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# taz.de -- Bewegung „Nuit debout“ in Berlin: Ableger ohne Elan und Anlass
> Aus einer Demo gegen das Arbeitsgesetz ist in Frankreich die
> antikapitalistische Bewegung „Nuit debout“ entstanden. Weltweiter
> Aktionstag am 15. Mai.
Bild: Eher überschaubar: Ableger der französischen Protestbewegung auf dem Ma…
Es scheint um neue Formen der Demokratie zu gehen – irgendwie. Die Stimmung
bei den Treffen ist friedlich. Wohlwollend. Lahm. Das Mikrofon wird müde
herumgereicht. JedeR soll zu Wort kommen. Den Wörtern aber fehlt der
Schwung. Mit dem Protest in Frankreich hat das wenig zu tun.
Auf dem Mariannenplatz versuchen seit Anfang April junge Leute eine soziale
Bewegung à la französischer Protest in Gang zu bekommen. Doch vom Elan der
Bewegung Nuit debout, die seit Wochen in Paris für Unruhe sorgt und mit
Krawallen über das ganze Land schwappt, ist in Kreuzberg nichts zu spüren.
Warum nicht? In Berlin fehlt der konkrete Anlass. Schade.
Die Franzosen protestieren mal wieder radikaler. Sie können es einfach
besser. Um den landesweiten Protest ins Rollen zu bringen, haben sie diesen
einen parteipolitischen Anlass genutzt: das neue Arbeitsgesetz. Was in
Paris als Aktion gegen die Reform am 31. März begann, hat sich in rasantem
Tempo zu einer breiten Protestfront entwickelt. Jetzt geht’s ums Ganze: Die
Regierung soll nicht nur das Gesetz zurücknehmen, sondern die gesamte
politische Linie ändern. Es geht um Antikapitalismus.
Nacht für Nacht versammeln sich Tausende Menschen in Paris auf dem Platz
der Republik. Der Protest findet ohne Führung statt. Häufig schon wurden
Demos gewaltsam von der Polizei aufgelöst. Den Protestierenden geht es um
große Themen: soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Sexismus und
Rassismus. Themen, die sich auf Deutschland übertragen ließen und hier an
das extreme Misstrauen gegenüber etablierten Parteien anknüpfen könnten.
Aber weder der konkrete Anlass, sprich das französische Gesetz, noch die
französische Protestkultur lässt sich auf den Mariannenplatz kopieren.
## Kein Antikapitalismus
Zweimal die Woche finden die Treffen seit Beginn der französischen Proteste
auf dem Mariannenplatz statt. Die InitiatorInnen von Nuit debout Berlin
sind vorrangig Exilfranzösinnen und -franzosen. Auf den Treffen sind zudem
viele weitere Sprachen zu hören, wie Spanisch oder Italienisch. Um sich zu
verständigen, wird auf Englisch kommuniziert. Sie sind weniger wegen des
französischen Arbeitsgesetzes hier und mehr wegen der großen Themen.
Antikapitalismus geht vielen auf dem Platz aber dann doch zu weit. Was
wollen sie denn nun?
„Die politische Richtung der Gruppe in Berlin ist unklar. Ich hoffe, das
ändert sich“, sagt Marco. Der 24-jährige war schon oft bei den Treffen, er
möchte lieber anonym bleiben. „Was in Paris abgeht, ist super. Dort
entsteht ein neues Occupy. Aber das Ganze hier kann man keine Bewegung
nennen. Es ist eine Ansammlung von Menschen.“
Es werden Arbeitskreise gebildet. Einer davon heißt „Ideologien“; hier soll
es um Inhalte gehen. Ein anderer beschäftigt sich damit, wie mit der Presse
umgegangen wird. JedeR soll nur für sich selber sprechen. Nicht für die
Gruppe. Das Wörtchen „wir“ wird aus der Kommunikation gestrichen und durch
ein „ich“ ersetzt. Wie kann eine Bewegung entstehen, wenn das „Wir-Gefüh…
ausgeklammert wird? Die Gruppe fühlt sich an wie ein wirres Orchester: Die
Geige spielt Brahms, das Cello Mozart und am Ende fehlt die Komposition.
Der Mariannenplatz vor dem Künstlerhaus Bethanien in Kreuzberg: Ein
symbolträchtiger Ort. Das ehemalige Krankenhaus wird 1971 besetzt.
Georg-von-Rauch-Haus nennen die BesetzerInnen ihr neues Objekt. Ein Jahr
später findet eine große Razzia statt, die von der Band Ton Steine Scherben
besungen wird. „Der Mariannenplatz war blau, soviel Bullen waren da“,
lautet die erste Zeile des Rauch-Haus-Songs.
## Globaler Tag der Aktion am Sonntag, dem 15. Mai
Blaulicht-blau ist der Mariannenplatz am vergangenen Mittwoch allerdings
nicht mehr. Während der meisten Treffen steht ein einsamer Polizeiwagen am
Rand des Platzes. Der ist zwar blau, aber das Blaulicht ist aus. Bei
manchen der Treffen waren 100 Leute gekommen, bei einigen nur 30. Der
Bullenwagen zog dann nach ein, zwei Stunden wieder ab.
Ein Demonstrant fragt: „Warum sind wir hier? Um zu besprechen, was in Paris
passiert?“. Es scheint, als ob die Inhalte in nebulösen Wolken verdunsten.
Es ist einfach, Proteste lächerlich zu machen, die keine Struktur haben
(siehe Occupy). Auch in Paris sind die Themen schwer greifbar. Trotzdem hat
der Protest dort Schwung. Neben Studierenden und arbeitslosen jungen
Menschen geht auch der Mittelstand auf die Straßen. Das Problem der
Arbeitslosigkeit ist gravierend. Nuit debout hat das Zeug, Frankreich in
Aufruhr zu versetzen.
„Ich hoffe auf eine Politisierung der Gruppe hier in Berlin“, sagt Alex,
die anonym bleiben möchte. Das Wort „Gruppe“ nimmt sie allerdings nur sehr
ungern in den Mund. Sie möchte nur für sich sprechen. Da ist es wieder, das
wirre-Orchester-Gefühl.
Ein globales Nuit-debout-Treffen findet dieses Wochenende in Paris statt.
Zu einem globalen Tag der Aktion wird für nächsten Sonntag, den 15. Mai
aufgerufen. Denn auch in Spanien, Italien und Belgien gibt es Ableger der
französischen Bewegung.
Es bleibt spannend, ob der Protest in Paris, der momentan nach Feierabend
stattfindet, von den öffentlichen Plätzen in das Private und den Alltag der
Menschen getragen wird. Dem Protest auf dem Mariannenplatz fehlt jedoch
jegliche Spannung. Liebe Leute auf dem Platz, ihr habt euer Bestes gegeben!
Für eine Solidarisierung mit den DemonstrantInnen in Frankreich gibt es
kreativere Formen, als sich auf einen symbolträchtigen Platz zu setzen und
– zu warten. Der französische Protest lässt sich nicht kopieren.
Ein globales Treffen findet dieses Wochenende, am 7. und 8. Mai, in Paris
statt. Für Sonntag, den 15. Mai wird zu einem weltweiten Tag der Aktion
aufgerufen.
Eine interaktive Weltkarte mit Infos zu lokalen Treffen in aller Welt gibt
es unter: [1][nuitdebout.fr/#rassemblements]
7 May 2016
## LINKS
[1] https://nuitdebout.fr/#rassemblements
## AUTOREN
Sophie Schmalz
## TAGS
Nuit debout
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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