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# taz.de -- Neues Album von Darkstar: „It’s a different kind of struggle no…
> Das Electronica-Duo Darkstar erzählt in „Foam Island“ von einem
> Großbritannien, in dem sich Erzählungen und Hoffnungen widersprechen.
Bild: It‘s teatime: Darkstar sitzen in einem Greasy Spoon.
Es ist selten, dass Künstler mehr über Politik reden als über ihre Musik.
Zumindest wenn sie sich nicht als Protestsänger sehen. Das britische
Electronica-Duo Darkstar gehört nicht dazu. Über Politik reden sie
trotzdem. „Der Aufstieg von Labourpolitiker Jeremy Corbyn hat vieles
geändert“, erzählt Keyboarder James Young in einem Kölner Café, bevor sie
etwas später erstmals Stücke aus ihrem dritten Album „Foam Island“
vorstellen. „Schaum ist für uns eine Metapher“, erklärt Keyboarder James
Young. „Er setzt sich aus kleinen Seifenblasen zusammen und jede davon
steht für eine Community in Großbritannien.“
Eine dieser Communitys ist Huddersfield, gelegen zwischen Manchester und
Leeds in West Yorkshire. Während der industriellen Revolution wurde die
Stadt von der Textilindustrie geprägt, in den Sechzigern folgte ihr
Niedergang und später der Versuch, sich mithilfe der Kreativindustrien neu
zu erfinden. Heute ist die Uni größter Arbeitgeber in Huddersfield, das
Einkommen liegt trotzdem zehn Prozent unter dem Landesdurchschnitt. Der
Niedergang ist schleichend, aber beständig.
„Es gibt in Nordengland eine Art von Stolz, aus der Region zu kommen,
obwohl es seit Jahren dort abwärts geht“, erzählt James Young. „Diesen
Stolz wollten wir beobachten und schildern.“ Darkstar hatten in
Huddersfield ihr zweites Album „News from Nowhere“ aufgenommen.
Mittlerweile wohnen sie wieder in London, kehrten zu Beginn dieses Jahres
aber nach Huddersfield zurück, um Menschen zwischen 18 und 22 über ihr
Leben zu befragen.
Empirie statt Abstraktion – damit stehen Darkstar in einer Tradition. Der
Sozialhistoriker E. P. Thompson schrieb sein Hauptwerk „The Making of the
English Working Class“ in Halifax, der Nachbarstadt von Huddersfield. Darin
argumentierte er, dass Klassenbewusstsein immer aus konkreten, historischen
Erfahrungen erwächst. „Foam Island“ nimmt solche Erfahrungen auf und zeigt,
wie sich die Gefühlsstruktur derjenigen, die sich früher als „working
class“ bezeichnet hätten, in den letzten drei Jahrzehnten geändert hat.
## „Möglichkeiten schwinden“
1984, auf dem Höhepunkt des Bergarbeiterstreiks, nahm das
Industrial-Projekt Test Dept. ein Album mit einem Bergarbeiterchor auf.
„Victory to the miners“, ruft ein Gewerkschaftsfunktionär auf einem Song,
bevor Test Dept. in Agit-Prop-Lärm über Tribal-Rhythmen ausbrechen.
Darkstar dagegen sprenkeln Synthesizer-Tupfer über ein Streicherbett und
legen ein Sample einer jungen Frau darüber. „It’s a different kind of
struggle now“, sagt sie und erklärt, wie schwer es für junge Menschen ist,
sich politisch Gehör zu verschaffen.
Viele Austeritätsmaßnahmen der Tories betreffen die unter 25-Jährigen: Die
Studiengebühren in Großbritannien haben sich verdreifacht, Schüler-Bafög
und Wohngeld gibt es für sie nicht mehr. Auf „Cuts“ sampeln Darkstar eine
Mitteilung von der Website der Stadtverwaltung von Huddersfield, die
erklärt, wie hoch die Einsparungen der nächsten Jahre sein werden:
umgerechnet fast 93 Millionen Euro, das Zwölffache des Bibliotheksbudgets.
„Im Vereinigten Königreich werden die Menschen bald herausfinden, was es
bedeutet, zehn Jahre lang von den Konservativen regiert zu werden“, sagt
James Young. „Viele Möglichkeiten schwinden. Das wollten wir artikulieren.“
All das wäre dröger sozialrealistischer Kitchen-Sink wie aus dem
Ken-Loach-Lehrbuch, wenn Darkstar sich nur damit zufrieden geben würden,
die Konsequenzen der politischen Alternativlosigkeit zu dokumentieren. Aber
das Duo dekonstruiert diese Gefühlsstruktur und arrangiert sie per Sampling
neu. Denn letztlich ist „Foam Island“ ein HipHop-Album, und das nicht nur
wegen der eiernden, nach J Dilla klingenden Grooves in manchen Songs. Wie
die besten HipHop-Künstler haben Darkstar es verstanden, dass man mit der
Beschreibung der Lebensrealität einer Gruppe zugleich deren kollektive
Wünsche ausmalt. „Die jungen Menschen sehen die Verbindung zwischen ihrem
Leben und der Politik nicht. Sie stehen all dem zwiespältig gegenüber“,
beschreibt James Young seine Interviewpartner.
## „Ich denke schon, dass es hier eine Zukunft gibt“
Diese Ambivalenz besteht darin, dass die Jugendlichen genau die Qualitäten
in den Vordergrund rücken, die von der britischen Politik seit Thatchers
Aufkündigung des sozialdemokratischen Konsenses am wenigsten belohnt
werden. „Loyalität und Liebenswürdigkeit, einfache Dinge halt“, beschreibt
eine junge Frau namens Tilly das Besondere ihrer Freundschaften. Ein
anderer sagt: „Ich denke schon, dass es hier eine Zukunft gibt. Wegen
meiner Familie und meinen Freunden.“ Darkstar verklären dies nicht als
Rückkehr zur ursprünglichen, „reinen“ Gemeinschaft, sondern imaginieren
sich eine diverse Community, die durch die multikulturelle britische
Pop-Geschichte zusammengehalten wird.
Die Subbässe der Soundsystems, die Neon-Synthesizer von Grime, die analoge
Elektronik der Hauntology-Musiker, der Blue Eyed Soul von ABC – all das
findet sich auf „Foam Island“, das im Konk-Studio von Ray Davies (The
Kinks) aufgenommen wurde. Auf „Pin Secure“ läuft ein HipHop-Beat mit einem
Streichersample, dem man seine Quelle als breitbeiniger
Trap-Orchester-Crescendo noch anhört und das hier mit dem monotonen Piepsen
eines Kassenscanners kontrastiert wird. „A call to arms won’t help you
now“, singt Aidan Whalley mit hoher Stimme dazu. Aber wenn der Ruf zu den
Waffen nicht mehr hilft, was dann? „Impulsive Entscheidungen nutzen
nichts“, erklärt Whalley mit Blick auf die Wahlerfolge der
rechtspopulistischen Ukip in der britischen Arbeiterklasse. „Viele Menschen
waren blöd genug, den Erzählungen bestimmter Parteien zu glauben.“
Darkstar erzählen von einem anderen Großbritannien: Ein Land, in dem sich
die Erzählungen widersprechen dürfen und keinen Abschluss finden müssen.
Aber in dem sie gemeinsam haben, dass sie dem UK der Gegenwart am liebsten
entfliehen würden.
13 Oct 2015
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
Musik
Dubstep
Rap
Popmusik
Tokio
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