# taz.de -- Amerika-Hass in der Flüchtlingsdebatte: George ist schuld | |
> Fluchtursachen sind komplex. Doch Linke und Rechte suchen einfache | |
> Erklärungen im Antiamerikanismus. Das ist falsch. | |
Bild: Eignet sich nach wie vor als Feindbild: der frühere US-Präsident George… | |
„Im Publikum sitzen rechte Reichsbürger“, warnt die Veranstalterin einer | |
Lesung in Sachsen. Es geht um Flüchtlingspolitik und Kritik an der | |
Abschottung Europas. Doch der befürchtete Widerspruch seitens der | |
Reichsbürger bleibt aus. Hin und wieder nicken sie sogar. Erst am Ende | |
kommen sie zur Bühne. „Alles ganz richtig“, sagen sie, „nur die wirklich | |
Verantwortlichen – die hätten benannt werden müssen.“ | |
Im Anschluss übernehmen sie das gerne gleich selber. Die Szene wiederholt | |
sich, wenn man Podiumsdiskussionen zur Flüchtlingsfrage besucht. Meist sind | |
es ältere Herren, die sich zu Wort melden und zum Co-Referat ansetzen. Ihre | |
Beiträge ähneln sich. Egal, ob sie sich als links oder rechts verstehen: | |
„Die Verantwortlichen sind die USA und ihr globaler Krieg.“ | |
Die Vorstellung ist alt, aber heute beliebter denn je. Als im vergangenen | |
Sommer die Flüchtlingszahlen stiegen, waren für Oskar Lafontaine die | |
amerikanischen „Öl- und Gaskriege“ verantwortlich. Ebenso waren für Sahra | |
Wagenknecht die „Interventionskriege“ der USA der Grund für die | |
Flüchtlinge. Antiimperialistische Webseiten schrieben: „Hinter dem IS | |
verstecken sich die Nato-Staaten, insbesondere die USA.“ | |
## Flüchtlinge werden Objekte | |
Je länger die Flüchtlingskrise dauert und je offensichtlicher ihre | |
Komplexität wird, desto größer ist das Bedürfnis nach einfachen | |
Erklärungen. Exakt dort treffen sich die linke und rechte Gedankenwelt: | |
Flucht, egal ob vor Krieg, Verfolgung oder Armut, sei das Werk der USA. | |
Rechte halten Merkel für die Handlangerin des amerikanischen | |
Volkszerstörungsprojekts. Die Flüchtling seien demnach die ethnische Bombe, | |
die die deutsche Nation endgültig erledigen soll. Und viele Linke sehen das | |
Problem von Merkels Flüchtlingspolitik darin, dass sie die amerikanische | |
Hegemonie nicht in Frage stellt. | |
Einige Aktive aus Willkommensinitiativen sehen sich selbst als Opfer der | |
amerikanischen Aggression: gezwungen, sich im Ehrenamt aufzureiben, um die | |
schlimmsten Auswüchse der US-Kriege abzumildern. | |
Flüchtlinge werden so zu Objekten. In dieser Logik sind sie unfähig, selbst | |
zu entscheiden, ob sie sich gegen ihre Unterdrücker auflehnen oder ob sie | |
in der Migration nach einem besseren Leben suchen wollen. Das negiert die | |
Autonomie der Arabellion ebenso wie die der kurdischen Befreiungsbewegung. | |
Die Vorstellung, dass die Staaten des Nahen Ostens unter inneren | |
Widersprüchen leiden, die nicht erst die USA herbeibombten, hat keinen | |
Platz in dieser Gedankenwelt. | |
## Das Werk Washingtons | |
Dieses Denkmuster gab es zuletzt beim Libyenkrieg: Die | |
„Lampedusa“-Flüchtlinge seien Opfer des Nato-Bombardements. Die | |
jahrzehntelange Diktatur Gaddafis? Der Arabische Frühling? Der Bürgerkrieg? | |
Egal. Allein das letzte Glied in der Kette, die Nato-Bomben, galten als | |
Ursache. | |
Ähnlich ist es bei Syrien. Viele vergessen, dass Deutschland ewig den | |
Assad-Clan stützte. Ließ nicht auch Deutschland Syriens demokratische | |
Opposition und die Kurden im Stich? Was ist mit der unheilvollen Rolle der | |
Türkei, des Iran, Russlands und Saudi-Arabiens? | |
Amerika-Hassern ist das egal. Die humanitäre Katastrophe deuten sie als | |
Werk Washingtons. Unterstützen die USA Kurden beim Kampf um Kobane, ist das | |
ein Weltordnungskrieg. Tun sie dies nicht, führen sie diesen Konflikt eben | |
über heimlich aufgerüstete Stellvertreter aus. | |
Doch nicht die USA vertreiben Menschen nach Europa. Fluchtursachen sind | |
komplex. Viele überfordert es, das zu akzeptieren. Gedankenfaulheit, | |
Ressentiments und Selbstgefälligkeit bestimmen das Amerika-Bild rechts wie | |
links. Trumps Aufstieg wird dies verstärken. | |
6 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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