# taz.de -- Die Wahrheit: Sprudelnder Schweiß | |
> Die wahre Reportage: Eingeladen von Jägern zu einem feinen Empfang mit | |
> Wildspezialitäten und Brunftschreien. | |
Ich werde nie mehr etwas über Jäger schreiben. Das ist auf jeden Fall wahr. | |
„Save the Date“ steht groß über der Voreinladung. Absender ist der CIC, d… | |
Internationale Rat zur Erhaltung des Wildes und der Jagd. Darunter schreibt | |
ein Dr. Wilhelm v. Trott zu Solz, „Leiter der Deutschen Delegation“: „Nach | |
einem kurzen feuilletonistischen Impuls zum Thema laden wir Sie bei | |
erlesenen Wildspezialitäten und feinen Getränken zu Gesprächen über Jagd | |
und Jäger ein.“ | |
Die Karte gilt zwar mir persönlich, ist jedoch an die Redaktion adressiert. | |
Ich bin froh, dass sie nicht wissen, wo ich wohne. In mindestens zwei | |
Texten habe ich, zwar gewohnt überspitzt, doch in der Sache korrekt, Jäger | |
als blutgierige Psychopathen abgebildet. Jetzt befürchte ich eine Falle. | |
Warum sonst sollten sie mich einladen? Sobald ich in der Höhle des Löwen | |
bin, knallen die mich doch ab wie eine streunende Miezekatze. Sie nennen es | |
„feuilletonistischer Impuls“, meine Leiche wird die „erlesene | |
Wildspezialität“ und mein Blut das „feine Getränk“. | |
## Todesschreie als Soundtrack | |
Oder? Wieder und wieder studiere ich das Anschreiben: „Erlesene | |
Wildspezialitäten. Feine Getränke.“ Yummy! Vielleicht sind die Jäger ja | |
doch ironiefähiger als ich dachte. Sie wollen mir die Hand reichen und mich | |
großzügig beschämen. Man sollte Menschen nie vorschnell in Schubladen | |
stecken. Auch dann nicht, wenn sich der Soundtrack ihres Lebens aus den | |
Todesschreien der von eigener Hand gemeuchelten Tiere zusammensetzt. | |
Die endgültige Einladung gelangt ebenfalls über die Redaktion zu mir. | |
„Dunkler Anzug“, steht unten rechts, umseitig dann das Programm: „Begrü�… | |
durch Dr. Wilhelm v. Trott zu Solz – Professor Dr. h.c. Markus Lüpertz zum | |
Thema ‚Jagd und Kultur – heute ein Widerspruch?‘ – Im Anschluss Cocktail | |
Prolongé ‚Wild, Wald, Wiesen und Wein‘‘. Längst habe ich mich entschied… | |
die Einladung anzunehmen. | |
Schließlich ist der große Abend da. „Jäger? Kultur? Ich dachte, die machen | |
das beruflich“, staunt Q., als ich mich im Anzug vom Kostümverleih | |
verabschiede. „Du meinst Förster“, verbessere ich sie. „Jäger sind einf… | |
nur reiche Leute, die aus Spaß Tiere totschießen. So wie kleine Jungen, die | |
Hamster aus dem Fenster werfen.“ – „Und da willst du hin? Die sind doch | |
garantiert bewaffnet!“ – „Ach was.“ Ich wische ihre Bedenken beiseite. … | |
so ganz wohl ist mir nicht dabei. | |
Außer Sichtweite des Veranstaltungsorts schließe ich mein Fahrrad an eine | |
Laterne. Pariser Platz Nr. 1, Haus der Commerzbank. Die beste Adresse der | |
Stadt. Der Empfangschef zuckt nicht mit der Wimper, als er meine Einladung | |
routiniert mit seiner Liste abgleicht und mir die Karte mit den Worten, | |
„Waidmanns Heil, Herr Hannemann“, zurückgibt. | |
Drinnen greife ich dankbar nach einem von den ganz in Grün gekleideten | |
Hostessen dargereichten Glas Champagner. Zügig trinke ich es aus. Da winkt | |
mich jemand heran: „Herr Hannemann: Wie schön, dass Sie gekommen sind! Wir | |
dachten schon, Sie hätten Angst vor uns!“ | |
Er gibt mir lachend High Five. Das muss er sein: Dr. Wilhelm v. Trott zu | |
Solz. Der Delegationsleiter. Er trägt ein Ramones-Shirt zu ausgewaschenen | |
Cargo-Shorts. Sein rechtes Ohr ziert ein gigantischer Flesh Tunnel. Er | |
bemerkt meinen erstaunten Blick. „Ich liebe es, Erwartungen zu brechen.“ | |
Er deutet auf die Anzugträger: „Die kommen hier ja alle wie zu ihrer | |
eigenen Beerdigung.“ Er lacht erneut. „Nennen Sie mich Willi. Dieses von | |
Schrott zu Sülz ist nur für die Steuer. Je länger der Name, desto mehr kann | |
man absetzen.“ Was für ein selbstironischer Twist, den eigenen Adelsnamen | |
zu verballhornen und so die pseudolinken Vorurteile des Gesprächspartners | |
offensiv zu unterlaufen. | |
„Ein schönes Fest“, sage ich verlegen. „Das hat sicher eine Stange Geld | |
gekostet.“ – „Scheiß aufs Geld!“ Er wechselt unvermittelt zum Du. „W… | |
Geld nicht benutzt, um die Welt zu verbessern, ist es wertlos.“ | |
Unter schulterlangen Zotteln mustert mich ein Paar leuchtend blauer Augen | |
aus einem braungebrannten Gesicht. Augen, die zugleich jungenhafte Neugier | |
ausstrahlen, und doch schon eine Menge gesehen haben. In Eritrea, wo er | |
Brunnen grub; im Kongo, wo er verwaisten Berggorillababys das Fläschchen | |
gab; im Libanon, wo er zwischen drusischen Freischärlern und der | |
prosyrischen Al-Faraday-Miliz vermittelte. | |
„Aber lass uns mal eine buffen, Uli.“ Er unterbricht seinen Erzählfluss und | |
führt mich ins Untergeschoss. Vor den Toiletten hauen wir eine Riesentüte | |
weg. Den Brunftschreien nach zu urteilen, wird in sämtlichen Klokabinen | |
heftig kopuliert. Was für eine Party! | |
Zurück im Saal hat der Vortrag von Professor Dr. Lüpertz bereits | |
angefangen. Ich traue meinen Ohren kaum: „… hat uns Herr Hannemann in der | |
taz so wunderbar den Schelmenspiegel vorgehalten. Oftmals zeigt sich der | |
Narr klüger als der König. Da blitzt hinter scheinbarem Unsinn so manche | |
Wahrheit über die Rolle des Jägers in der Gesellschaft hervor. Und diese | |
Rolle endlich zeitgemäßer zu gestalten, um so das Bild, das die | |
Gesellschaft von uns hat, aber auch das wir selber von uns haben, neu zu | |
justieren, stünde uns wohl an. Für diesen schmerzhaften Denkanstoß wollen | |
wir unserem Ehrengast hiermit herzlich danken!“ | |
## Gasse für den Ehrengast | |
Ich bade im wärmenden Beifall der Umstehenden. „Ehrengast“ – wie gut das | |
tut! „Bravo“ rufend bilden die Jäger eine Gasse, durch die ich hindurch | |
schreite bis zur Terrasse. Ich möchte kurz alleine sein, mich sammeln, aber | |
auch den unerwarteten Triumph genießen. | |
Draußen fällt mir um ein Haar das Champagnerglas aus der Hand. Man hat den | |
Garten mit immensem Aufwand zu einer Art Themenpark für Jäger gestaltet. | |
Mitten in der Stadt erstreckt sich eine Feld-, Wald- und Wiesenlandschaft | |
täuschend echt bis zum Horizont – die Grenzen zwischen Landschaftsbau und | |
CGI-Animation verwischen. Aus einer „Hochsitzkanzel“ am „Waldrand“ sehe… | |
nun ein weißes Rauchwölkchen aufsteigen. Den Schuss höre ich erst einen | |
Sekundenbruchteil später. | |
Der Moment, da man getroffen wird, ist nichts als namenloses Entsetzen. | |
Glaubt nicht dieses von morphinistischen Endzeitpfaffen verbreitete | |
Esomärchen vom Film eures Lebens, der sich vor eurem inneren Auge abspult. | |
Es gibt auch keine Tunnel, an deren Ende Einhörner, Licht und Gesang auf | |
euch warten. Sterben ist kein Kinonachmittag für verwöhnte Vorstadtkinder. | |
Glaubt nicht, dass es nicht wehtut und dass ihr keine Angst empfinden | |
werdet: Habt ihr euch denn ein einziges Mal gefragt, warum die Überlebenden | |
solch sentimentalen Quark erzählen, die Toten aber vorziehen zu schweigen? | |
## Schmerzen und Schweigen | |
Weil es wehtut. Von der Wucht des Geschosses bin ich augenblicklich zu | |
Boden gegangen. Lungendurchschuss. Nun liege ich wie aufgebahrt in einer | |
Ackerfurche. Von Trott zu Solz steht mit gezogenem Hirschfänger breitbeinig | |
über mir. Woher kommt der so schnell? Noch nie habe ich so viel Verachtung | |
in einem Gesicht gesehen. Ich starre ihn mit glasigen Augen an. Trotz | |
meiner Schmerzen will ich nicht sterben. | |
Schweigend haben sich alle um mich herum versammelt. Ich möchte etwas | |
sagen. Dass sie mich leben lassen sollen. Bitte. Das war doch nur eine | |
harmlose Satire. Und einen letzten Gruß an Q. Aber statt Worten sprudelt | |
bloß hellrotes Blut aus meinem Mund. „Schweiß“, nennen sie das in der | |
Jägersprache. | |
Ich werde nie mehr etwas über Jäger schreiben. Das ist auf jeden Fall wahr. | |
Die Erde unter mir ist feucht. Am Himmel kreisen Bussarde und Raben. | |
Halali. | |
28 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
## TAGS | |
Jäger | |
Tiere | |
Panik | |
Schimpansen | |
Psychologie | |
Sexualität | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Schwerpunkt Landtagswahlen 2019 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Der jüngste Tag | |
Nach dem neuen Zivilschutzplan der Bundesregierung gerät in | |
Berlin-Kreuzberg nicht nur die Vorratslage außer Kontrolle. | |
Die Wahrheit: Gelehrige Äffchen | |
Taktische Intelligenz ist bei Primaten tierisch verbreitet. Ob Bonobo oder | |
Storch, Apfel oder Birne – sie besitzen alle erstaunliche Fähigkeiten. | |
Die Wahrheit: Wespe mit Herpes | |
Der neue Star der radikal Ehrlichen heißt Vera Sommer und ist ein Ausbund | |
an Wahrhaftigkeit. | |
Die Wahrheit: Dies ist kein Liebeslied | |
Absonderliche Sexualität: Neueste Varianten der erstaunlichen | |
Geschlechtlichkeit treiben ihr Unwesen in der Gesellschaft. | |
Die Wahrheit: Volle Kanne Mann | |
Neues vom deutschen Ober-Maskulinisten: Die Geschlechtererforschung geht | |
hardcore weiter. | |
Die Wahrheit: Ende einer Spaßpartei | |
Nach den bestürzenden Wahlerfolgen wird das außer Kontrolle geratene | |
Projekt „AfD“ von den Verantwortlichen abgebrochen. |