# taz.de -- Die Wahrheit: Gar. Nicht. Gut. | |
> Der Punkt wird immer mehr zum Überzeichen, er ersetzt alle anderen | |
> Zeichen. Punkt. Hier bitte weiterlesen. Punkt. | |
Bild: Man kann auch auf eine etwas andere Art einen Punkt setzten | |
„Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht“ – eine scheinbar | |
einfache Zeichenanleitung, die manchen Leuten unverständlich sein dürfte, | |
weil sie zwar noch den Punkt kennen, Komma, Binde- und Gedankenstrich aber | |
nicht mehr; zu schweigen von anderen Satzzeichen: vom Doppelpunkt zum | |
Beispiel; oder dem Semikolon, von dem kaum jemand weiß, welche | |
Bedeutungsfeinheiten damit angezeigt werden. | |
Jedes Satzzeichen hat eine Aufgabe in der geschriebenen Sprache zu | |
erfüllen, steht für die richtige Beschreibung der Welt ein und zeigt | |
zugleich an, in welches Verhältnis der Sprecher sich zu ihr setzt. Fehlt | |
Letzteres, wird „die Prosa auf den Protokollsatz heruntergebracht, auf die | |
bloße Registrierung der Tatsachen“, was Theodor W. Adorno schon 1956 eben | |
nicht nur registrierte, sondern auch kritisierte: Denn „indem Syntax und | |
Interpunktion des Rechts sich begeben, Kritik an ihnen zu üben, schickt | |
bereits die Sprache sich an, vor dem bloß Seienden zu kapitulieren. Mit dem | |
Verlust des Semikolons fängt es an, mit der Ratifizierung des Schwachsinns | |
hört es auf.“ | |
Nicht nur der Strichpunkt, das Semikolon, sondern sogar der Satzpunkt stand | |
zu Adornos Zeit auf der roten Liste. Zumindest gewinnt diesen Eindruck, wer | |
die Prosa von Koeppen oder Böll zum Maßstab der Erinnerung macht, das | |
Aneinanderketten von Hauptsätzen war ihr Stilmittel, und wer „Das | |
Treibhaus“ oder die „Ansichten eines Clowns“ aufschlägt, findet zahllose | |
Beispiele dafür, Sprache, Handlung, Charaktere bekommen auf diese Weise | |
etwas Getriebenes, bekommen etwas Unausweichliches, von Anfang an auf ein | |
festgelegtes Ende Zusteuerndes, und genauso künstlich durchkonstruiert sind | |
diese Romane. | |
## Punkt gleich Doppelpunkt | |
Heutzutage macht sich der Punkt nicht mehr rar – im Gegenteil! Er ersetzt | |
den Doppelpunkt: „Er überquerte vor 5.300 Jahren zu Fuß die Alpen“, heißt | |
es im Videotext von ARD-alpha, „und kam unter mysteriösen Umständen ums | |
Leben. Der Mann aus dem Eis, der 1991 in den Ötztaler Alpen als | |
Gletschermumie gefunden wurde.“ | |
Er ersetzt den Gedankenstrich: „Innerhalb der Universität“, berichtet die | |
taz über den Versuch, Frau Dr. ex Schavan nach München zu holen, „blieb es | |
lange Zeit bei vereinzelter Kritik. Bis 43 Sprachwissenschaftler einen | |
Protestbrief an Huber schickten.“ Er ersetzt das Fragezeichen: „Doch wer“, | |
fragt die taz, „widersetzt sich und stellt die richtigen Fragen.“ Der Punkt | |
kann sogar, wie in einer Buchreklame des Beck-Verlags, nichts ersetzen: | |
„Immer recht zu behalten ist eigentlich kein Problem. Und macht noch dazu | |
grandiosen Spaß.“ | |
Selbstverständlich ersetzt er auch das Semikolon: „In diesen | |
Abgassonderzonen der Nord- und Ostsee darf der Schwefelgehalt im Kraftstoff | |
nur 0,1 Prozent betragen. Was zwar eine erhebliche Verbesserung ist. Aber | |
auch 0,1 Prozent sind noch hundertfach schmutziger als herkömmlicher | |
Lkw-Diesel.“ (taz) Welcher Satzpunkt besser ein Strichpunkt wäre? Finden | |
Sie es heraus? | |
Dabei finden Sie sicherlich auch heraus, welcher Punkt in diesem Zitat ein | |
Komma ersetzt. Das einen Nebensatz einleiten sollte: „Es sind rund 20 | |
Isotope bekannt. Deren Halbwertzeiten Bruchteile von Sekunden bis 80 | |
Millionen Jahre betragen.“ (taz) Auch vor einer Konjunktion steht deshalb | |
nicht das Komma. Sondern der Punkt: „Bei den Unruhen in Baltimore geht es | |
nicht nur um das brutale Vorgehen von Polizisten. Sondern um die | |
jahrzehntelange Benachteiligung von Schwarzen.“ (taz) | |
Außerdem lassen sich mit dem Punkt präpositionale Ergänzungen | |
verselbständigen. Indem man sie einfach herausreißt. Aus dem Satz: „Die | |
jährliche Aufwandspauschale darf 500 Euro nicht überschreiten. Wegen der | |
Gemeinnützigkeit.“ (Aus einer Anleitung für Sportvereine) | |
## Interpunktion nicht sinnlos | |
Satzzeichen verdeutlichen die Syntax und ersetzen, was in einem Gespräch | |
hör- und sichtbar wäre: Gestik, Mimik, Intonation, Sprechpausen. Die | |
Interpunktion hat also Sinn und Bedeutung – und genau das scheint es zu | |
sein, was manche Schreiber verleitet, strunzgewöhnliche Aussagen | |
wichtigtuerisch hervorzuheben: „Brigitte Seebacher-Brandt hat versucht, | |
ihren verstorbenen Ehemann in einen Nationalkonservativen umzudeuten. Was | |
viele Anhänger von Willy Brandt erbitterte.“ (taz) Und auch manche Leser | |
erbittert. Aber. Der taz gefällt der Stil: „Persönlich läuft alles. Aber. | |
Er schläft jetzt öfter schlecht“, aberabert sie über den Philosophen | |
Wolfram Ellenberger. | |
Gewiss. Die Welt scheint sinnentleert. Die Sprache zerquasselt. Das Wort | |
ohne Inhalt. Weshalb man ihm durch Vereinzelung zurück verhelfen will. Zu | |
seiner Bedeutung. Nur. Dass dabei Bedeutungshuberei herauskommt. | |
„Wirtschaft. Gemeinsam. Denken.“ So lautet der Untertitel der neuen | |
Zeitschrift enorm. Nun. Es gibt Menschen. Die vor Kraft kaum gehen können. | |
Und Äußerungen. Deren Bedeutungsschwere. Einen. Erschlägt. Aber. Das, sagt | |
die taz selbst, ist: „Gar. Nicht. Gut.“ | |
20 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
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