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# taz.de -- Zensur auf Filmfestival in Norwegen: Milliardär stoppt Dokumentati…
> „Der Fall Magnitski“ handelt von einem russischen Korruptionsskandal. Der
> im Film Beschuldigte verhindert nun die Aufführung.
Bild: Diese Szene hätten Sie im Mai auf Arte sehen solllen: Evgeniy Lunchenko …
„Wenn sich politische oder ökonomische Kräfte, die sich Anwälte und teure
Gerichtsverfahren leisten können, andere damit zum Schweigen bringen, ist
das ein großes Problem für die Demokratie und die Meinungsfreiheit“, sagt
KriStine Ann Skaret vom norwegischen Filminstitut NFI. Sie reagiert damit
auf einen Vorfall beim derzeitigen Kurzfilmfestival im südnorwegischen
Grimstad.
Am Freitagabend um 20 Uhr sollte dort eigentlich die Dokumentation „Der
Fall Magnitski“ gezeigt werden. Es wäre die erste öffentliche Aufführung
dieses von einer norwegischen Produktionsfirma mit mehreren Hunderttausend
Euro norwegischer Filmfördergelder mitfinanzierten Films gewesen.
Ursprünglich war die Erstausstrahlung am 3. Mai auf Arte geplant, wurde
dort aber kurzfristig abgesetzt. Begründung: Der Film solle zunächst einer
erneuten inhaltlichen und juristischen Prüfung unterzogen werden.
Angehörige des 2009 in russischer Haft gestorbenen Wirtschaftsanwalts
Sergej Magnitski und der US-Investor William Browder hatten die Verletzung
ihrer Persönlichkeitsrechte beklagt.
So auch auch in Norwegen. Am Montag hatten Magnitskis Angehörige und
Browder ein Gericht in Oslo angerufen. Doch bevor dieses entscheiden
konnte, zog das Festival den Film zurück. Einen Rechtsstreit könne man sich
ganz einfach nicht leisten, sagt Festivalchefin Anita Svingen: „Allein die
entsprechenden Gerichts- und Anwaltskosten sind für uns unmöglich zu
stemmen.“ Der fragliche Film, die Produktionsfirma und der Regisseur hätten
aber nach wie vor die Unterstützung des Festivals.
## Einem Korruptionsskandal auf die Spur
Worum geht es im „Fall Magnitski“? Sergej Magnitski hatte unter anderem für
William Browder gearbeitet, der mit seiner „Hermitage Capital“ zeitweise
einer der größten westlichen Investoren in Russland gewesen, dann aber in
Ungnade gefallen war und seine lukrativen Geschäfte verlor. Im Zusammenhang
mit seinem Auftrag für Browder kam Magnitski einem umfassenden
Korruptionsskandal auf die Spur, bei dem sich russische Beamte an
Steuergeldern bereichert hatten.
2008 war er dann selbst unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung verhaftet
worden und ein Jahr später in der Haft an einem Herzinfarkt verstorben.
Offiziell. Seine Angehörigen behaupten einen Tod durch Folter. Der Fall
wurde im Westen eine Art Symbol für kriminelle und korrupte Machenschaften
in Russland und führte in den USA zum Erlass des „Magnitsky Act“, in dem
Sanktionen gegen russische Amtsträger verhängt wurden.
Die norwegische Produktionsgesellschaft „Piraya Film“ und der russische
Regisseur Andrej Nekrasov wollten ursprünglich in Zusammenarbeit mit
William Browder einen Film über dessen und Magnitskis Geschichte drehen.
Doch Nekrasov, der seit 2011 wegen Morddrohungen zeitweise unter heimlicher
Adresse in Norwegen lebte, in der Vergangenheit mehrere systemkritische
Filme über Russland unter Putin gedreht hat und angesehene Filmpreise,
darunter 2013 den Grimme-Preis für die TV-Dokuserie „Lebt wohl Genossen“,
gewonnen hat, bekam im Lauf der Zeit nach eigenen Angaben immer mehr
Zweifel am Wahrheitsgehalt von Browders Version. Weshalb er die
Zusammenarbeit mit ihm beendete.
„Jeden Tag wurde ich sicherer, dass es eine Lügengeschichte war“, berichtet
Nekrasov, auch wenn das ein längerer und schmerzhafter Prozess gewesen sei,
„weil ich Browder ja ideologisch nahestand und in weiten Bereichen ja auch
ein Regimekritiker bin. Aber wir spielen doch nur den Gegnern in die Hände,
wenn wir nicht bei der Wahrheit bleiben.“
## Hinweise auf Täuschung
Nekrasov glaubt mittlerweile genügend Hinweise dafür zu haben, dass
möglicherweise Browder selbst in die betrügerischen Geschäfte verwickelt
gewesen sein könnte und bezeichnet die bisherige Version der
Magnitski-Geschichte als „Bluff“, „bewusst manipulativ“ und „größten
Menschenrechtsmythos des 21. Jahrhunderts“. Umgekehrt wird ihm der Vorwurf
gemacht, einen Propagandafilm für Putin abgeliefert zu haben.
Offiziell angekündigt war seine Dokumentation vom Festival so: „Eine
Dramatisierung des Versuchs der russischen Polizei, eine Milliarde Dollar
von einem amerikanischen Finanzier zu stehlen und die Ermordung seinen
treuen Steueranwalts Sergej Magnitski entwickelt sich zu einer
dokumentarischen Recherche. Und zum großen Schock für Regisseur Andrej
Nekrasov stellt es sich heraus, dass die offizielle westliche Version der
Geschichte zutiefst fehlerhaft ist.“
Was nun das Erstaunlichste an der ganzen Debatte sei, meint KriStine Ann
Skaret: „Alle beziehen sich auf bislang nicht öffentlich gemachtes
Material“, das schon deshalb „weder verleumderisch noch irreführend sein
kann“. Sie persönlich finde es – aufgrund ihres Wissens über den Film –
„faszinierend, wie dort die Darstellung der Medien und deren Umgang mit
Quellen problematisiert wird“: Der Film fordere ganz einfach vorgefasste
Meinungen heraus. Und sei es nicht gerade die wichtigste Aufgabe eines
Dokumentarfilms „zu kritisieren und etablierte Wahrheiten in Frage zu
stellen“?
Warum also den Film nicht erst einmal zeigen und dann darüber diskutieren,
fragt Skaret: Sei nicht das das Wesen der Demokratie und gerade nicht das
Recht des Stärkeren? Er glaube „mit ganzem Herzen“ an die Wichtigkeit von
Meinungsfreiheit, begründet Browder in einer Stellungnahme in der Osloer
Tageszeitung Dagbladet seine nun bereits mehrfachen Blockadeaktionen gegen
den Film: „Aber ich glaube nicht, dass Meinungsfreiheit eine Lizenz dafür
ist, Unwahrheiten zu verbreiten und Verstorbene zu schänden.“
Ein Kommentar in der konservativen Aftenposten zeigt Verständnis für den
Schritt des Festivals und beklagt gleichzeitig einen „erschreckenden
Präzedenzfall“. Selbst wenn der Film zutiefst problematisch, voller Fehler
und vielleicht ein gefundenes Fressen für den Kreml sein sollte: Eine
solche Zensur eines norwegischen Films auf einem norwegischen Festival sei
ganz einfach nicht akzeptabel.
10 Jun 2016
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Dokumentation
Zensur
Schwerpunkt Korruption
Russland
USA
Bundesgerichtshof
Russland
Sanktionen
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