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# taz.de -- Album „The Diary“ von J Dilla: Der Flow-Fetischist
> Als Produzent wird J Dilla auch nach seinem Tod verehrt. Mit „The Diary“
> erscheint nun ein Werk, auf dem er selbst rappt.
Bild: Beim Bingo immer der erste: Haftbefehl
In den späten neunziger Jahren hatte der Detroiter J Dilla sich als
Produzent einen Namen gemacht. Nach frühem Szeneruhm mit seiner Crew Slum
Village produzierte Dilla im New Yorker Electric-Lady-Studio einige der
besten Neo-Soul-Alben, etwa für D’Angelo oder Erykah Badu. Seine Drums
hinkten jazzig, niemand schnitt Samples so spektakulär wie er. Zum Star
taugte er nicht. Dilla war ein schüchterner Nerd, der sein Leben im Studio
verbrachte.
Trotzdem nahm ihn die Plattenfirma MCA für ein Album unter Vertrag. Dilla
hatte die Idee, auf diesem Album nur zu rappen – über die Beats seiner
Lieblingsproduzenten wie Pete Rock, Hi-Tek oder Madlib. Monatelang
arbeitete er in seinem Detroiter Kellerstudio, das viele nur „das
Raumschiff“ nannten. Nach Fertigstellung wechselte die A&R-Managerin Wendy
Goldstein, die ihn unter Vertrag genommen hatte, zur Konkurrenz. Ihre
Projekte legte MCA auf Eis.
Dilla hatte ohnehin andere Sorgen: Bei ihm war eine erbliche Blutkrankheit
diagnostiziert worden, immer häufiger musste er zur Dialyse. Dann wurde
sein Kellerstudio überflutet. Er zog nach Los Angeles, in eine
Wohngemeinschaft mit dem Rapper Common. Seine neue Heimat wurde das
HipHop-Label Stones Throw. Zu dem damaligen Labelmanager Eothen Alapatt
entwickelte er eine enge Beziehung. Zehn Jahre nach Dillas Tod ist Alapatt
nun verantwortlich für die Veröffentlichung von „The Diary“.
Als Dilla am 10. Februar 2006 starb, soll er auf dem Sterbebett den letzten
Wunsch geäußert haben, dass „The Diary“ veröffentlicht wird. Aber er
hinterließ einen Berg unbezahlter Krankenhausrechnungen und ein Testament,
das seinen Buchhalter Artie Erck als Nachlassverwalter vorsah. Alapatt
wurde „Creative Director“ der Stiftung, die Dillas musikalisches Erbe
auswerten sollte. Es entbrannte aber ein Streit, da Erck laut Alapatt nur
seinen eigenen Gewinn im Sinn hatte. Sie zogen vor Gericht.
## Ein mehr als passabler Rapper
Alapatt gewann den Prozess, Erck musste seinen Posten räumen. Inzwischen
waren leider zwei lieblose posthume Dilla-Alben veröffentlicht worden und
die unfertigen Demos von „The Diary“ tauchten im Internet auf. „Aus
spirituellen Gründen“ wollte Alapatt das Album so veröffentlichen, wie
Dilla es vorgesehen hatte. Mit Hilfe von Dillas Lieblings-Toningenieur Dave
Cooley und einigen alten Wegbegleitern als Berater rekonstruierte Alapatt
eine Version, die nach eigener Einschätzung „zu 85, 90 Prozent“ das Werk
sei, das Dilla 2002 ursprünglich bei MCA veröffentlichen wollte.
„The Diary“ markiert einen Übergang zwischen Dillas Neo-Soul-Zeit und
seiner elektronischen Phase, die sich auf dem Album bereits mit dem
Gary-Numan-Sample in „Trucks“ andeutet. Dillas Spezialität war das
sogenannte Soulsampling, scheinbar schlampig gecuttete, aber extrem
stimmige Ausschnitte aus alten Soulsongs. Was wenige wissen: Dilla war auch
ein mehr als passabler Rapper, kein tiefsinniger Lyriker, sondern ein
Flow-Fetischist, der seine Silben elegant zwischen die synkopierten Drums
setzte.
Auf „The Diary“ ist er der sympathischer Angeber, es geht um Frauen und
Partys, um Diamanten und Felgen, aber auch um biografische Themen und
Polizeiwillkür. Dieses Album ist ein wichtiges Artefakt, nicht nur für
Dilla-Nerds und HipHop-Historiker. Auch wenn manches ein wenig aus der Mode
scheint, etwa die eine Hookline, die an R. Kellys Großraumdisco-Klassiker
„Fiesta“ angelehnt ist, so ist Dillas Erbe auch zehn Jahre nach seinem Tod
im Mainstream spürbar: In den Songs und Alben von Pharrell Williams und
Kanye West, von Kendrick Lamar und Kaytranada. „The Diary“ ist ein
wichtiger Baustein in der Aufarbeitung seines Schaffens.
21 Apr 2016
## AUTOREN
Stephan Szillus
## TAGS
Rap
Detroit
Haftbefehl
Musik
Berghain
London
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