Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Stadt Split: Betrunken in Kroatien
> Palmen, das Meer, ein Fußballspiel, ein deutscher Krimi und die
> verwinkelten Altstadtgassen der mediterran-dalmatinischen Hafenmetropole.
Bild: Hinter jeder Ecke noch eine Ecke oder ein kleiner Platz mit einer Kirche,…
Es ist Abend, es ist warm: Die Menschen flanieren auf der Riva, auf der
palmengesäumten Uferpromenade der Stadt. Die Kinder essen Eis, spielen mit
Papageienluftballons, die sie gerade vom singenden Verkäufer erworben
haben. Die Cafés und Restaurants sind bis auf den letzten Platz gefüllt,
man trinkt ein Glas Rotwein, isst frischen Fisch, plaudert über dies und
jenes.
Auf dem Meer, auf der Adria, sieht man die flirrenden Lichter der großen
Schiffe und rechts, unter einer Palme, spielt ein alter Mann Geige. Sein
Anzug ist zerschlissen, und ganz offensichtlich hat er auch schon den ein
oder anderen Schnaps zu viel getrunken. Er trifft kaum einen Ton, niemand
hört ihm zu, ich schmeiße, da ich Sonderlinge mag, einen 20-Kuna-Schein in
seinen Hut.
Von der Uferpromenade gelange ich durch das kleine Seetor zum
Diokletianpalast. Vor ungefähr 1.700 Jahren hatte sich der römische Kaiser
Diokletian in Split einen monumentalen Alterssitz erbaut. Im Verlauf der
Jahrhunderte wurde der Palast zu einer bewohnten Festung, um die herum sich
die Altstadt ausbreitete. Im Peristyl, im rechteckigen Freilufthof des
Palastes, tanzen gerade einige ältere Paare Tango. An den Rändern sitzen
Touristen und Einheimische auf roten Samtkissen, die zum Café des Peristyls
gehören. Kellner huschen leichtfüßig mit den Getränken über den Platz, auf
dem einst der Kaiser seine Untertanen empfing.
## Regieanweisung und eine Absperrung
Ich bestelle mir ein Bier, lausche der Musik und bin fasziniert von den
älteren Herren und Damen, die sich, umgeben von antiken Säulen und
Gemäuern, so elegant und hingebungsvoll dem Tanz widmen. Danach schlendere
ich durch die engen Gassen der Altstadt, die seit 1979 zum Weltkulturerbe
der Unesco gehört. Keine Autos, keine Mopeds, nur diese verwinkelten alten
Gassen, in denen man sich wie in einem Labyrinth ständig verläuft.
Hinter jeder Ecke noch eine Ecke oder ein kleiner Platz mit einer Kirche,
Restaurants und Bars. Über den Gassen die aufgespannte Wäsche, aus den
geöffneten Fensterläden das Geschirrklappern und das familiäre
Stimmengewirr des Abendessens. Das alles erinnert mich ein wenig an
Venedig, was ja auch kein Wunder ist, da Split zwischen 1420 bis 1797 unter
venezianischer Herrschaft stand.
Das Laternenlicht schimmert golden auf die glatt gelaufenen Steinplatten
der Gassen. Ich lasse mich treiben, verlaufe mich, und dann, hinter einer
dieser verwunschenen Ecken, stoße ich auf ein Filmteam. Kameras, grelle
Scheinwerfer, Regieanweisungen, aufgeregte Schauspieler und eine
Absperrung.
## In einer gemütlichen Altstadtbar
Es wird Deutsch gesprochen, und ich frage den Mann an der Absperrung, was
sie hier gerade drehen. Er sagt: So eine Serie für die ARD, so einen
Auslandskrimi. Ich gebe die Suchbegriffe ARD, Split und Krimi in mein
Smartphone ein und lese: „Drehstart für die neue ARD Degeto-Krimi-Reihe
‚Branka Maric‘ mit Neda Rahmanian in der Hauptrolle. Im Zentrum steht die
unerschrockene und raffinierte Kommissarin Branka Maric, die erste Frau an
der Spitze der kroatischen Mordkommission. In Episodenhauptrollen sind
Ralph Herforth, Nadeshda Brennicke, Miroslav Nemec und Stipe Erceg zu
sehen.“
Ich lese noch etwas von „pittoresker Stadt“ und „der Mentalität Kroatien…
und denke: Och nö, nicht schon wieder so eine geistlose
Ethnokitschmordkommission wie in Venedig oder Istanbul. Aber dann denke
ich, dass mir das auch egal sein kann, schaue ein wenig bei den
Dreharbeiten zu und trinke zum Abschluss des Abends noch ein Bier in einer
gemütlichen Altstadtbar.
Am nächsten Morgen herrlichster Sonnenschein. Ich packe mir ein Handtuch,
laufe zum nahe gelegenen Stadtstrand Bačvice hinunter, schwimme ein paar
Runden in der tiefblauen Adria und gehe danach zum Obst- und Gemüsemarkt,
der an den mächtigen Wehrmauern des Diokletianpalasts liegt.
Es ist Samstag, der Markt ist riesig, die Menschen schlängeln und schieben
sich durch die engen Gassen, die von hohen Platanen beschattet werden.
Links und rechts Türme mit frischen Tomaten, Paprika, Äpfeln, Feigen,
Gurken, Orangen und Zitronen. Ich kaufe mir ein paar Tomaten, Käse und
Brot, schlendere runter zur palmengesäumten Riva, der Uferpromenade, setze
mich auf eine Bank mit Blick auf das glitzernde Meer und picknicke. Die
Tomaten waren ein Traum, die Tomaten haben geradezu paradiesisch
geschmeckt.
## Palmen und der Diokletionpalast
Westlich der Altstadt überragt der Marjan-Hügel mit seinen tiefgrünen
Wäldern die Stadt. Am Nachmittag steige ich, umflattert von vielfarbigen
Schmetterlingen, den Hügel hinauf. Auf halber Höhe gibt es ein Ausflugscafé
mit einem bezaubernden Panoramablick: Man sieht den Fährhafen und die
Schiffe auf dem Meer, die die Stadt mit den unzähligen kroatischen Inseln
verbinden, sieht die Palmen auf der Uferpromenade, den Diokletionpalast,
die Dächer der Altstadt und den Außenring mit den Tito-sozialistischen
Beton-und Plattenbauten, die sich an das im Hinterland auftürmende Gebirge
anzuschmiegen scheinen.
Ich genieße den Ausblick, trinke einen Café, und dann setzen sich ein Mann
und eine Frau neben mich, die ich zu kennen scheine. Sie sprechen Deutsch,
und ich erinnere mich, dass die Frau die „Kommissarin Branka Maric“ von
gestern Nacht ist. Ich lausche.
Die Frau, die Kommissarin, sagt: „Das ist einfach ein grandios schöner
Drehort“, und der Mann, vielleicht der Regisseur oder Produzent, antwortet:
„Ja, eine wirklich schöne Stadt.“ Und dann sagt die Frau: „Du, der Miros…
Nemec ist ja ein ganz wunderbarer Kollege. Der ist überhaupt nicht eitel
und hat super gespielt.“
## Gute Stimmung im Stadion
Gut zu hören, denke ich, dass der Münchner „Tatort“-Kommissar Batic alias
Nemec nicht eitel ist, und dann denke ich, dass mich das eigentlich gar
nicht interessiert, bezahle meinen Café und schlendere wieder in die Stadt
hinab.
Am Abend laufe ich Richtung Stadion. Hajduk Split spielt gegen Lokomotive
Zagreb. Ich mag Fußball, will mir das Spiel anschauen. Vor einer Kneipe
sehe ich ein paar Fans in Hajduk-Trikots und frage sie nach dem Weg. Stipe,
ein Bulle von einem Mann, mindestens 1,90 groß, tätowiert und Matrose,
spricht sofort deutsch mit mir. Er hat, wie so viele andere Kroaten, ein
paar Jahre in Deutschland gearbeitet. Stipe lädt mich zu einem Schnaps, den
Rakija, ein und noch einen und noch einen.
Stipe sagt: „Split ist wunderschön, die Sonne scheint fast immer, du hast
das Meer, die Palmen und diese lockere Lebensart. Leider kannst du es nicht
genießen, weil es in diesem Scheißland keine Arbeit gibt und alle korrupt
sind. Verstehst du, ohne Geld und ohne Zukunft ist es scheiße hier.
Deswegen gehen wir alle nach Deutschland.“ Ich verstehe, trinke noch einen
Schnaps und laufe alleine weiter zum Stadion.
In einem Supermarkt hole ich mir noch ein Bier. Ich werde immer
betrunkener, kaufe mir ein Ticket für das Spiel. Das Stadion ist schön,
sieht futuristisch aus, hat die Form einer geöffneten Muschel. 20 000
Zuschauer sind gekommen. Ich sitze auf der Gegengerade. Rechts von mir
befindet sich die Fankurve der Torcidas. Die Stimmung ist großartig:
Tausendfache Gesänge, farbenfrohe Choreografien, flammende Bengalos und
fanatische Anfeuerungsrufe. Im Gegensatz zu den Fans ist das Spiel eher
drittklassig. Mir gefällt nur der Rechtsaußen, der hat Talent, aus dem
könnte mal was werden. Am Ende sind trotzdem alle glücklich: Hajduk hat 2:1
gewonnen.
## Schwimmen in der Adria
Beim Verlassen des Stadions treffe ich zufällig wieder auf Stipe, den
tätowierten Matrosen. Er nimmt mich mit in eine Bar. Es läuft kroatische
Rockmusik, wir trinken Rakija, sehr viel Rakija. Stipe spricht vom Krieg,
von den Ustascha-Faschisten und von fernen Ländern, die er bereist hat.
Ständig müssen wir auf Deutschland anstoßen. Stipe liebt Deutschland, und
irgendwann habe ich keine Lust mehr, auf Deutschland anzustoßen und
verlasse vollkommen betrunken die Bar.
Ich verlaufe mich und stoße hinter einer dieser verwinkelten Altstadtgassen
wieder auf das deutsche Filmteam. Ich setze mich hin und beobachte, wie der
Schauspieler Ralph Herforth eine steile Steintreppe hinaufhetzt und in ein
Haus flüchtet. Die Szene wird fünfmal wiederholt: Fünfmal sehe ich, wie
Ralph Herforth diese blöde Steintreppe hinaufrennt. Dann sagt der
Regisseur: „Fantastisch, das war es. Das war die letzte Szene von Ralph.“
Die ganze Crew applaudiert und Ralph Herforth verneigt sich und sagt: „Wie
immer zu wenig Gage. Aber es war mir eine Freude, mit diesem tollen Team zu
arbeiten. Danke.“ Das mit der schlechten Bezahlung, denke ich, kenne ich
zur Genüge als taz-Autor. Dann laufe ich weiter, lande auf der
menschenleeren Uferpromenade mit ihren Palmen, torkle über den verlassenen
Obst-und Gemüsemarkt, erkenne eine kleine Straße und finde
unerklärlicherweise nach Hause.
Am nächsten Morgen wieder herrlichster Sonnenschein. Ich packe mir ein
Handtuch, laufe zum Stadtstrand Bačvice hinunter, schwimme ein paar Runden
in der tiefblauen Adria und denke, dass ich definitiv weniger trinken
sollte.
26 Jun 2016
## AUTOREN
Alem Grabovac
## TAGS
Reiseland Kroatien
Tourismus
Lesestück Recherche und Reportage
taz.gazete
Schriftsteller
Kroatien
Jugendliche
Kroatien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Buchmesse in Kroatien: Die alte und die neue Intelligenzija
Pula war ein kulturelles Zentren im ehemaligen Jugoslawien. Das
Literaturfestival zieht Dissidenten, Avantgardisten und Antinationale an.
Schriftsteller Péter Esterházy gestorben: „Intelligent nichts verstanden“
Der Schriftsteller Péter Esterházy war ein versierter Erzähler. Nun ist er
gestorben. Hier ein taz-Interview aus dem Jahr 2013.
Künstler in Kroatien: Einsame Antifaschisten
Eine landesweite Lesung will ein Zeichen gegen den Rechtsruck der Regierung
setzen. In Split stößt die Aktion jedoch nur auf wenig Resonanz.
Reisen für Jugendliche: Auf jeden Fall anspruchsvoll
Betreute Reisen für Jugendliche jenseits des Partytourismus sind im Angebot
der Veranstalter nicht leicht zu finden. Aber es gibt sie.
Kulturkampf in Kroatien: Proteste gegen den Rechtsaußen
Filmschaffende, Journalisten und Autoren fordern die Absetzung von
Kulturminister Hasanbegovic. Der will linke Projekte nicht mehr fördern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.