# taz.de -- Palästinensischer Anschlag in Tel Aviv: Mit Krawatte zum Mord | |
> Nach dem Attentat erhöht das Lob von palästinensicher Seite die Gefahr | |
> von Nachahmertaten. Israelische Minister kündigen Konsequenzen an. | |
Bild: Nach dem Anschlag sichern israelische Soldaten den Tatort ab | |
Jerusalem taz | Die beiden Täter waren gut vorbereitet. In schwarzen | |
Anzügen gekleidet und mit Krawatte setzten sie sich am Mittwoch an einen | |
Tisch, bestellten Softdrinks und einen Schokobecher mit Sahne. Erst als | |
sich gegen 21.30 Uhr das Café Max Brenner im Zentrum Tel Avivs füllte, | |
gaben die zwei Palästinenser ihre tödlichen Schüsse auf die Gäste ab. | |
Vier Menschen kamen ums Leben, sieben wurden verletzt, darunter einer der | |
Angreifer. Die Täter sind Cousins: Ahmad Mussa Makhamreh und Khalid | |
Muhammad Mussa Makhamreh stammen aus Jatta, einem sozial schwachen Vorort | |
von Hebron im besetzten Westjordanland. | |
Viele Familien aus Jatta schicken ihre Kinder täglich zur Arbeit auf die | |
Müllhalde, die bei ungünstigen Windverhältnissen den gesamten Ort in eine | |
unangenehme Dunstwolke hüllt. Die Kinder sammeln Eisen, um es für wenige | |
Schekel an einen Händler zu verkaufen, oder noch brauchbare | |
Kleidungsstücke. Um zu überleben, kochen die ganz Armen Hühnerbeine, die im | |
Schlachthof von Jatta abfallen. | |
Kaum unterschiedlicher könnte das Ambiente in Sarona sein, wo sich der | |
Überfall abspielte. Das jüngst mit viel Geld restaurierte Viertel ist eine | |
der zentralen Anlauforte für Ausflügler aus dem In- und Ausland. Sarona | |
verbindet Architektur aus dem 19. Jahrhundert mit schicken Boutiquen, | |
Restaurants, einem Biergarten und Cafés. | |
In ihren schwarzen Anzügen weckten die beiden Palästinenser keinen | |
Verdacht, als sie das Café betraten und sich in aller Ruhe umsahen, bevor | |
sie im Freien Platz nahmen. Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen die | |
Männer, die sich wie normale Kunden verhalten und genauso behandelt werden. | |
Ungeachtet der Trennanlagen, die Israel vor gut zehn Jahren errichten ließ, | |
ist es nicht allzu schwer, sich unbemerkt den Weg vom Westjordanland nach | |
Israel zu bahnen. Wo die Lücken im Zaun sind, ist den meisten | |
Palästinensern bekannt. | |
## Keine Handhabe gegen Einzeltäter | |
„Wir haben keine Eisenkuppel gegen Terror wie diesen“, kommentierte | |
Staatspräsident Reuven Rivlin den Anschlag in Anspielung an das | |
Raketenabwehrsystem, das Israel weitreichend gegen Angriffe aus dem | |
Gazastreifen schützt. Gegen die zumeist auf eigene Faust handelnden | |
Attentäter, zeigt sich Israels Sicherheitsapparat weitgehend ratlos. | |
Der letzte tödliche Anschlag liegt genau drei Monate zurück. Schon schien | |
es, als sei die aktuelle Welle von zumeist mit Messern verübten Attentaten | |
überstanden. Auch deshalb ließ die Regierung über 80.000 zusätzliche | |
Einreisegenehmigungen für Palästinenser aus dem Westjordanland ausstellen, | |
die Familie in Israel haben und über den Ramadan-Fastenmonat zu Besuch | |
kommen wollten. Nach dem Anschlag zog Israels Armee diese Genehmigungen | |
wieder zurück. | |
„Ich werde mich nicht mit Lippenbekenntnissen zufriedengeben“, kündigte | |
Israels neuer Verteidigungsminister Avigdor Lieberman an, ohne jedoch | |
kundzutun, was genau er in Reaktion auf den gewaltsamen Tod der vier | |
Israelis plant. Dies sei nicht die Zeit für Erklärungen, meinte Lieberman, | |
der tun will, „was getan werden muss“. Sein Stellvertreter im | |
Verteidigungsministerium Eli Ben-Dahan ließ verlauten, dass „das Leben in | |
Jatta nicht mehr so sein wird wie bisher“. | |
Noch in der Nacht zum Donnerstag sperrten Soldaten die Zufahrtsstraßen nach | |
Jatta ab. Nur in Notfällen soll Bewohnern die Ausreise genehmigt werden. | |
Verkehrsminister Israel Katz sagte, dass das „abscheuliche Verbrechen eine | |
ungewöhnliche, schwere und schmerzhafte israelische Reaktion“ nötig mache. | |
Katz schlug eine „präventive Wurzelbehandlung, die in die Geschichte | |
eingeht“, für Jatta vor. Mehrere Angehörige der beiden Attentäter wurden | |
festgenommen. Lieberman will so schnell wie möglich die Wohnhäuser der | |
Familien abreißen lassen. | |
## Freudenfeiern im Westjordanland | |
Die beiden Anfang 20-jährigen Cousins gehören keiner politischen Bewegung | |
an. Ein Sprecher der Hamas im Gazastreifen begrüßte zwar den Anschlag und | |
kündigte „weitere Überraschungen“ noch während des Ramadan an, übernahm | |
aber keine Verantwortung für die Schüsse. | |
Im Westjordanland fanden Freudenfeiern über die „gelungene“ Aktion statt, | |
in Hebron gab es ein Feuerwerk, andernorts verteilten junge Palästinenser | |
Bonbons an Autofahrer. Ein Hashtag in den sozialen Netzwerken kommentierte | |
jubelnd: „Wir brechen das Fasten, indem wir sie töten.“ Je stärker die | |
beiden Cousins aus Jatta im Westjordanland als Helden gefeiert werden, | |
desto größer wird die Gefahr, dass sie Nachahmer finden werden. | |
Die palästinensische Führung in Ramallah hielt sich mit einer Verurteilung | |
des Gewaltaktes vorerst zurück. Fatah-Funktionär Munir al-Jaghoub zeigte | |
gar Verständnis für die „individuelle und natürliche Antwort“ auf die | |
Gewalt Israels. Er kritisierte die „Zerstörung von Häusern“, die | |
„Vertreibung von Palästinensern“ und „kaltblütige Erschießungen an | |
Straßenkontrollpunkten“. | |
9 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
## TAGS | |
Israel | |
Anschlag | |
Avigdor Lieberman | |
Palästinenser | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Tel Aviv | |
Israel | |
Schwerpunkt Meta | |
Israel | |
Tel Aviv | |
Israel | |
Israel | |
Hinrichtung | |
Israel | |
Israel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Terroranschlag mit Lkw in Jerusalem: Palästinenser tötet vier Israelis | |
Ein Palästinenser fährt laut Polizei „spontan“ mit einem Lkw in eine Grup… | |
von Soldaten an einem Ausflugsort in Jerusalem. Die Hamas ist begeistert. | |
Angehörige von Terroropfern: Facebook auf Schadenersatz verklagt | |
Mehrere US-Familien von Anschlagsopfern im Nahen Osten haben Facebook | |
verklagt, weil das Netzwerk radikalen Islamisten eine Plattform geboten | |
habe. | |
Nahost-Konflikt: Israel zerstört Haus im Westjordanland | |
Zur Abschreckung haben Soldaten das Haus eines mutmaßlichen | |
palästinensischen Attentäters abgerissen. Er soll im Januar eine Siedlerin | |
erstochen haben. | |
Anschlagsort in Tel Aviv: Bars, Bibelworte und Hakenkreuze | |
Der Anschlag geschah in einem Vergnügungsviertel Tel Avivs. Früher war es | |
ein Dorf evangelischer deutscher Pietisten. | |
Palästinensischer Anschlag in Tel Aviv: Israel riegelt Grenzübergänge ab | |
Nach dem tödlichen Anschlag auf vier Israelis ergreift Israel nun harte | |
Maßnahmen. Die Einreise aus Gaza und dem Westjordanland ist kaum noch | |
möglich. | |
Nach Anschlag in Tel Aviv: Israel plant „offensive Schritte“ | |
Zwei palästinensische Attentäter erschießen vier Israelis, weitere Personen | |
werden verletzt. Netanjahu will entschlossen handeln, die Hamas lobt den | |
Anschlag. | |
Die Hamas verschärft ihr Strafrecht: Drei Hinrichtungen im Gazastreifen | |
Erstmals seit der Machtübernahme 2007 exekutiert die Hamas Menschen ohne | |
einen politischen Hintergrund. Weitere Hinrichtungen sind angekündigt. | |
Israels Regierung rückt nach rechts: Ein Siedler als Verteidigungsminister | |
Netanjahu holt die ultrarechte Partei Israel Beitenu in die Koalition. | |
Deren Vorsitzender Lieberman übernimmt das Amt des Verteidigungsministers. | |
Netanjahu bildet Kabinett um: Weiterer Rechtsruck in Israel | |
Der ultranationale Hardliner Avigdor Lieberman soll neuer | |
Verteidigungsminister werden. Die Annäherung an Ägypten ist damit wohl | |
hinfällig. |