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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Schleier der Venus
> Historische Innenansichten aus den dunklen Ecken der beginnenden
> Selbstbefriedigung. Eine sehr persönliche Geschichte der Erotik.
Bild: Lang, lang ist's her: Der Quelle-Katalog als erstes Opfer der Internetpor…
Es gibt keine Geheimnisse mehr! Der Schleier, mit dem sich die Venus früher
verführerisch bedeckte, ist weggerissen. Die Sexualität, die einst im
mysteriösen Halbdunkel lag, findet nun im grellsten Scheinwerferlicht
statt. Wie wurden junge Menschen früher vom Rätsel der Liebe verlockt,
gerade weil es so lange ungelöst blieb! Heute kann jeder Teenager auf dem
Bildschirm seines Telefons Leuten beim Ficken zugucken.
Schon die Jüngsten wissen Bescheid, man kann ihnen nichts mehr erzählen.
Sie haben bereits alles gesehen. Sie kennen Liebesfilme, in denen vier
Frauen und zwölf Männer derart zusammenwirken, dass keine Körperöffnung
ungenutzt bleibt. Zu Hause im Kinderzimmer werden die Stellungen
nachgestellt und auch gleich wieder abgefilmt. Man will ja am nächsten Tag
den Freunden auf dem Schulhof die Lernfortschritte vorführen können.
Wie würden diese jungen Menschen lachen, wenn man ihnen erzählte, wie Jungs
früher sexuell erweckt wurden: mit dem Quelle-Katalog! Der Quelle-Katalog
war einst die Bibel der jugendlichen Sexualität, wenigstens der männlichen.
Das breite Sortiment an Damenunterwäsche, das er präsentierte, machte den
jungen Betrachter mit den Reizen des weiblichen Körpers vertraut. Die
jungen Frauen auf den Fotos blickten dabei trotz ihrer Blöße gar nicht
lasziv, sondern beinahe bieder in die Kamera, so als ahnten sie nichts von
dem Missbrauch, den man mit ihnen trieb. Kein Grund also für ein schlechtes
Gewissen.
## Breites Sortiment an Damenunterwäsche
Seine Erregung musste man freilich dennoch zügeln. Wenn im Quelle-Katalog
plötzlich Seiten fehlten, fiel das doch unangenehm auf. Vor Jahren ging das
fränkische Traditionsunternehmen nun pleite – als eines der unschuldigsten
Opfer der Internetpornografie.
Die nächste Station auf der erotischen Entdeckungsreise des Jugendlichen
war das sogenannte Tittenheft. Man entdeckte es recht mühelos im
Schlafzimmerschrank der Eltern seines besten Freundes. Magazine mit
verführerischen Namen wie St. Pauli Nachrichten oder Blitz Illu stellten
schon weit mehr Informationen bereit als der Quelle-Katalog. Doch blieb das
letzte Geheimnis auch hier noch immer verborgen. Die Fotomodelle hatten
nämlich eine so gewaltige, künstlich aufgebauschte Schambehaarung, dass
jeder Blick auf das primär Geschlechtliche unmöglich blieb.
Erregender als die Fotos waren eigentlich auch die literarischen
Erzählungen. Frauen berichteten davon, wie sie aus purer Lust spontan
Geschlechtsverkehr mit wildfremden Männern in Telefonzellen und Parkhäusern
gehabt hatten. Nach der gemeinsamen Lektüre gelangte man mit Freunden zu
dem unabweislichen Schluss: „Die Weiber – die wollen’s doch auch!“
Besaß man irgendwann endlich einen eigenen Fernseher, öffnete sich die
Pforte zum Reich der bewegten Erotik. In jenen fernen Tagen liefen noch
Softsexfilme im TV-Programm. Allerdings erst spät nachts zur Schlafenszeit,
was jedoch nicht weiter störte, konnte man auf den Ton doch ohnehin
verzichten. Betrat trotzdem einmal überraschend ein Elternteil das eigene
Zimmer, schaltete man eilig um zum Intellektuellentalk von Alexander Kluge,
der auch die Erektion rasch besänftigte.
## Sexszenen im Kuhstall
Die deutsche Filmkunst erbrachte auf dem Feld der Soft-erotik leider keine
herausragenden Leistungen. Die Streifen der Lederhosen-Reihe sorgten mit
Sexszenen im Kuhstall und Dialogzeilen wie „Herr Doktor, Ihr Thermometer
ist ja ganz warm!“ nicht für Erregung, sondern allenfalls für seelische
Langzeitschäden.
Unvergleichliches leisteten hingegen die Franzosen. Es gelang ihnen, die
körperliche Liebe darzustellen, ohne doch den rohen physischen Akt
eigentlich zu zeigen. Die Filme der „Emmanuelle“-Reihe sehen aus, als hätte
man sie mit einem Schleier vor der Kamera gedreht. Der Liebesakt wurde
stets aus etwa einem halben Kilometer Entfernung aufgenommen, was dem
Zuschauer die Rolle eines dezenten Voyeurs zuwies. Die plänkelnde
Stimmungsmusik verlieh der ganzen Sache eine heitere, spielerische
Anmutung.
Vorbei, vorbei! Die Gegenwart möchte lieber die Leistungsfickerei komplett
rasierter Sexsportler in Großaufnahme sehen. Als Trost bleibt nur eines:
Früher berichteten die Opas ihren Enkeln vom Krieg. Wir können immerhin
später von den Abenteuern zärtlicher Cousinen erzählen.
17 May 2016
## AUTOREN
Michael Bittner
## TAGS
Sexualität
Selbstbefriedigung
Pornografie
Wutbürger
Konsumgesellschaft
Liebe
Selbstbefriedigung
Mittelmeer
Schwerpunkt Rassismus
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