# taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Unfreiwillig auf der Ersatzbank | |
> Der Autor war Leiter von Hürriyet Online, der reichweitenstärksten | |
> Nachrichtenseite des Landes. Jetzt ist er arbeitslos. | |
Bild: Es kommt immer noch schlimmer: Forensiker nach den Anschlägen in Ankara … | |
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„Es kann immer noch schlimmer kommen“ ist so ein Oma-Satz, der heftig nach | |
Mottenkugeln riecht. Das Tragische ist, er ist wahr. Erst recht in der | |
Türkei. Warum? Ich werde es ihnen erklären. | |
Für den 1. November 2015 hatte die Regierung Erdoğan Neuwahlen für das | |
türkische Parlament anberaumt. „Das lasse ich nun wirklich nicht gelten, | |
ich erwarte Euch erneut bei den Urnen“, sagte stur die Stimme aus dem | |
Palast. Was war geschehen? | |
Die AKP, die seit 2002 ununterbrochen mit absoluter Mehrheit regiert hatte, | |
war bei den Parlamentswahlen 45 Tage zuvor erstmals dieser Alleinherrschaft | |
beraubt worden. Ausgerechnet von der demokratisch-sozialistischen HDP. | |
Einer Partei, die für sich in Anspruch nimmt, auch die Anliegen der | |
kurdischen Minderheit zu repräsentieren. | |
Zum ersten Mal in der türkischen Geschichte war es einer pro-kurdischen | |
Partei gelungen, ins Parlament einzuziehen. Die Gezi-Proteste zuvor hatten | |
diesen Erfolg ermöglicht. Nun also Neuwahlen. Damals dachte ich, ich hätte | |
die schlimmste Phase meines persönlichen Lebens erreicht. | |
## Entlassung gefordert | |
Freitag, 9. Oktober. Drei Wochen vor der Wahl, die unbedingt wiederholt | |
werden sollte. Gegen Abend. Der Leiter des Unternehmens, für das ich damals | |
tätig war, sagte: „Mein lieber Bülent, deine Texte bereiten gewissen | |
Kreisen Unbehagen, wir müssen dich ein bisschen schonen. Ruh' dich doch bis | |
zum 1. November aus.“ | |
Offen gestanden, kam das nicht völlig unerwartet. Schon seit den | |
Gezi-Protesten vor drei Jahren hatten Mächtige mehrmals meine Entlassung | |
gefordert, einige auch öffentlich. Doch so sehr ich versucht hatte, | |
gewappnet zu sein, diese Sätze trafen mich doch. Im Vorfeld der Wahlen | |
nicht aktiv als Journalist tätig sein zu können, quälte mich. | |
Die Nacht war schwer, am nächsten Morgen fühlte ich mich besser. Mit meiner | |
Liebsten ging ich aus dem Haus. Kaffee trinken, immer wieder von Anrufern | |
unterbrochen, die mir wünschten, dass es hoffentlich bald überstanden sei, | |
und mir rieten, die Biennale zu besuchen. Das würde gut tun. | |
Wir saßen draußen auf einem Platz und tranken Kaffee, als eine SMS, die auf | |
meinem Telefondisplay erschien, meine eigenen Sorgen zu einem Staubkorn im | |
Universum schrumpfen ließ: „Selbstmordanschlag in Ankara: 100 Tote“, lass | |
ich da. | |
Mein eigener Kummer war vergessen. Wann würde die blutige Geschichte meines | |
Landes endlich vorüber sein? Je mehr Einzelheiten aus Ankara bekannt | |
wurden, desto wütender wurde ich. Dass ich als Journalist auf die | |
Ersatzbank verwiesen worden war, war mir in diesem Augenblick schnuppe. | |
Stattdessen dachte ich: Eine Zwangspause täte gut. Ein Kurzurlaub an der | |
Ägäis vielleicht. Weniger Arbeit, weniger Verantwortung. Mein Stress | |
verringerte sich, ich ging frohgemut zur Arbeit, um mich wenig politischen | |
Themen zu widmen. | |
Dann Ende November. Die AKP hatte sich quasi im zweiten Wahlgang erneut | |
durchgesetzt. Eines Abends, kurz vor dem Verlassen der Redaktion, rief mich | |
der Leiter, der mir schon zuvor geraten hatte, mich auszuruhen, erneut in | |
sein Büro. Der Kaffee schmeckte bitter: „Wir werden dich nicht länger | |
schonen können“, sagte er. | |
Ich ärgerte mich, erlaubte mir aber nicht, es mir allzu sehr zu Herzen zu | |
nehmen, und packte meine Sachen. Es befanden sich gar nicht viele | |
persönliche Dinge in der Redaktion, in der ich neunzehn Jahre lang | |
gearbeitet hatte. Dann mein Anruf bei der Liebsten: „Kümmerst du dich eine | |
Weile um mich?“ Bis auf die Anrufe mit dem Wunsch, ich möge es bald | |
überstanden haben, ging es mir gut. | |
## Ich musste los | |
Schon bald aber hielt ich es ohne Nachrichten nicht mehr aus, und ich ich | |
warf einen Blick auf das Getümmel auf Twitter. Ich las den Tweet ganz oben: | |
„Wir sind im Justizpalast. Can Dündar und Erdem Gül machen ihre Aussagen. | |
Wir sind nur eine Handvoll Leute.“ | |
Ich musste los. Die beiden waren wegen Spionage angeklagt, weil die | |
Cumhuriyet über angebliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts | |
an muslimische Extremisten in Syrien berichtete hatte. | |
Kein Weg war mir je im Leben so lang vorgekommen, der aufgrund des Regens | |
aufgestaute Verkehr nie so dicht wie an jenem Tag. Dann standen wir in der | |
siebten Etage eines Palastes, der den Satz aus einem anderen Palast – | |
Erdoğans Palast – als Befehl aufgefasst hatte, im üblichen Neonlicht der | |
türkischen Bürokratie. | |
Es war eine dieser Sitzungen, die in die Länge gezogen werden, um dem im | |
Voraus feststehenden Ergebnis den Anstrich von Rechtsstaatlichkeit zu | |
geben. Der Tumult im Saal, zu dem uns der Einlass verwehrt worden war, | |
verhieß nichts Gutes, Haftbefehle ergingen. | |
## Zähne zusammenbeißen | |
Man führte unsere Freunde – Can Dündar, den Chefredakteur der | |
linksliberalen Cumhuriyet, und Erdem Gül, dem Ankara-Korrespondenten des | |
Blattes – durch die Hintertür ab, damit wir sie nicht zu sehen bekamen. Uns | |
blieb nichts übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und murrend aus dem | |
Gebäude abzuziehen. | |
Wissen Sie, die Türkei ist kein Land, wie Sie es kennen. Sie gestattet | |
nicht, dass Sie sich über sich selbst grämen. Sie gibt Ihnen die Chance, | |
wenn „es immer noch schlimmer kommt“, Ihren eigenen Kummer am Kummer | |
anderer zu messen und sich dann selbst glücklich zu fühlen. Weil es Ihnen | |
im Vergleich zu anderen, immer noch besser geht. | |
2 May 2016 | |
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## AUTOREN | |
Bülent Mumay | |
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