| # taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Erkaufte Freundschaften | |
| > In den 80er Jahren wurde der türkische Medienmarkt privatisiert, die | |
| > Branche musste Profit machen. Das hatte auch Vorteile. | |
| Bild: Heute regiert die AKP: türkische Tageszeitungen nach der Parlamentswahl … | |
| Istanbul taz | Im Sommer 1980 druckte die Hürriyet eine Titelgeschichte | |
| über eine angeblich kommunistische Stadt am Schwarzen Meer. In der | |
| Kleinstadt Fatsa, so die Zeitung, wehe keine türkische Fahne mehr, | |
| stattdessen sei linke Anarchie ausgebrochen. | |
| Hürriyet legte ihren Lesern nahe: So geht es nicht weiter. Mit diesem | |
| Artikel startete der Militärputsch am 12. September 1980. Hürriyet, das | |
| heute von Staatspräsident Erdoğan so massiv bedrängte Flaggschiff des | |
| Dogan-Konzerns, war damals die Staatszeitung schlechthin. | |
| Die publizistische Opposition war kleiner. Eine davon war die linke, | |
| unabhängige Demokrat, zu der die taz nach ihrer Gründung 1979 als erste | |
| türkische Publikation Kontakt aufnahm. Der währte aber nur kurz, Demokrat | |
| wurde nach dem Putsch im September verboten. | |
| Der Putsch 1980 beendete für mehrere Jahre eine publizistische Freiheit, | |
| die erst durch eine vorangegangene Revolte zwanzig Jahre zuvor möglich | |
| geworden war. Die damaligen republikanischen Militärs, die gegen eine | |
| rechte Regierung aufbegehrt hatten, hinterließen die liberalste Verfassung, | |
| die die Türkei bis dato gehabt hatte. Nicht zuletzt darauf beruhte der | |
| Meinungspluralismus der 1970er Jahre. | |
| ## Die Zeit der Holdings | |
| Als Mitte der 80er mit Ministerpräsident Turgut Özal eine zivile Regierung | |
| die Macht übernahm, begann eine Revolution auf dem türkischen Medienmarkt, | |
| die die Situation bis heute prägt. Özal ebnete den Weg für private Fernseh- | |
| und Radiosender und kommerzialisierte die gesamte Branche. Auch der | |
| Printmarkt veränderte sich: Bis dahin gehörten die großen Zeitungen | |
| Verlegerfamilien, denen es um ihr Produkt ging. Jetzt ging es nur noch ums | |
| Geschäft. | |
| Mit Özal kam die Zeit der großen Holdings, die unter anderem auch Zeitungen | |
| und Fernsehsender im Portfolio hatten. Unternehmer wie die Uzan-Familie, | |
| der Konzern von Aydın Doğan und der Unternehmer Dinç Bilgin übernahmen die | |
| Medienlandschaft. | |
| Aydın Doğan hatte 1979 bereits die renommierte Milliyet gekauft, Hürriyet | |
| und andere Zeitungen kamen in den 90er Jahren dazu. Dinç Bilgin kaufte | |
| Sabah und gründete wie die Uzan-Familie noch einen Fernsehsender. Die | |
| Unternehmer erhofften sich von ihren Mediensparten nicht nur Geld, sondern | |
| auch positive Presse für ihre übrigen Firmen. Das bedeutete vor allem: | |
| Politikern schmeicheln, damit die Staatsaufträge und billige staatliche | |
| Kredite abwerfen. | |
| Eine positive Folge hatte das allerdings alles: Plötzlich waren im | |
| Fernsehen politische Diskussionsrunden zu sehen, die das Staatsfernsehen | |
| TRT nie gezeigt hätte. Da nach dem Tod von Özal in den 90er Jahren | |
| überwiegend schwache Regierungen übernahmen, gab es wenig staatliche | |
| Zensur. | |
| ## Gesellschaftliche Vielfalt | |
| Im Kampf um Einschaltquoten durfte plötzlich sogar offen über die kurdische | |
| Frage diskutiert werden. Erstmals zeigte das Fernsehen die | |
| gesellschaftliche Vielfalt. Die Grenzen des Journalismus setzten bis auf | |
| einige Tabus, wie den Genozid an den Armeniern, nicht mehr der Staat, | |
| sondern die ökonomischen Interessen der Unternehmer. | |
| Das war die Situation, als die AKP Ende 2002 an die Regierung kam. In den | |
| liberalen ersten Jahren ließ sie den Medien noch Freiheiten. Mit seiner | |
| Wiederwahl 2007 wähnte sich Tayyip Erdoğan stark genug, gegen die | |
| vermeintlichen kemalistischen Netzwerke, die ihn angeblich stürzen wollten, | |
| vorzugehen. Dazu gehörten auch Hürriyet und Sabah. | |
| Sabah stellte er gänzlich unter die Kontrolle eines befreundeten | |
| Geschäftsmanns, der Doğan-Holding hetzte er die Steuerfahndung auf den | |
| Hals. | |
| Heute ist Hürriyet aus Angst vor der AKP so sehr um Erdoğans Wohlgefallen | |
| bemüht, dass die Zeitung wie eine Regierungspostille auftritt. Wirklich | |
| kritische Presse ist kaum übriggeblieben. Rund 90 Prozent der Medien werden | |
| direkt oder indirekt vom Staat kontrolliert. | |
| 3 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
| ## TAGS | |
| Pressefreiheit in der Türkei | |
| Schwerpunkt Pressefreiheit | |
| Schwerpunkt Türkei | |
| Hürriyet | |
| Pressefreiheit in der Türkei | |
| Pressefreiheit in der Türkei | |
| Pressefreiheit in der Türkei | |
| Pressefreiheit in der Türkei | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Türkischer Journalist über Pressefreiheit: „Kein Richter wagt den Freispruc… | |
| Erdoğans Lieblingsfeind soll sechs Jahre in Haft: „Cumhuriyet“-Chef Can | |
| Dündar über sein Verhältnis zum Präsidenten und die Angst seiner Kollegen. | |
| Pressefreiheit in der Türkei: Schuld hat stets der Journalist | |
| Angesichts der Verbote und der Zensur bleibt die derzeit wichtigste Frage | |
| in der Türkei: Was verheimlicht die Regierung? | |
| Pressefreiheit in der Türkei: Der eingeschleuste Feind | |
| Das türkische Wort „Kayuum“ meint einen Treuhänder, der einen Betrieb | |
| übernimmt. In letzter Zeit erobern Kayuume auch die Medien. | |
| Pressefreiheit in der Türkei: Das Gespenst von Gezi | |
| Weil die großen Medien nicht frei berichten, sind die Online-Netzwerke zum | |
| Ort der Opposition geworden. Doch auch dort wird drangsaliert. |