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# taz.de -- Kolumne Ich meld mich: Die Praxis der Achtsamkeit
> Mit allen Sinnen konzentriert: Herr Shimosato zieht seit 40 Jahren auf
> einer Meerrettichfarm konzentriert Furchen in den Kies. Und ich?
Bild: Keine Haltung, unachtsam!
Die Gärtner im Kenroku-en-Garten in Kanazawa bringen die Kiefern in Form.
Von festgebundenen Leitern aus turnen sie auf die entlegensten Äste, kappen
neue Triebe, sehen sich die Zweige genau an und zupfen einzelne Nadeln aus.
„Man darf dabei an nichts anderes denken“, sagt Herr Akenuki. „Mit allen
Sinnen muss man bei seiner Aufgabe sein.“
Herr Watanabe, Töpfer im Keramikdorf Tokoname, hat fünf Jahre lang
probiert, verworfen und immer wieder von Neuem angefangen, ehe es ihm
gelang, das historische Kairagi-Muster aus feinen, schwarzen Runzeln auf
schmutzig weißem Untergrund neu herzustellen – und weitere zehn, um das
Verfahren so zu verfeinern, dass die Schalen und Vasen bezahlbar wurden.
Herr Shimosato zieht seit 40 Jahren auf einer Meerrettichfarm mit seiner
Harke Furchen in den Kies und sorgt dafür, dass die Wasabi-Pflanzen dauernd
vom Wasser des Flusses umspült werden. „Wenn es irgendwo zum Stehen kommt,
bilden sich Algen. Und das vertragen die Wurzeln nicht. Deshalb muss ich
jede einzelne Pflanze im Blick behalten.“
Frau Itoh schließlich scheint für einen Moment über dem Stück Reispapier zu
schweben, ehe ihr Pinsel hinabstößt wie ein Falke, der seiner Sache sehr
sicher ist. Ein paar Sekunden tanzt er leichthin über das Blatt und
hinterlässt eine rot glänzende Spur aus kräftigen Balken und
ausdrucksvollen Schwüngen: In Sekunden wirft die Meisterkalligrafin das
Zeichen für „Weg“ auf das Papier.
Menschen, die sich auf das, was sie tun, in jedem Moment mit all ihren
Sinnen konzentrieren, trifft man allenthalben in Japan. Wäre es nicht ein
enormer Gewinn, schwärme ich meiner Frau beim Nachhausekommen vor, ein
Stück dieser japanischen Achtsamkeit in unseren europäischen Alltag zu
übertragen? „Eine tolle Idee“, stimmt sie mir zu. „Dann ist jetzt also f…
immer Schluss mit dieser „Tatort“-Guckerei, während du gleichzeitig einen
Roman liest, mit deinem Bruder telefonierst und Käsewürfel in dich
reinstopfst.“ Ist so eine Sache, mit diesen Lehren aus der Fremde.
19 Jan 2016
## AUTOREN
Franz Lerchenmüller
## TAGS
Reiseland Japan
Achtsamkeit
Fernseher
Straßenlärm
Bahn
Unter Schmerzen
Ratgeber
Mitte
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