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# taz.de -- Friedenspreis für David Grossmann: Enge Welten weiten
> Der israelische Schrifststeller stellt mit Humor und Mut zur
> Selbstzerfleischung große Fragen. Er erhält den Friedenspreis des
> Deutschen Buchhandels 2010.
Bild: Ambivalenz zeigen und aushalten: Der israelische Schriftsteller David Gro…
David Grossman kann sehr bewegende Reden halten; gerade solche über das
Dilemma der Literatur in Zeiten des Krieges. 2007 hielt er eine bedeutende
Rede beim PEN-Festival in New York. Er berief sich dabei auf Franz Kafkas
Maus. Eingekeilt zwischen einer Falle vor und einer lauernden Katze hinter
sich, sagt die Maus in Kafkas Kurzgeschichte "Kleine Fabel": "Ach, die Welt
wird enger mit jedem Tag." Grossman: "Nach den vielen Lebensjahren, die ich
in Israel, also in der extremen Realität eines politischen, militärischen
und religiösen Dauerkonfliktes verbracht habe, muss ich Ihnen bestätigen,
dass Kafkas Maus Recht hatte: Die Welt wird tatsächlich mit jedem Tag enger
und bedrängender."
Es ist eine sehr überzeugende Wahl, den israelischen Schriftsteller mit dem
diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels auszuzeichnen;
zugleich aber hätte man gerade dem Schriftsteller gewünscht - so paradox es
zunächst auch klingen mag -, er hätte diese Auszeichnung nicht kriegen
müssen. Verdient hat er sie ohne jeden Zweifel, aber dass man sie ihm
zumuten muss, hat auch etwas Trauriges. Nicht nur, weil Grossman, der sich
immer für Frieden eingesetzt hat, seinen eigenen Sohn verlor, der 2006 als
israelischer Soldat im Libanon fiel. Sondern auch, weil gerade der 1954 in
Jerusalem geborene Grossman ein Schriftsteller ist, der in einem besonderen
Maße auf die Kraft der Literatur setzt, sich Freund-Feind-Schemata zu
entziehen, indem sie an der Fähigkeit zur Empathie arbeitet. Und nun wird
er wieder - zur Überreichung der Auszeichnung im Oktober - eine bewegende
Rede über Literatur und Krieg halten müssen. Er entkommt der enger
werdenden Welt einfach nicht.
Dass er die Welt dennoch immer wieder literarisch zu weiten versucht, macht
so etwas wie eine tragische Größe dieses Autors aus. Im vergangenen Herbst
erschien auf Deutsch "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" - ein
romantischer und durch und durch politischer Liebesroman, dem man unbedingt
das Etikett Weltliteratur anheften möchte. Es ist ein melancholischer
Roman, der mit Humor und viel Mut zur Selbstzerfleischung große Fragen
stellt: Lohnt es sich überhaupt noch, für Israel zu kämpfen? Das ist die
eine Frage. Darf man sich als Israeli diese Frage überhaupt stellen oder
ist das schon Verrat, lautet die nächste. David Grossman beobachtet auf
über 1.000 Seiten, was sich Liebende in einer militarisierten Gesellschaft
antun, ohne sie zu verurteilen. Immer wieder diskutieren seine
Protagonisten die Frage: Was ist unsere Exitstrategie, wie kommen wir hier
raus? Der Roman gibt keine Antwort, er reagiert vielmehr darauf, dass ein
Israeli Israel und seiner Verteidigungsnotwendigkeit ebenso wenig entkommt
wie den Selbstzweifeln.
Ambivalenz zu zeigen und auszuhalten, das ist die Kunst Grossmans. Und so
zeichnet sein jüngster Roman beides nach, eine Reise in eine neue, alte
Liebe und in die Kapitulation. Denn erst wer die Waffen streckt, ist offen
dafür, ein neues Denken zu entwickeln.
Grossman behauptet so die Literatur inmitten des Krieges. Das Besondere an
seiner Erzählkunst ist, dass er seine Situationsbeschreibung stets aus
Dialogen heraus entwickelt. Immer bleibt er nahe bei seinen Figuren,
psychologisiert, ohne klebrig zu sein, und wechselt dabei mühelos zwischen
weiblicher und männlicher Erzählperspektive. Und so hat Grossman auch einen
Roman über Leidenschaft im fortgeschrittenen Alter geschrieben. Ohne je
auch nur in die Nähe von feuchten Fantasien alter Männer zu geraten.
So ist David Grossman, der auch Kinder- und Jugendbücher schrieb, ein
Preisträger, dem man zu seinem Preis nicht wirklich gratulieren, sondern
ihm vielmehr viel Kraft wünschen möchte.
11 Jun 2010
## AUTOREN
Ines Kappert
Dirk Knipphals
## TAGS
Shoa
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