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# taz.de -- Neuer Roman von David Grossman: Das einsame Kind auf der Bühne
> David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“ erzählt von einem
> Abend, an dem ein Stand-up-Comedian aus der Rolle fällt.
Bild: Und aus dem Witz Wirklichkeit wird? Auch darüber kann man lachen
Die ganze Welt ist Bühne / Und alle Fraun und Männer bloße Spieler“,
schrieb William Shakespeare in „Wie es euch gefällt“. Ein Titel, der ebenso
gut zu David Grossmans aktuellem Roman passen würde: „Kommt ein Pferd in
die Bar“.
Das ist der Anfang des einzigen Witzes in diesem an Witzen so reichen
Buches, der nicht zu Ende erzählt wird. So viele Witze darin auch gerissen
werden mögen, ist es doch ein trauriger Roman, der die Shakespeare’sche
Metapher von der Welt als Bühne und der (Schau-)Spielernatur des Menschen
auf verstörende Art und Weise in Handlung umsetzt.
Zweihundertfünfzig Seiten lang herrscht strikte Einheit von Zeit, Ort und
Handlung, was das tragische Moment noch verstärkt. Ein Mensch steht auf der
Bühne, Dovele Grinstein, ein dünner Mann fortgeschrittenen mittleren Alters
mit lächerlich anmutenden Cowboystiefeln. Er ist Stand-up-Comedian, ein
Witzeerzähler. Er weiß seine Witze so darzubieten, dass das Publikum an
seinen Lippen hängt. Dazwischen erzählt er Episoden aus seiner Kindheit,
und auch das eine Zeit lang so, wie es den Leuten gefällt.
Irgendwann aber gefällt es ihnen nicht mehr, denn so wie Doveles Geschichte
sich im Laufe des Abends entwickelt, ist sie nicht mehr komisch. Sie ist
traurig und bald nur noch schwer auszuhalten für all diese Menschen, die
doch in der Absicht gekommen sind, sich schenkelklopfend zu amüsieren.
## Das Leben als permanente Vorstellung
Unter den Wenigen im Publikum, die bis zum Ende ausharren, ist einer, der
genau das versprochen hat. Der namenlos bleibende Ich-Erzähler – ein
fiktives Autoren-Ich sogar, denn er macht sich Notizen, um später über den
Abend zu schreiben – strukturiert den Monolog des Comedians durch eigene,
reflektierende Erzählpassagen. Dank seiner wissen wir, wie Dovele aussieht,
erfahren etwas über die Reaktionen des Publikums und über die gemeinsame
Vorgeschichte des Mannes im Publikum und des Mannes auf der Bühne.
Eine flüchtige, schüchterne Kindheitsfreundschaft hatte beide einst
verbunden, so flüchtig, dass der Erzähler nie erfahren hatte, warum der
einstige Freund eines Tages urplötzlich aus dem
Schüler-Wehrerziehungslager, das beide absolvieren mussten, abgeholt worden
und danach nie wieder aufgetaucht war.
Der Comedian auf der Bühne ist gleichsam verurteilt dazu, sein Leben zur
permanenten Vorstellung zu machen, Witze zu erzählen – die Leute so zum
Lachen zu bringen, wie er sich als Kind bemühte, seine von
Holocaust-Erlebnissen traumatisierte Mutter mit kleinen Shows aufzuheitern.
Zwar hatte all sein kindliches Bemühen bei Weitem nicht ausgereicht, doch
das Witzereißen muss trotzdem weitergehen. Trotzdem? Oder gerade deswegen?
## Behutsam, aber beharrlich
Das unbewusst ererbte Trauma der Schoah-Nachgeborenen, der zweiten
Generation, findet schmerzlichen Ausdruck in dieser Metapher des Comedians
auf der Bühne, der auch als Erwachsener den Prägungen seiner Kindheit nicht
entkommen kann. Wie jede gute Metapher passt aber auch diese nicht nur in
die israelische Lebenswirklichkeit.
David Grossman ist kein Autor, der Antworten gibt, sondern einer, der
Fragen stellt. Der behutsam, aber beharrlich den Finger in die feinen Risse
bohrt, die sich in den bröckelnden Fassaden sorgsam modellierter
Lebensläufe zeigen. Das betrifft nicht nur den Comedian auf der Bühne,
sondern auch den beobachtenden Richter und Ich-Erzähler. Am Ende hat zwar
der Komiker sein Publikum verloren, doch möglicherweise einen Freund
wiedergewonnen. Möglicherweise, vielleicht, man weiß es nicht.
Dennoch ist das ein gutes Ende, ein sehr gutes sogar: Es bleibt offen. Auch
wenn danach nichts besser werden sollte, ist nun wenigstens eine alte,
schmerzliche Geschichte einmal erzählt worden. Schwierig genug, zwischen
all den Witzen.
7 Jun 2016
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Shoa
Witze
Film
Literatur
Israel
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