# taz.de -- Kolumne Ich meld’ mich: The Sound of the City | |
> Jede Stadt hat ihren eigenen Ton. In Berlin sind es die rollenden Koffer | |
> und in Brünn ist es das Quietschen der Straßenbahnen. | |
Bild: In Brünn (Brno) dominieren quietschende Straßenbahnzüge den Straßenĺ… | |
Jede Stadt hat ihre Musik. Venedig wäre ohne das Gurren der Tauben nur ein | |
Haufen wasserziehender Altbauten, in Berlin begleitet einen das Rattern der | |
Rollkoffer ohrenfüllend durch alle angesagten Viertel, und in Brünn | |
quietschen die Straßenbahnen von früh bis spät. | |
Mit den Straßenbahnen hat es in der tschechischen Stadt eine besondere | |
Bewandtnis: Zwölf Linien gibt es, und die Waggons scheinen bunt | |
zusammengewürfelt zu sein: T3, Škoda Astra, KT8D5, Vario LF. Vorlaute | |
Stimmen behaupten, die Verkehrsgesellschaft kaufe ihr „Rollendes Material“ | |
aus ausgemusterten Beständen in ganz Europa zusammen. | |
Was sicher so nicht stimmt. Trotzdem haben manche Waggons Holz-, die | |
anderen Plastiksitze, ein Zug ist mit Werbung lackiert, der andere fährt | |
stolz in Weiß. Die wenigsten glänzen und prunken, den meisten ist der | |
neueste elektronische Schnickschnack fremd. Je nach Temperament zuckeln | |
oder gleiten oder schießen Fahrer und Fahrerin um die Kurven, einige halten | |
viel von zügigem Anfahren, andere wenig von sanftem Abbremsen. | |
Die Brünner Bürger haben ein ganz eigenes Verhältnis zu ihrer „Šalina“,… | |
Elektrischen. Sie lieben sie. Deshalb haben rund 20 der Züge Namen. Sie | |
heißen Lucinca, Helenka oder Katinka, die Patinnen sind gleichnamige | |
Mädchen zwischen 5 und 7 Jahren. Und auf dem Schild im Waggon steht dann: | |
„Im Jahr 2011 wurde diese Straßenbahn auf den Namen Boženka getauft.“ | |
So verjüngt, kreischen und rasseln und klingeln sie sich durch den Verkehr, | |
bringen die 400.000 Einwohner und ein paar wenige Touristen zuverlässig zur | |
Zetor-Traktorfabrik oder Richtung Villa Tugendhat, und wenn die „100“ | |
hinausruckelt zum Jüdischen Friedhof, ist es, als wäre man mit einem | |
verdienten Arbeitspferd unterwegs. | |
Der Soundtrack von Brünn ist keine große Oper und auch keine schmeichelnde | |
Symphonie, sondern ein schräger Folksong aus rhythmischem Rattern, | |
schmerzendem Kreischen und schrillem Läuten, und das von fünf Uhr morgens | |
bis abends um zehn. | |
30 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Franz Lerchenmüller | |
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