# taz.de -- Ex-Nazi-Hochburg Schöneweide: Der Kampf hat sich gelohnt | |
> Läden mit Nazi-Bedarf und rechten Szenekneipen: Die Brückenstraße in | |
> Schöneweide galt als die wichtigste braune Straße Berlins. Das hat sich | |
> geändert. Ein Besuch. | |
Bild: Ist Vergangenheit: Den Nazi-Treff „Zum Henker“ gibt es in der Brücke… | |
„Ob Shisha-Pfeifen ihren Ursprung in Indien haben oder im arabischen Raum, | |
darüber kann man trefflich streiten.“ Das findet Timo Silva, der in | |
Schöneweide das Shisha CodeRed, einen Laden für Shisha-Pfeifen, betreibt. | |
Für ihn steht fest: Das Rauchen der riesigen Wasserpfeifen liege im Trend. | |
„Es hat sich gelohnt, dass ich hier vor einem halben Jahr den Laden | |
eröffnet habe“, freut sich der dunkelhäutige Brasilianer. Der Laden stand | |
zuvor leer und war günstig zu haben. | |
Dass dort, wo Silva heute Pfeifen verkauft und Tabak, der nach | |
Himbeerbonbons riecht, noch vor zwei Jahren ein Laden für Nazi-Zubehör war, | |
weiß der Ladeninhaber gar nicht. Berlins NPD-Chef Sebastian Schmidtke | |
betrieb dort sein „Hexogen“. Der Name geht auf einen im Zweiten Weltkrieg | |
produzierten Sprengstoff zurück und hatte im Angebot, wonach strammen | |
Rechten der Sinn stand: CDs mit szenetypischer Musik, Stichwaffen, | |
Pfefferspray sowie Kleidung und Rucksäcke für paramilitärische Camps. | |
Im Frühjahr 2014 war endgültig Schluss damit. Gerüchten zufolge hat der | |
Laden in der Brückenstraße nicht genug Gewinn abgeworfen. | |
Die Brückenstraße in Schöneweide galt als die braune Straße Berlins. Neben | |
dem Hexogen hatten dort die Szenekneipe „Zum Henker“ und weitere Nazitreffs | |
ihr Zuhause. Ermittlungsbehörden sprachen von einem Schwerpunkt rechter | |
Straftaten. Laut Erkenntnissen von Antifa und Verfassungsschutz sowie laut | |
Recherchen der taz haben sich hier die Nazi- und die Rockerszene | |
miteinander vermischt. Beide Gruppen hatten bis 2014 auf engstem Raum ihre | |
Anlaufpunkte. Ein für Berlin einmaliges Phänomen. | |
## Kein Aktionsraum mehr von Berlins rechter Szene | |
Noch immer stehen in der Brückenstraße viele Läden leer. Noch immer wohnen | |
hier stadtbekannte Nazis. „Die Akteure sind noch da. Aber ihre Treffpunkte | |
sind weg“, freut sich Hans Erxleben vom Bündnis für Demokratie und Toleranz | |
des Bezirks Treptow-Köpenick. Er zählt auf: „Zum Henker“ und „Hexogen“ | |
sowie das umstrittene Rockerlokal „Dark7side“ seien weg. Die Brückenstraße | |
sei kein Angstraum mehr, kein Aktionsraum mehr von Berlins rechter Szene. | |
Das hat einen jahrelangen und zähen Kampf der Zivilgesellschaft gefordert: | |
Die Vermieter, Nachbarn und Gewerbetreibende wurden über die Mieter | |
informiert und mit ins Boot geholt. Erxleben: „Der Kampf hat sich gelohnt.“ | |
Heute drehen sich die ersten Baukräne in der kurzen Brückenstraße – | |
Willkommen und Abschied: Baulücken werden geschlossen. Politiker von gleich | |
drei demokratischen Parteien haben hier ihre Wahlkreisbüros eröffnet – ganz | |
bewusst, um der braunen Subkultur etwas entgegenzusetzen. | |
Für die Libanesin Hanan Al-Kassem und ihren Vater war das kein Motiv, | |
gerade in der Brückenstraße ihre Pizzeria zu eröffnen. Die Familie ist seit | |
Jahren in der Gastronomie zu Hause und das leer stehende Lokal mit der | |
Sommerterrasse mit Spreeblick hat ihnen einfach gefallen. Es ist ebenjener | |
Laden, in dem bis vor gut zwei Jahren Berlins stadtbekannteste Nazikneipe | |
zu Hause war. Die musste nach einem langen Rechtsstreit mit dem Vermieter | |
räumen. Dass der Vermieter geklagt hatte, war dem Druck der | |
Zivilgesellschaft geschuldet. | |
Heute ist das Lokal keine Festung mehr. Die Verbarrikadierungen zur Straße | |
hin sind verschwunden. „Als wir 2015 eröffneten, stand immer die Polizei | |
vor der Pizzeria“, erzählt der Vater der Inhaberin und mutmaßt: „Die haben | |
wahrscheinlich gedacht, hier öffnet wieder eine Nazikneipe unter anderem | |
Namen.“ | |
## Statt „Oldin“ steht nun Pasta auf der Speisekarte | |
Doch, wo früher das Bier „Oldin-Trunk“ und der Cocktail „Himla“ auf der | |
Speisekarte standen, gibt es seit Februar 2015 Pizza und Pasta. | |
Massenproduktion, auch mit Lieferservice. Feinschmecker werden hier nicht | |
auf ihre Kosten kommen, aber die Preise stimmen. | |
An einem Tisch lässt sich gerade ein Rentnerpaar eine Pizza Hawaii | |
schmecken. Gegenüber orientiert sich eine japanische Reisegruppe noch in | |
der Speisekarte. | |
Aus den Lautsprechern erklingt italienische Opernmusik. „Ab und zu reißen | |
hier Spinner die Tür auf und brüllen laut „Heil Hitler!“, sagt ein | |
übergewichtiger Stammgast, der hier sein Feierabendbier trinkt. Konflikte | |
gebe es mit den Mietern des Hauses, erzählen Stammgäste und Inhaberin. Am | |
Klingelschild im oberen Stockwerk steht noch der Name „Barrington“. So hieß | |
der Henker-Betreiber. Und auch viele seiner damaligen Gäste scheinen noch | |
hier zu wohnen. | |
## „Gelungen, den Nazis den Aktionsraum zu nehmen“ | |
„Die Mieter rufen ständig das Ordnungsamt“, erzählt der Vater der | |
Inhaberin. „Sie haben unseren Müll durchsucht und behaupteten, wir würden | |
den in den Tonnen der Mieter entsorgen.“ Selbst Fleischklopfen am Sonntag | |
ist anfangs ein Problem gewesen. „Da beschwerten sich Mieter über die | |
Lärmbelästigung am Feiertag. Doch das Ordnungsamt hat ihre Position nicht | |
geteilt.“ | |
„Nach wie vor wohnen in der Brückenstraße viele Nazis“, warnt Hans Erxleb… | |
vom Bündnis für Demokratie und Toleranz. „Aber es ist uns gelungen, ihnen | |
den Aktionsraum zu nehmen.“ | |
13 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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