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# taz.de -- Eintracht-Frankfurt-Vorstand geht: „Der Fußball ist zu groß“
> Heribert Bruchhagen verabschiedet sich von Eintracht Frankfurt. Warum er
> sich im Abstiegsfall keine Vorwürfe macht und wie sich Fankultur geändert
> hat.
Bild: Im Dienst des Klubs mit dem Adler: Heribert Bruchhagen fühlte sich oft a…
taz.am wochenende: Sie waren als Spieler, Trainer und Funktionär
jahrzehntelang im Profifußball tätig, zuletzt 13 Jahre als
Vorstandsvorsitzender von Eintracht Frankfurt. Gehen Sie nun mit einem
schlechtem Gewissen in Rente, wenn Ihr Verein am Samstag absteigt?
Heribert Bruchhagen: Das halte ich für ausgeschlossen. Wolfsburg wird nicht
zu Hause mit mehreren Toren Unterschied gegen die angeschlagenen
Stuttgarter verlieren, diese Blöße wird sich der Verein nicht geben. Aber
ein ganz realistisches Szenario ist, dass wir in Bremen verlieren und in
die Relegation müssen.
Auch über die Relegation kann der Weg in die 2. Liga führen. Für Sie wäre
es ein Abschied mit Abstieg. Gerade Ihre Frankfurter Zeit gilt als eine Art
Lebenswerk. Wie sehr hängt das nun am seidenen Faden?
Ich bin selbstbewusst genug, nicht in große Selbstzweifel zu verfallen,
sollten wir absteigen. Ich überlege mir schon, was ich mir vorzuwerfen
habe. Aber ich bin meinen Handlungsweisen auch in diesem Jahr treu
geblieben, ich kann mir keinen Vorwurf machen. Das klingt arrogant, aber
umgekehrt habe ich niemals den Anspruch erhoben, besonders für unsere
Erfolge verantwortlich zu sein. Ich habe mein Wissen und Können stets
verantwortungsvoll eingebracht. Für die Ergebnisse, die da herauskommen,
muss ich kein Büßergewand anziehen. Auf der anderen Seite habe ich
Verantwortung für 108 Mitarbeiter und würde bei einem Abstieg den Verein in
einer ganz schwierigen Lage hinterlasse. Das trifft mich schon.
Die Eintracht leistet sich in dieser Saison den teuersten Kader der
Vereinsgeschichte – und spielt gegen den Abstieg. Was ist falsch gelaufen?
Wir sind auf der Suche nach Erklärungen, aber das ist nicht einfach.
Unterhalb der großen sechs Vereine, die gesetzt sind, hat sich gezeigt,
dass man mit Laufleistung, Willenskraft und Teamgeist vieles erreichen
kann. Diese Tugenden haben wir zwischenzeitlich etwas vermissen lassen –
sie aber nun wieder mobilisiert. Es gibt einfach Unwägbarkeiten, eine
Eigendynamik des Erfolges und des Misserfolges. Auch Hannover oder
Stuttgart werden keine Erklärung haben. Alle haben doch geglaubt, dass
Darmstadt und Ingolstadt absteigen – aber es ist ganz anders gekommen.
Überraschungen sind doch toll.
Ja, das ist toll, wenn ich nicht selbst betroffen wäre (lacht). Aber wenn
man ehrlich ist, Märchen gibt es immer seltener im Fußball. Als 1998
Kaiserslautern als Aufsteiger Meister wurde – so etwas gibt es heute nicht
mehr.
Sie sind vor allem mit Ihrer These berühmt geworden, die Bundesligatabelle
sei bis auf wenige Ausnahmen zementiert und richte sich nach den
finanziellen Möglichkeiten der Vereine.
Dabei bleibe ich. Addieren Sie die Lizenzspieleretats der letzten fünf
Jahre und teilen das durch fünf. Dann die Summe der Tabellenplätze dieser
Zeit durch fünf geteilt – da gibt es fast zu 100 Prozent eine
Übereinstimmung.
Und die Dominanz der großen Klubs nimmt weiter zu. England überschwemmt den
Markt mit Milliarden an Fernsehgeldern, in Deutschland kann niemand mit den
Bayern mithalten. So geht doch jegliche Spannung verloren.
Auch die Erstligavereine in England können nur 500 Lizenzspieler
beschäftigen und nicht den ganzen Markt leer kaufen. Und wir haben immer
noch Aufstieg und Abstieg, das ist sehr spannend. Der Tod des Fußballs wäre
es, wenn es eine geschlossene Liga gäbe nach amerikanischem Prinzip, ohne
Ab- und Aufsteiger und ohne Qualifikation für internationale Wettbewerbe.
Aber das wird hier nie so kommen.
Braucht es nicht dennoch eine neue Debatte über eine Umverteilung in der
Fußballbundesliga?
Klar wünsche ich mir das, aber niemand traut sich mehr, das zu sagen. Und
es ist unrealistisch, das sehe ich heute ein. Ich habe zumindest immer
gegen eine zu große Spreizung gekämpft – leider erfolglos. Normalerweise
müsste doch ein Aufschrei durch das Land gehen, wenn Bayern viermal
hintereinander Meister wird. Aber das Produkt Bundesliga wird stärker,
immer mehr Menschen begeistern sich für Fußball.
Und denen ist egal, ob Bayern zum fünften Mal Meister wird?
Die Fanstruktur hat sich grundlegend verändert, weg von den Fachleuten, hin
zu einem breit gemischten Publikum. Das Wir-Gefühl hat eine große Bedeutung
bekommen, der Fußball wird nicht mehr so sehr an den sportlichen
Entwicklungen gemessen. Die Menschen suchen im Stadion die Vielzahl.
Woher kommt diese Sehnsucht nach dem gemeinsamen Erlebnis?
Das resultiert aus der Vereinsamung, in der Familie und am Arbeitsplatz.
Entfremdung findet überall statt. Schauen Sie nur in der Bahn, da wurde
früher kommuniziert, heute gucken alle auf ihre Smartphones. Die Menschen
brauchen die Emotionalität, sie finden sie im Fußball, aber nicht mehr so
sehr an anderen Stellen. Die Sozialkompetenz im kleinen Raum ist nicht mehr
so vorhanden, auf der Straße, mit den Nachbarn und vor allem im
Vereinsleben, das ja massiv zurückgeht. Das ist schade, denn gerade Sport
ist in vielerlei Hinsicht die ideale Konstellation, auch wenn man über
Integration nachdenkt. Nirgendwo kann man Menschen besser zusammenführen,
und gesundheitsfördernd ist es auch noch. Man kann den Sport nicht hoch
genug bewerten, also den Amateursport, nicht unseren Fußballzirkus.
Dieser Zirkus ist inzwischen so mächtig und omnipräsent, dass er alle
anderen Sportarten erschlägt?
Der Fußball hat viele Sportarten, die früher beliebt waren, verdrängt. Die
Bedeutung des Fußballs ist zu groß geworden. Zum Beispiel werden die
deutschen Leichtathletikmeisterschaften nur noch punktuell im Fernsehen
übertragen. Bis in die 1970er Jahre hinein war das die königliche Sportart.
Und wo ist die Leichtaltethik heute? Erschlagen vom Fußball.
Weil der Fußball wie keine andere Sportart vom Geld regiert wird?
Ja, aber es wäre doch jetzt unredlich von mir, darüber zu klagen. Auch mein
Gehalt ist mitgewachsen. Und ich bin als Vorstandsvorsitzender
verpflichtet, das Business mitzubetreiben. In dieser ambivalenten Situation
habe ich mich immer befunden. Und ich kann es ja auch nicht ändern, es ist
gesellschaftlicher Wille.
Aber die organisierte Fanszene protestiert doch gegen die
Kommerzialisierung des Fußballs.
Die Fans kaufen Tickets für das Stadion, haben ein Abo bei Sky und kaufen
Produkte der Vereine. Das sind ja Dinge, die ich als Vorstandsvorsitzender
wollen muss und auch will. Aber was ich sagen möchte: Die Menschen sind als
Konsumenten Teil dieser Entwicklung.
Das ist doch schizophren.
Es ist eben so. Wenn ich vor dem Spiel durch das Stadion laufe, brüllen
mich manchmal 16-Jährige an: „Bruchhagen, gib uns unseren Fußball zurück.�…
Wie kommen die auf solche Ideen? Ich bin seit Kindertagen mit Fußball
befasst. Aber natürlich fühlen diese Jungs im Inneren, dass irgendetwas
nicht stimmt.
Die Eintracht setzt im Umgang mit ihren Fans auf Dialog. Trotzdem gibt es
immer wieder Probleme, beim letzten Auswärtsspiel in Darmstadt hatten die
Frankfurter Anhänger Stadionverbot. Ist Ihre Strategie gescheitert?
Dem DFB ist nun vielleicht klar geworden, dass ein Fanausschluss keine
Lösung ist. Aber es ist ja auch keine einfache Situation, wenn hier Fahnen
brennen, wie beim Hinspiel gegen Darmstadt, das ist sehr gefährlich, das
muss doch hart sanktioniert werden. Man muss nur an die Massenpanik auf der
Loveparade denken. Ansonsten gilt: Man kann gar nicht genug kommunizieren.
Ich verstehe die Jugendkultur, das ist ein wichtiges Phänomen, das getragen
wird von einem Korpsgeist, der sich gegen das Establishment richtet. Ich
glaube, ich habe größeres Verständnis für die Ultrakultur als die Ultras
für die Notwendigkeiten des Managements eines Bundesligisten.
Wie gehen Sie mit dem großen Druck und den Erwartungen um?
Wenn es Probleme gibt, will ich diese nicht nach Hause tragen. Aber im
Umfeld des Fußballs kann ich mich kaum jemandem wirklich anvertrauen, weil
es da eine hohe Durchlässigkeit gibt. Es sind ja fast nur Wistleblower
unterwegs. Um dem Gesamten nicht zu schaden, muss ich viel mit mir selbst
ausmachen. Man ist alleine mit seinen Gedanken. Zum Ausgleich gehe ich
joggen und in die Sauna. Und ein bisschen muss man das Amt des
Bundesligafuzzis auch als Rollenspiel sehen. Die elementaren Dinge des
Lebens wie familiäre und freundschaftliche Bindungen sind davon nicht
betroffen. Man muss die eigene Eitelkeit etwas zurücknehmen. Der Burn-out
darf einen nicht erreichen. Man muss sich selbst trainieren und immer
wieder abrufen, was wichtig ist, und dann landet man nicht unbedingt beim
Fußball.
14 May 2016
## AUTOREN
Timo Reuter
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