| # taz.de -- Aktionen gegen Rechte in Berlin: „Für die Nazis wurde es ungemü… | |
| > Schöneweide galt lange als Neonazi-Schwerpunkt in Berlin, doch | |
| > mittlerweile hat sich das geändert. Was war für den Erfolg nötig? | |
| Bild: Früher ein allzu häufiges Bild: Neonazis in Oberschöneweide, hier 2013 | |
| taz: Herr Signer, das Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick wurde 2004 | |
| gegründet. Wie war damals die Ausgangssituation? | |
| Samuel Signer: Wir hatten hier in den 1990er Jahren eine sehr aktive | |
| Neonazi-Szene in Schöneweide, die hauptsächlich kameradschaftlich | |
| organisiert war und über massive Infrastruktur verfügte. Die | |
| Bezirksverordnetenversammlung hat dann beschlossen, dieses bezirkliche | |
| Zentrum zu gründen, um eine Stelle zu haben, die ganz dezidiert im Auftrag | |
| der BVV und aller demokratischer Parteien über rechte Strukturen aufklärt | |
| und eine demokratische Alltagskultur und Engagement fördert. | |
| Gab es zu diesem Zeitpunkt bereits vergleichbare Einrichtungen in Berlin? | |
| Ein solches Zentrum gab es damals noch nicht. Die Netzwerkstellen Moskito | |
| in Pankow und Lichtblicke in Lichtenberg, mit denen wir bis heute sehr eng | |
| zusammenarbeiten, haben allerdings damals schon einen ähnlichen Ansatz | |
| verfolgt. | |
| Wie sieht dieser Ansatz aus? | |
| Ein großer Teil unserer Arbeit besteht aus politischer Bildungsarbeit: Wir | |
| machen Veranstaltungen, gehen an Schulen, in Vereine oder zu Parteien und | |
| klären dort über Neonazis und Rassismus auf. | |
| Was erzählen Sie auf diesen Veranstaltungen? | |
| Das ist unterschiedlich: Es gibt die Klassikerthemen, zum Beispiel, woran | |
| man Neonazis erkennt, welche Codes und Symbole sie benutzen. Und dann | |
| natürlich je nach politischer Situation neue Themen, in letzter Zeit reden | |
| wir zum Beispiel viel darüber, wie die Neonaziszene versucht, | |
| Bürgerproteste gegen Flüchtlingsunterkünfte zu steuern, wie sie an | |
| Alltagsrassismus anknüpfen kann. Der andere Teil unserer Tätigkeit ist die | |
| Netzwerkarbeit: dass wir Menschen, die sich engagieren wollen, | |
| zusammenbringen, dass wir Bündnisse ins Leben rufen mit ganz verschiedenen | |
| Akteuren, um auf mehreren Ebenen gegen Neonazistrukturen vorgehen zu | |
| können. | |
| Wie sieht das konkret aus? | |
| Wir haben es über die Jahre geschafft, dass Gruppen an einem Strang ziehen, | |
| die das früher nicht gemacht hätten. Dass auf einer Antifa-Demonstration | |
| gegen den Henker [ehemalige Neonazi-Kneipe in der Brückenstraße; Anm. d. | |
| Red.] ein Grußwort des Bezirksbürgermeisters vom Lautsprecherwagen kommt, | |
| dass einfach allen klar ist, dass es darum geht, zusammenzuarbeiten und | |
| sich nicht etwa in Diskussionen über den Extremismusbegriff zu verlieren. | |
| Für uns war immer klar, dass wir auch mit antifaschistischen Gruppen | |
| zusammenarbeiten, weil die zum einen häufig selbst von rechter Gewalt | |
| betroffen sind und zum anderen viel Expertise haben. Gleichzeitig ist aber | |
| auch klar: Antifa-Aktionen allein reichen nicht aus, der Bezirk und die | |
| hier ansässige Zivilgesellschaft müssen mitziehen. | |
| Oft tun sich PolitikerInnen schwer damit, ein lokales | |
| Rechtsextremismusproblem zu benennen – aus Angst, den Ruf des Orts mit dem | |
| Abstempeln als braune Hochburg zu ruinieren. Gab es dieses Problem in | |
| Schöneweide nicht? | |
| Zum Glück wurde hier von allen Ebenen anerkannt: Wir haben ein Problem, | |
| aber wir tun auch was dagegen. Das ist ein viel erfolgversprechenderes | |
| Konzept als diese Leugnung, die einem sonst häufig begegnet. Das hatte | |
| sicher auch damit zu tun, dass viele Menschen aus Parteien und | |
| Zivilgesellschaft selbst zur Zielscheibe von Neonazi-Aktivitäten geworden | |
| sind – da gab es ein eigenes Interesse, dieses Problem anzugehen. | |
| Mittlerweile ist es gelungen, die organisierte Neonazi-Szene in Schöneweide | |
| weitgehend zurückzudrängen. Wie war das möglich? | |
| Wir haben es den Neonazis ungemütlich gemacht, indem wir ihre Infrastruktur | |
| angegangen sind, die sie hier in Schöneweide massiv aufgebaut hatten, von | |
| den Kneipen und Discos bis hin zu einem Buchladen und einem Waffengeschäft. | |
| Die Leute selbst kriegst du ja nicht ohne Weiteres weg, aber diese | |
| Infrastruktur, die kann man auf verschiedenen Ebenen angehen, von der | |
| Gegendemonstration bis zum Gespräch mit Vermietern. Wenn man das schafft, | |
| dass diese Läden schließen müssen, wenn man es den Nazis ungemütlich macht, | |
| erreicht man auch, dass die dann wegziehen oder nicht mehr hier aktiv sind. | |
| Ist dieses Erfolgsmodell denn auch auf andere Orte in Berlin übertragbar? | |
| Im Prinzip schon, aber das hängt natürlich auch immer sehr von den lokalen | |
| Gegebenheiten ab, was genau jetzt die erfolgversprechendsten Maßnahmen | |
| sind. Aber diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen | |
| und Ebenen und die Fähigkeit, das Problem beim Namen zu nennen, das sind | |
| schon Voraussetzungen für den Erfolg, würde ich sagen. | |
| Dieses Interview ist Teil des aktuellen Themenschwerpunkts in der | |
| Wochenendausgabe der taz.berlin. Darin außerdem: eine lange Reportage aus | |
| Marzahn-Hellersdorf. Ab Samstag am Kiosk und in Ihren Briefkasten. | |
| 24 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Malene Gürgen | |
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