# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Tanzvorbereitungen beim Inder | |
> Zwischen Manchester und DDR – und irgendwie geschmackvoll: Ein Besuch | |
> beim Mini-Inder. | |
Bild: Da geht der Abend flott los: indische Tänzer | |
Frieda und ich wollten tanzen gehen, aber ich musste vorher noch was essen. | |
Ein winzig kleines indisches Restaurant lag auf dem Weg. Ich glaube, das | |
gab es schon Ende der 90er. | |
Drinnen der Geruch von Frittierfett und Kurkuma. Ich muss sofort an | |
Manchester denken. Vor zehn Jahren war ich dort häufiger. Mein Exfreund | |
hatte Familie dort. Manchester ist ein Ort, wo es eigentlich immer nieselt | |
und alles mit Teppichboden ausgelegt ist. Ich war in Pubs, in denen die | |
Auslegware bis an den Rand der Kloschüssel reichte. Manchester erinnerte | |
mich immer an die DDR. Alles war irgendwie kaputt und improvisiert, ein | |
bisschen abgerockt und funktionierte nicht richtig. Wie dieser Laden hier. | |
Wackelige Klapptische, schmierige Plastestühle, braune Auslegware bedeckt | |
den Boden. Ein alter Mann mit weißem Schnurrbart sitzt in der hintersten | |
Ecke des Lokals vor einem Laptop und kichert leise. Als ich reinkomme, | |
schaut er auf, unterdrückt einen Seufzer und erhebt sich umständlich. Ich | |
bereue sofort, nicht in die Pizzeria nebenan gegangen zu sein. Den armen | |
alten Mann so zu belästigen! | |
Er hievt sich hinter dem Tisch vor und entblößt dabei eine erstaunlich | |
birnenförmige Statur. Ob ich was essen will, fragt mich der Birnenmann in | |
flüssigem Englisch, aus dem der indische Akzent hervorsticht wie der | |
Geschmack von Currypulver aus einer Kartoffelsuppe. | |
„Ähm ja“, sage ich auf Deutsch, um ihm zu bedeuten, dass ich keine | |
Touristin bin. Interessiert ihn aber nicht besonders. Auch wieder | |
sympathisch. Ich nehme zwei Samosas mit Gemüse. | |
„Salat?“, fragt er auf Deutsch. | |
„Ja, bitte“, sage ich. | |
Die Miene, die er macht, ist nicht misszuverstehen. Auf Berlinerisch hieße | |
sie: „Na, wennsde meinst?“ | |
Ich muss an den Vater meines Exfreundes denken. Der brach auch beim | |
Gedanken an Salat in solche Begeisterungsstürme aus. Und hatte eine | |
ähnliche Figur, aber einen anderen Akzent. Er wurde in Schlesien geboren. | |
Der Birnenmann nimmt einen Frühstücksteller von Ikea aus einem Wandregal | |
und zwei Gemüseteigtaschen aus der beleuchteten Vitrine, die zwischen uns | |
steht. Er packt das Essen auf den Teller, stülpt einen tiefen Teller | |
darüber und schiebt alles in die Mikrowelle. | |
Dann bereitet der Birnenmann den Salat. Er holt zwei Plastikdosen aus der | |
Vitrine. Aus der einen schüttelt er ein Dutzend kartoffelgroß geschnittener | |
Gurkenstücken auf einen Teller, aus der anderen ein Häufchen Eisbergsalat. | |
Meine Exschwiegereltern hatten auch solche Dosen im Kühlschrank! | |
„Dressing?“, fragt der Birnenmann, und ich nicke gespannt. Mit großzügigem | |
Schwung verteilt er Mayonnaise über Gurken und Salat, bis kein Fitzelchen | |
Grün mehr zu sehen ist. Dann macht es „Pling!“ und die Samosas sind fertig. | |
Ob ich auch was trinken möchte, will der Birnenmann wissen. Ich bestelle | |
einen schwarzen Tee. Lieber keine weiteren Experimente!, denke ich, Tee ist | |
okay, Tee ist indisch, da kann nichts schiefgehen. | |
Der Birnenmann nickt, öffnet eine Pappschachtel, fischt einen Teebeutel | |
heraus, hängt ihn in eine Ikea-Tasse, hält die unter den Wasserhahn und | |
lässt fließend heißes Wasser zulaufen. Dann stellt er die Tasse in die | |
Mikrowelle. Ich mache mir vor Freude gleich in die Hose. „Wo ist denn die | |
Toilette?“ Er zeigt mir den Weg. An der Kloschüssel ist gar kein | |
Teppichboden. | |
Als ich zurückkomme, steht mein Abendbrot auf dem Tisch. Der Birnenmann | |
sitzt wieder an seinem Platz, guckt Fernsehen und kichert. Als ich an ihm | |
vorbeilaufe, sehe ich dicke indische Männer in Saris tanzen. Ich möchte so | |
gerne mal wieder nach Manchester! | |
Die Samosas waren gar nicht mal schlecht. | |
29 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
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