Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Beerdigung Muhammad Alis: Die letzte Ehre für den Champ
> Koransuren, ein Fahrradkorso und unzählige Anekdoten und Erinnerungen.
> Louisville verabschiedet sich vom größten Boxer aller Zeiten.
Bild: Letzte Ehre für den Champ
Lousville taz | Gene Courtney lächelt versonnen und erzählt von einem
Fahrrad. Es hatte sich schnell herumgesprochen damals im West End von
Louisville, als dem zwölfjährigen Cassius Clay sein geliebtes Rad gestohlen
wurde, ein Modell der Marke Schwinn, der Rahmen rot-weiß, erworben für 60
Dollar.
Der Junge ging zur nächsten Polizeiwache, wo er eine flächendeckende
Fahndung nach dem Rad verlangte und wutentbrannt ankündigte, den Dieb aufs
Übelste zu verprügeln, sobald man ihn erwischt habe. Worauf ihm der
zuständige Ordnungshüter, ein gewisser Joe Martin, halb im Scherz, halb im
Ernst empfahl, doch erstmal kämpfen zu lernen, bevor er wüste Drohungen
ausstoße. Clay also fing in der kleinen Boxschule an, die Martin in seiner
Freizeit betrieb, South 4th Street, mitten in Louisville.
So kommt es, dass am Tag von Muhammad Alis Beerdigung einige hundert
Radfahrer im Pulk quer durch die Stadt fahren, bis sie in der Grand Avenue
das rosafarbene Häuschen erreichen, in dem Ali, damals noch Cassius
Marcellus Clay, aufwuchs, in einem eher soliden Viertel der schwarzen
Mittelklasse.
Es herrscht eher Volksfest- als Trauerstimmung. Ohne die Sache mit dem
Fahrrad, glaubt Gene Courtney, wäre es nie entdeckt worden, das größte
Talent in der Geschichte des Boxens. Drei Straßenecken entfernt von ihm hat
er damals gewohnt, sechs Jahre jünger als der Champ, wie sie den
aufstrebenden Faustkämpfer bald nannten.
## Ein Tag für große Erinnerungen
„Der Champ war wie ein großer Bruder für mich, ich könnte stundenlang
darüber erzählen“, sagt Courtney. Seine zweite Story handelt vom Krieg in
Vietnam, in den Ali nicht zog, weil er den Wehrdienst verweigerte. Als
Courtney den Einberufungsbefehl bekam, hat er kurz überlegt, ob er sich ein
Beispiel am Champ nehmen soll. „Aber ich war ja nicht berühmt, mich hätten
sie doch gleich ins Gefängnis gesteckt.“
Jeder kramt in seinen Erinnerungen an dem Tag, an dem Alis Sarg durch die
Straßen von Louisville gefahren wird, vorbei am Muhammad Ali Center, einem
2005 eröffneten Museum, weiter durch die lauschige Grand Avenue, wo er
seine Kindheit verbrachte, bis hin zum Cave Hill Cemetery.
Die Route, das Programm der Trauerfeier, Ali selber soll das alles mit der
Akribie eines Feinmechanikers geplant haben, angeblich schon Jahre vor
seinem Tod. Es beginnt mit dem Rezitieren von Koransuren und endet mit drei
Hauptrednern, Billy Crystal, Bryant Gumbel und Bill Clinton, einem Komiker,
einem Sportreporter, einem Ex-Präsidenten. Und überall steht auf Plakaten,
dass Louisville um seinen größten Sohn trauert, um den „hometown hero“.
## Der einst ungeliebte Sohn der Stadt
Na ja: Es gab Zeiten, da tat sich die Stadt überaus schwer mit ihrem
größten Sohn, nicht nur in den 60er-Jahren, als Ali den Kriegsdienst in
Vietnam verweigerte. Noch 1978, da sollte die Walnut Street, eine
Einkaufsstraße im Zentrum, in Muhammad Ali Boulevard umbenannt werden, fiel
die Entscheidung im Rathaus denkbar knapp aus, sechs gegen fünf Stimmen.
Geschäfte meldeten Protest an, mit dem Argument, dass man nur unnötig Geld
ausgebe, wenn man Briefbögen mit neuer Adresse drucken müsse.
Das sind Geschichten, die Louisville am liebsten vergessen würde. John
Young Brown, einst Gouverneur des Bundesstaats Kentucky, erzählt denn auch
lieber von den ur-amerikanischen Instinkten des Boxers, während er eine
Runde um das Blumenmeer am Ali-Museum dreht: „An erster Stelle war er ein
großartiger Unternehmer, ein Marketing-Genie, einer, der dem Boxen zu einem
neuen Image verhalf.“
Sam Malone, ein 69-jähriger Afroamerikaner, erzählt davon, was ihn einst
motivierte, der „Nation of Islam“ mit ihrem feurigen Prediger Malcolm X
beizutreten, drei Jahre bevor der Champ es tat. „Malcolm X, das bedeutete
schwarzes Selbstbewusstsein. Stolz, Würde, Respekt vor dir selber.“ Von der
„Nation of Islam“, die inzwischen nur noch eine obskure Sekte ist, hat sich
Malone längst wieder getrennt. Muslim ist er geblieben.
## Erdoğan reist vorzeitig ab
Am Donnerstag steht er vor der Freedom Hall, der Arena, in der Ali, damals
noch Clay, seine ersten Profikämpfe bestritt. Drinnen zelebriert ein Imam
eine islamische Totenfeier, im Spalier um den Sarg des Boxers steht Recep
Tayyip Erdoğan, der Präsident der Türkei, der Stunden später vorzeitig
abreisen und damit für einen Eklat sorgen wird. Angeblich wollte Erdoğan
ein Stück Tuch aus der Großen Moschee in Mekka auf den Sarg legen, was die
Hinterbliebenen des Toten ablehnten.
Bittet man Sam Malone, auf einen Satz zu bringen, was Ali für ihn bedeutet,
sagt er: „Er empfand keinen Hass, er hat wirklich keinen gehasst, er mochte
die Menschen“. Ali Shabazz, auf dem Kopf eine weiße Gebetskappe, hofft
darauf, dass Amerika mit dem Tod des Champs innehält, dass mancher, der im
Rennen um die Präsidentschaftskandidatur Donald Trump gewählt hat, nun zur
Besinnung kommt.
Während der Milliardär ein Einreiseverbot für Muslime verlange, sehe ein
Millionenpublikum an den Fernsehern, wie der berühmteste Muslim des Landes
beigesetzt werde: Vielleicht lasse das ja den einen oder anderen begreifen,
mit welchen Stereotypen Trump operiere, meint Shabazz, ein schwarzer
Mittvierziger aus Detroit. Dass der Effekt lange anhält, glaubt er
allerdings nicht. „Wer weiß, vielleicht wird der Ton nur noch hässlicher.“
## Ein globaler Märtyrer
Jesse Jackson, ein Weggefährte Martin Luther Kings, der sich zweimal ums
Weiße Haus bewarb, ruft noch einmal in Erinnerung, welches Rückgrat ein
Profi wie Ali haben musste, als er sich weigerte, Soldat zu werden. Ruhm
und Geld aufs Spiel zu setzen, sechs Millionen Dollar für eine
Viertelstunde im Ring, dafür Gefängnis zu riskieren, Prinzipien über
Bequemlichkeit zu stellen – das, sagt Jackson, habe den Mann in den Rang
eines globalen Märtyrers erhoben. „Und Louisville hat ihn verstoßen, so
sehr es ihn heute verehrt.“
Vor dem Häuschen an der Grand Avenue, in dem einst der Champ lebte, freut
sich Randall „Tex“ Cobb, dass ihn die Leute wiedererkennen, Selfies machen
wollen mit ihm. Auch Cobb war mal Faustkämpfer, in den 70er- und
80er-Jahren stand er im Ring, ein zäher Texaner, der einstecken konnte, ein
Schwerstarbeiter seiner Branche.
Sportler mit der Charakterstärke eines Muhammad Ali könne man heute
vergeblich suchen, sagt Cobb. Nicht auszudenken, dass einer mit politischen
Statements das Wagnis eingehe, einen Teil seiner Anhängerschaft zu
verprellen. Im heutigen Amerika mit seiner glattgebürsteten Sportwelt drehe
sich alles nur noch ums Geld.
Weil ihn das ziemlich aufregt, lässt Cobb die zur Faust geballte Rechte
gegen seine linke Hand krachen. Ali dagegen: „Er war so viel mehr als ein
Boxer, er war eine Macht, er hat nicht nur das Boxen verändert, er hat die
Politik in Amerika verändert.“
11 Jun 2016
## AUTOREN
Frank Herrmann
## TAGS
Muhammad Ali
Trauerfeier
USA
Nation of Islam
Bürgerrechtsbewegung
Muhammad Ali
Dokumentarfilm
Muhammad Ali
Muhammad Ali
Donald Trump
## ARTIKEL ZUM THEMA
Jubiläum Boxkampf Foreman vs. Ali: Rumble of the World
Vor 50 Jahren boxten Muhammad Ali und George Foreman im damaligen Zaire um
den WM-Titel im Schwergewicht. Ein historischer Kampf und eine Metapher.
Netflix-Doku über Fußballgigant Pelé: Tore für die Diktatur
In der Netflix-Doku „Pelé“ zeichnen Ben Nicholas und David Tryhorn den
Fußballgiganten als politisch ambivalente Persönlichkeit – mit tollem
Material.
Kolumne Deutschland, was geht?: Der wahre Champion
Muhammad Ali beharrte trotz öffentlicher Kritik auf seiner Religion. Das
macht ihn für viele junge Muslime in der westlichen Welt zum Vorbild.
Muhammad Ali ist tot: Er war die Welt
Muhammad Ali war ein eleganter Boxer und ein politischer Sportler. Er
selbst erzählte allen, er sei der Größte. Nun ist er mit 74 Jahren
verstorben.
Kritik an US-Präsidentschaftkandidaten: Trump gehackt
Muhammad Ali lehnt Donald Trumps Aussagen über Muslime ab. Außerdem wurde
bekannt, dass ein Weißkopfadler den Republikaner attackiert hat.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.