| # taz.de -- Hardboiledkrimi mit Kate Winslet: Wie vom Winde verweht | |
| > Noir fürs 21. Jahrhundert: Der Großstadtsthriller „Triple 9“ baut auf | |
| > Gewalt, Sozial-Apokalypse und Polizisten am Rande des | |
| > Nervenzusammenbruchs. | |
| Bild: Die Mafiapatin (Kate Winslet) und der korrupte Cop (Chiwetel Ejiofor) | |
| Das Bild ist schwarz, schemenhaft lassen sich rot angeleuchtete Konturen | |
| ausmachen: Schwere Jungs planen eine schwere Sache, allerdings mit | |
| sichtlichem Missmut. Eine Bank soll ausgenommen werden, allerdings unter | |
| taghellen Bedingungen. Was auch heißt, dass ringsum Zivilisten sein werden. | |
| Harter Schnitt von Nacht auf Tag: Die Nummer steigt, penibel vorbereitet. | |
| Perfekte Maskierung, jeder Handgriff sitzt. Wenn die Typen die Bank im | |
| Prunkbau hochnehmen, folgt jede Geste den Auflagen von Effizienz, | |
| kaltschnäuzige Einschüchterungsmanöver inklusive: Handwerk, militärische | |
| Präzisionsarbeit – schnell, zielgenau, auf Überwältigung aus. Auch | |
| filminszenatorisch nach allen Regeln der Kunst. | |
| Hochgradig professionelle, aber missmutige Bankräuber, die sich um | |
| Zivilisten scheren – die Sache stinkt vom Kopf her. Und tatsächlich: Die | |
| Meute ist von „dirty cops“ durchsetzt, die über persönliche | |
| Abhängigkeitsverhältnisse unter die Fuchtel der Russenmafiapatin Irina | |
| (Kate Winslet) geraten sind, die vorderhand ein Fleischerunternehmen führt. | |
| Sie verlangt einen kaum zu bewerkstelligenden Einsatz, für dessen | |
| Durchführung die Cops aufs Ganze gehen: Ein Mord an einem missliebigen | |
| Kollegen soll als Ablenkungsmanöver auf einem zweiten Schauplatz dienen. | |
| Mit Filmen wie dem Australo-Western „The Proposition“, der | |
| McCarthy-Adaption „The Road“ und dem Gangsterdrama „Lawless“ hat sich d… | |
| Australier John Hillcoat als Experte für düstere No-Nonsense-Genrestoffe | |
| etabliert, in denen die Mechanik der Gewalt ihre Schrauben Millimeter um | |
| Millimeter bis zur befreienden Eskalation anzieht. Auch „Triple 9“ – der | |
| Titel bezieht sich auf den Polizeifunkcode für einen niedergeschossenen | |
| Polizisten – tastet sich, nach dem Spektakel zu Beginn, Schritt für Schritt | |
| in ein labyrinthisches Hardboiled-Herz der Finsternis, das in diesem mit | |
| großer Lust an der Überzeichnung inszenierten Copthriller schlägt. | |
| Dabei geht es Hillcoat zunächst lange darum, die Konstellationen in den | |
| Blick zu nehmen und Schicht um Schicht Atmosphäre und Druck aufzubauen: | |
| Dass die örtliche Tourismusbehörde sich über sein in breiten Strichen | |
| gezeichnetes Bild der US-Südstaaten-Stadt Atlanta freut, darf angezweifelt | |
| werden. Eher herrscht der Eindruck einer schleichenden Sozial-Apokalypse | |
| vor. An allen Ecken und Enden brechen soziale Spannungen auf, die letzten | |
| Brösel des zivilisierenden Kitts der Gesellschaft scheinen längst vom Wind | |
| verweht. | |
| ## Der Wahnwitz des Albdrucks | |
| Immer wieder lässt Hillcoat von der Seite her Details aus dem Wahnwitz | |
| einer unter zugespitztem Albdruck stehenden Gesellschaft ins Geschehen | |
| ragen. Vieles davon mag für politisch sensible Zeitgenossen in seiner | |
| Unkommentiertheit und sacht zynischen Präsentation auf den ersten Blick | |
| zwiespältig anmuten, entspricht aber der Fortschreibung gängiger | |
| Genre-Tropen: „Triple 9“ ist Noir für das 21. Jahrhundert, der die | |
| postmodernen Spielereien des nostalgisch-unverbindlichen Neo-Noir ums Neo | |
| kürzt und wieder auf den Boden gegenwärtiger Street-Toughness bringt. | |
| Vielleicht handelt es sich auch um Noir für das Bankkrisenzeitalter nach | |
| 2008: Matt Cooks komplexes, aber präzise konstruiertes Drehbuch entstand | |
| 2010 noch unter den konkreten Eindrücken der größten Finanzkrise seit 1929. | |
| Wohl auch deshalb etabliert es mit einiger Konsequenz ein um Tuchfühlung | |
| mit der Realität bemühtes Noir-Szenario, in dem das Vertrauen in staatliche | |
| Organe gründlich erschüttert ist. Die einzige, noch irgendwie moralisch | |
| integre Figur – vom großen Woody Harrelson sehr wuchtig verkörpert – ist | |
| selbst ein ziemlich manischer, bis an die Grenze zum persönlichen Bankrott | |
| ausgebrannter Ermittler, der seinen Kollegen auf die Schliche kommt. | |
| Überhaupt ist „Triple 9“ tolles Schauspielkino. Neben Harrelson geben | |
| Chiwetel Ejiofor, Casey Affleck, Anthony Mackie und Aaron Paul unterm | |
| schwülen Klima schweißschimmernd schmutzige Polizisten am Rande des | |
| Nervenzusammenbruchs und übersetzen die von Atticus Ross’ wummerndem | |
| Soundtrack gestützte Anspannung des Films direkt in entsprechendes | |
| Körperspiel. Und Kate Winslet darf hier einmal nach Lust und Laune | |
| chargieren – sehr adäquat zum karikaturartig als Fremdkörper in diesem | |
| Erzähluniversum angelegten Charakter ihrer Rolle als Mafiapatin. | |
| Das ergibt im Ganzen vielleicht keinen völlig runden Film, aber einen rohen | |
| Großstadtthriller-Diamanten, der in Nicolas Karakatsanis’ Bildgestaltung | |
| schön schwarz funkeln darf: Immer wieder führt der Kameramann das Geschehen | |
| in unübersichtlichen Digitalimpressionen an den Rand zur Abstraktion, wenn | |
| er regelmäßig zur Schönheit der Schwärze des Anfangs zurückfindet, deren | |
| Background Primärfarbschlieren und -unken durchzucken, während der | |
| Schweißfilm auf den angespannten Gesichtern Tänze aufführt. | |
| 3 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Groh | |
| ## TAGS | |
| Film noir | |
| Bankraub | |
| DVD | |
| Romanverfilmung | |
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