# taz.de -- App „JustNotSorry“: Schluss mit der Unschuld | |
> Eine App soll Frauen abgewöhnen, sich im Berufsalltag ständig zu | |
> entschuldigen. Unsere Autorin hat ihr eigenes Postfach analysiert. | |
Bild: Sorry seems to be the hardest word? Nö, kommt leider ganz von selbst | |
Genau 499 Mal habe ich mich in den letzten 5 Jahren entschuldigt. 499 | |
„Sorrys“ findet mein Mailprogramm von 2010 bis heute. Etwa hundert pro | |
Jahr, zwei pro Woche. Das ist eine Minderheit meiner Mails, die Mehrheit | |
habe ich gelöscht. Aber mit dieser unbefriedigenden Datenbasis muss ich | |
leben, wenn ich nur annäherungsweise herausfinden will, ob ich mich zu viel | |
entschuldige. | |
„JustNotSorry“ heißt die App, die Frauen das Entschuldigen abgewöhnen sol… | |
Beim Treffen der „Liga der außergewöhnlichen Frauen“ – zu Deutsch: | |
erfolgreicher Geschäftsfrauen – habe Tami Reiss, die Erfinderin der App, | |
erfahren, dass sämtliche Anwesende den Eindruck hatten, sie entschuldigten | |
sich zu oft, relativierten zu viel und nutzten Wörter, die ihre Autorität | |
untergraben. Sie mussten immer einen extra Korrekturgang einlegen, um die | |
Relativierungen wieder zu tilgen. | |
Dabei hilft ihnen nun die App. „Just“ und „Sorry“, „Actually“ und �… | |
bis „I’m no expert“, alles wird rot unterstrichen, als hätte man einen | |
Rechtschreibfehler im Text. Dazu kann man einen kleinen Kommentar | |
aufklappen, der einen darüber aufklärt dass ein „Sorry“ das Gewicht des | |
Auftretens unterminiert und einen so aussehen lässt, als sei man für | |
Führungsaufgaben nicht geeignet. Uff. | |
Die App ist nur auf Englisch erhältlich. Und doch stößt sie auch | |
hierzulande auf Resonanz: Frauen, die nicht klar sagen, was sie wollen und | |
sich zu viel entschuldigen, das kennen wir doch irgendwie alle. Bin ich | |
auch eine von denen? Wäre mein Leben besser, wenn aus den zwei Sorrys pro | |
Woche eines würde – oder sogar keins mehr? | |
## Vorsicht, Sorry! | |
[1][Ein Beispiel, das der Spiegel-Ableger Bento per Screenshot | |
präsentiert]: „I am sorry, but your deadline is up and I just wanted to | |
know if you are ready?“ Da gibt es viel zu unterkringeln, das sieht man | |
sofort. Aber wer kommuniziert denn so? Wenn in meiner Zeitung der Text | |
einer Autorin oder eines Autors zu spät kommt, dann gibt es meist nur einen | |
Satz: „WO IST DEIN TEXT???!!!“ Oder „Hau rein, sonst kommt auf Deinen Pla… | |
ne Anzeige.“ Ist das Zeitungsleben so viel abgebrühter als die | |
Geschäftswelt der erfolgreichen Frauen? | |
Na gut, vielleicht war das Bento-Beispiel etwas stark konturiert. Es gibt | |
übrigens auch eine Gegenbewegung zu JustNotSorry. JustSorry, sozusagen. So | |
findet etwa [2][Harriet Minter vom Guardian, dass diese App uns der „Hölle | |
näherbringen“ wird]. Wie deprimierend wäre es, wenn Frauen nun genauso wie | |
arrogante Männer schreiben würden, meint sie. Und dass Frauen mit ihrer | |
Kommunikation auch viel erreichen – etwa das Gefühl eines stärkeren | |
Zusammenhaltes in der Firma, weil sie signalisieren, dass für sie auch | |
andere Perspektiven und andere Haltungen zählen. | |
Was sagt die Kommunikationsforschung? Beide haben recht. Es gibt ganze | |
Bibliotheken über weibliche Kommunikation, die beziehungsorientiert ist, | |
defensiv, konsensorientiert und Statusunterschiede tendenziell minimiert. | |
Die männliche ist demgegenüber direktiv, status- und hierarchieorientiert. | |
Frauen machen Vorschläge, Männer präsentieren Lösungen. Doing Gender. | |
Das Geschlecht wird über die Kommunikation hergestellt. Aber was macht man | |
aus diesen Erkenntnissen? Optimistisch betrachtet ist es quasi ein Problem | |
des interkulturellen Dialogs: Beide machen sich ihren jeweiligen | |
Hintergrund klar und „übersetzen“ sich ihre Sprachen. | |
## Die Sprache der Herrschaft | |
Nicht optimistisch betrachtet stehen Frauen in einer vollständig männlich | |
codierten Geschäftswelt und laufen mit ihrer weiblichen Kommunikation gegen | |
die Wand, weil sie in den Augen der Männerwelt ständig ihren Status | |
minimieren. „Die kann ja keiner ernst nehmen“, „keine | |
Führungspersönlichkeit“ etc. Daher das Bedürfnis der Geschäftsfrauen mit | |
Führungsverantwortung, die Sprache der Herrschaft zu übernehmen und | |
„Sorrys“ aus ihren E-Mails zu tilgen. | |
Allein am Wort „Sorry“ kann man diesen ganzen Komplex sicher nicht | |
abhandeln. Mit einem „Sorry“ kann man die größten Grausamkeiten verkünde… | |
„Sorry, aber Sie sind entlassen.“ | |
Wie sind denn nun meine Sorrys? Indikatoren für eine Selbstverkleinerung? | |
Ich mache Stichproben in den 499 Mails seit 2010. Und lande bei einem | |
Zwiespalt. Mit weitem Abstand vorne liegt das „Sorry“, wenn ich zu lange | |
nicht auf Mails reagiert habe. „Sorry, hier ist gerade viel los.“ „Sorry, | |
Ihre Mail ist mir durchgerutscht. – aus dem Mailfenster – aus dem Sinn“ | |
oder „Ich dachte, ich hätte Dir schon geantwortet“ und „Leider ist mir I… | |
Mail mit den Zahlungsdaten durchgerutscht“. Gern noch gesteigert durch | |
Erzählungen dessen, was mich gerade so beschäftigt hat. Dass es | |
„Abstimmungsprobleme“ gab. „Sorry, hier hat sich ein Jahresanfangsstau | |
gebildet.“ | |
Tja. Man kann sich natürlich bei Verspätungen auch die Entschuldigung | |
verkneifen, das würde sicher sehr selbstbewusst wirken. Aber tatsächlich | |
würde ich auch im Extra-Selbstbewusstseins-Modus keins der Sorrys | |
streichen. Diese Art von Selbstbewusstsein, die nicht wahrnehmen möchte, | |
dass sie einfach unhöflich war, die kann mir gestohlen bleiben. Ein | |
einfaches Sorry zeigt dieses Minimum an Einfühlen in das Gegenüber an, | |
nicht mehr und nicht weniger. | |
## Good sorry, bad sorry | |
Platz zwei meiner Sorrys belegen die Absagen: Ich kann den Text nicht | |
schreiben, die Veranstaltung nicht moderieren, den Termin nicht wahrnehmen: | |
kleingeschrieben wirkt es gleich noch hektischer: „ich bin jetzt in dieser | |
arbeitsgruppe, und die tagt dienstag, da muss ich aber auch noch den | |
schwerpunkttext fertig machen und habe nachmittags eine moderation in der | |
stiftung. noch einen text schaff ich da nicht, sorry.“ „ich bin erst | |
donnerstag wieder in der taz und kann mich dann erst drum kümmern … sorry.“ | |
„Die Woche vor dem 8. ist völlig zu. Sorry!“,“Hätte ich sehr gern gemac… | |
bin aber leider noch krank. Sorry, vielleicht klappt es nächstes Mal!“ Und | |
überhaupt: krank sein: „Es tut mir furchtbar leid, aber ich bin wohl erst | |
mal eine Weile ausgeknockt. Sorry!“ | |
Das sind sogar mir auf den ersten Blick zu viele Sorrys. Wenn man krank | |
ist, ist man krank. Wenn man keine Zeit hat, hat man keine Zeit. Aber wenn | |
ich mir die Sätze ohne Sorry vorstelle, werden sie mir fremd. Das Sorry | |
drückt immer mit aus, dass man dem anderen nun eine negative Mitteilung | |
macht und das auch weiß. | |
In den restlichen Sorrys versammelt sich alles Mögliche: „Ich habe | |
schlechte Nachrichten, die Rechtsschutzversicherung zahlt nicht, sorry.“ | |
Dann gibt es die echten Fehler: „Wir haben die Werbe-Klementine mal Persil | |
zugeordnet und nicht Ariel.“ Da war natürlich ein Sorry fällig. Oder meine | |
erste Interviewaufnahme mit dem neuen Handy: „Dear Mrs McRobbie, the worst | |
case has happened: The phone only recorded the first 5 minutes of the | |
interview. I am quite devastated. Do you see any opportunity to repeat the | |
interview?“ | |
Insgesamt betrachtet finde ich meine Sorrys ehrlich gesagt nicht besonders | |
problematisch. Sätze wie die von Bento zitierten, in denen Menschen ihre | |
eigenen Aussagen wieder relativieren, habe ich bei mir nicht gefunden. Und | |
das bloße „Sorry“ ist als Wort auch zu harmlos. „Entschuldigung“ dageg… | |
würde ja immer gleich eine „Schuld“ implizieren. „Sorry“ dagegen, diese | |
freundliche Mitschwingen mit dem Adressaten, das fällt mir jetzt erst so | |
richtig auf, ist eigentlich ein prima Wort. Man sollte es ruhig öfter | |
benutzen. | |
P. S. Bis dieser Text endlich entstand – zwei Monate nach dem Auftrag – | |
waren zwei schriftliche und mehrere mündliche Sorrys nötig. | |
10 May 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bento.de/gadgets/just-not-sorry-app-will-frauen-das-entschuldige… | |
[2] http://www.theguardian.com/women-in-leadership/2016/jan/14/the-just-not-sor… | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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