# taz.de -- In den Blick genommen: Geflüchtete Jungen in Not | |
> Das Bremer Jungenbüro wendet sich jetzt mit einem speziellen Angebot an | |
> geflüchtete Jungen und junge Männer, die sexualisierte Gewalt erlebt | |
> haben | |
Bild: Viele geflüchtete Jungen haben Gewalt erlebt | |
Mit einem neuen Beratungsangebot richtet sich das Bremer Jungenbüro jetzt | |
an geflüchtete Jungen und junge Männer zwischen 7 und 21 Jahren. Am Montag | |
stellten es Jungenbüro-Mitarbeiter Medien und Fachkräften vor. „Eigentlich | |
dürften wir gar nicht dafür werben“, sagt Volker Mörchen, einer der Gründ… | |
der Beratungsstelle für Jungen, die Gewalt erlebt haben. Denn je mehr | |
Menschen erfahren, wo sie Hilfe bekommen, desto mehr melden sich. Diese | |
Erfahrung machte auch das Jungenbüro. „Als wir 2007 anfingen, wurde in | |
Bremen eine Handvoll Fälle im Jahr bekannt“, erinnert sich Mörchen. Jetzt | |
begleiten er und seine vier Kollegen jährlich 250 Klienten, 100 von ihnen | |
haben sexualisierte Gewalt erlebt. | |
Ziemlich schnell sei ihnen klar geworden, dass es auch unter den | |
Geflüchteten eine große Anzahl von Kindern und Jugendlichen gibt, die zum | |
Opfer gemacht wurden, sagt Mörchen. Sehr wahrscheinlich sei die | |
Betroffenenquote noch wesentlich höher als bei Jungen ohne Fluchterfahrung. | |
Bei diesen liegt sie nach Schätzung von Fachleuten bei acht bis zehn | |
Prozent. In der Heimat, auf der Flucht, in Deutschland in den | |
Massenunterkünften: Die Jungen und jungen Männer aus Afrika, Osteuropa und | |
Asien sind genau wie Mädchen und Frauen auf der Flucht verschiedenen | |
Gefahren ausgesetzt. | |
Manche von ihnen fliehen auch vor Gewalt. In der Familie, auf der Straße | |
oder in Heimen, wie es vor allem für die unbegleiteten jungen Männer gilt, | |
die aus den Maghreb-Staaten nach Deutschland eingewandert sind. Ein Teil | |
von ihnen fällt hier durch Drogenmissbrauch und aggressives Verhalten auf – | |
eine mögliche Folge von Gewalterfahrungen, sagt Mörchen.Ihm und seinen | |
Kollegen geht es darum, jetzt auch diejenigen in den Blick zu nehmen, die | |
mit ihrem Verhalten keine Reaktionen erzwingen, die still leiden – und die | |
auch nicht alle im Fokus des Jugendhilfe-Systems stehen, weil sie eben | |
nicht alleine hierher gekommen sind, sondern mit ihrer Familie oder einem | |
Teil davon. | |
„Die fallen richtig raus“, sagt Mörchen, „da ist niemand zuständig, wei… | |
ja Eltern gibt, die für das Wohl ihrer Kinder verantwortlich sind.“ Nur: | |
„Wenn diese Eltern depressiv im Bett liegen und das Kind springt durch das | |
Zelt, dann bekommen sie überhaupt nicht mit, wie es dem geht.“ | |
Nur zufällig – etwa durch besonders aufmerksame SozialarbeiterInnen – wür… | |
dann ein Kind im Jungenbüro landen, wo es erzählen kann, aber nicht muss, | |
was mit ihm los ist. „Wir machen immer klar, auch in der Fachberatung, dass | |
der Junge entscheidet, welche Hilfe er bekommt.“ Sonst drohe er wieder zum | |
Opfer zu werden, indem über seinen Kopf hinweg Entscheidungen getroffen | |
werden, indem er gezwungen wird, sich zu offenbaren. | |
Zehn geflüchtete Jungen zwischen sieben und 18 Jahren hat das Jungenbüro in | |
den letzten anderthalb Jahren begleitet. In einem Fall ist es auch zur | |
Anzeige gekommen. Aber weil der mutmaßliche Täter zum Tatzeitpunkt selbst | |
noch minderjährig war, wurde das Verfahren wegen versuchter Vergewaltigung | |
eines Kindes eingestellt. Der Tatort war laut Mörchen eine Bremer | |
Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. | |
Damit es gar nicht erst zu solchen Übergriffen kommt, fordert das | |
Jungenbüro, dass die „Mindeststandards zum Schutz von Kindern vor sexueller | |
Gewalt in Flüchtlingsunterkünften“ eingehalten werden. Diese hat der | |
unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen | |
Kindesmissbrauchs im August 2015 in einer Checkliste zusammen gefasst. Sie | |
werden in Bremer Unterkünften nur teilweise und abhängig vom Engagement des | |
Betreibers der Unterkunft umgesetzt – vom Staat vorgeschrieben sind sie | |
nicht. | |
Ein Punkt ist die Information über Hilfsangebote. Hier geht das Jungenbüro | |
jetzt den umgedrehten Weg um und informiert diejenigen, die mit | |
Geflüchteten arbeiten, darüber, was das Jungenbüro macht. Dessen | |
Mitarbeiter haben außerdem einen Flyer in vier Sprachen erstellt, der sich | |
direkt an Betroffene wendet. | |
Noch vor der Sommerpause soll jetzt laut Senat ein Konzept vorgelegt | |
werden, wie Frauen und Kinder in Gemeinschaftsunterkünften besser vor | |
Gewalt geschützt werden können. | |
6 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
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