Dornen. Mit Handschuhen biegt | |
| er den Strauch zur Seite. Eine rostige Klappe aus Metall kommt zum | |
| Vorschein, etwa einen Meter breit, er zieht daran, nichts tut sich, nur ein | |
| paar Kellerasseln und Eidechsen ergreifen die Flucht. Er zieht noch einmal. | |
| Unter fürchterlichem Jaulen springt eine Falltreppe auf, die den Blick | |
| freigibt auf einen Schacht, geschätzte zwanzig Meter tief geht es hier | |
| abwärts, es riecht vermodert, nach Keller: „Willkommen in der Unterwelt.“ | |
| Sigmund Freud, der Erfinder der Psychoanalyse, hätte Spaß an dieser Insel | |
| gehabt. Wie die menschliche Seele verfügt Lastovo über eine zweite Ebene, | |
| ein Unterbewusstsein, schwer zugänglich. Unter dem Urwald und der Macchia | |
| sollen sich Hangars befinden, mit rostigen Lamellenfronten bewehrt, in die | |
| Kriegsschiffe hätten einfahren können. Es soll unterirdische Dome für eine | |
| Vielzahl von Menschen geben. Gigantische Lüftungsanlagen. Artillerielager. | |
| Wofür genau, ist nicht klar. Vielleicht um hier Truppen zu stationieren, | |
| vor den Gestaden des Klassenfeindes Italien, ein als Inselchen getarntes | |
| trojanisches Pferd. Vielleicht aber auch als Schutzraum für den Atomkrieg. | |
| Es dämmert, als wir uns aufmachen zu der Konoba Fumari auf dem Dorfplatz | |
| neben der Schule von Lastovo. Eine Konoba bezeichnet an der kroatischen | |
| Adria ein kleines, familiär geführtes Restaurant. In jeder Gasse frisst | |
| herrlich der Verfall. Decken brechen in sich zusammen, Stroh und Dämmung | |
| wird sichtbar, Bäume wachsen aus offenen Dächern. Höchst elegant, fast | |
| hochnäsig, steht ein knallroter Stuhl zwischen wildem Wein. An einer | |
| Straßenecke ist ein Beamer aufgebaut. Er zeigt in Endlosschleife Fotos aus | |
| der Militärzeit von Lastovo. Die Insel sah damals zivilisierter aus als | |
| heute. Geordneter. Bürokratisch. | |
| ## Die Insel ist ein großer Abenteuerspielplatz | |
| Aufgrund der unberührten Natur wurde das Archipel von Lastovo 2006 zum | |
| Naturschutzgebiet erklärt. Weil das Speerfischen und Harpunieren hier | |
| seitdem verboten ist, ist Lastovo auch ein Paradies für Taucher. | |
| Zackenbarsche und Barakudas gibt es hier noch. | |
| Das Essen in der Konoba ist einfach, schmackhaft und würzig. Tintenfisch, | |
| Dorade, harzig-strenger Landwein. Wie ein Amphitheater, das sich in eine | |
| Armbeuge kuschelt, von den Unwägbarkeiten des Meeres abgewandt, liegt der | |
| Hauptort Lastovo im letzten Licht des Tages vor uns. Mit den Sternen, die | |
| nun aufziehen, an einem der Orte mit der geringsten Lichtverschmutzung in | |
| Europa, meldet sich die Moral zurück: Sollte man über eines der letzten | |
| Geheimverstecke in Europa schreiben? Darf man es weiterempfehlen? | |
| In diese Gedanken hinein biegt eine ältere Dame um die Ecke. Sie schimpft | |
| auf Kroatisch, setzt sich auf eine Steinmauer, nestelt in einer ihrer | |
| Plastiktüten herum, holt etwas hervor und beißt beherzt – in eine rohe | |
| Zwiebel. Der Streit tief in ihr drin ebbt nun ab. Sie kaut und kaut und | |
| wirkt glücklich dabei. | |
| Das muss Oma Olga sein. | |
| 25 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Grabitz | |
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