# taz.de -- Antisemitismus in der Labour-Partei: Hitler ein Zionist? | |
> Mit bizarren Thesen bringt Ken Livingstone die linksgewendete britische | |
> Partei in Misskredit – kurz vor wichtigen Wahlen. | |
Bild: Ken Livingstone wurde von der Partei suspendiert. Er bleibt bei seiner Me… | |
LONDON taz |Jüdisches Leben in London 2016: Seit den Attentaten in Brüssel | |
und Paris herrscht ein Zustand des Daueralarms. Erst letzte Woche | |
schilderte eine Lehrerin, wie sie immer wieder in der jüdischen Grundschule | |
Übungen macht, um den Kleinen beizubringen, wie man bei Terrorangriffen | |
unterm Tisch zu sitzen hat. Kaum jemand glaubt, das die verstärkten | |
Polizeipatrouillen wirklich ein Attentat verhindern könnten. Antisemitische | |
Vorfälle nehmen seit Jahren zu. | |
In diesem Klima grub ein Tory-naher Blog ein knapp zwei Jahre altes | |
Statement von Naz Shah aus, der Labour-Abgeordneten für Bradford West, die | |
es für angebracht hielt, die Deportation aller Israelis in die USA zu | |
fordern. „Ich bin gegen Zionisten, nicht gegen Juden“, versicherte sie nun | |
zur Rechtfertigung. Am Mittwoch wurde sie von ihrer Partei suspendiert. | |
Da schaltete sich Ken Livingstone ein, Exponent des linken Labour-Flügels | |
und früher populärer Oberbürgermeister Londons. Die „Israellobby“ sei ihm | |
„eine Pein seit 1981“, und überhaupt „hat ja auch Hitler den Zionismus | |
unterstützt, bevor er verrückt wurde und Juden ermordete“, sagte er am | |
Donnerstag. | |
Die Antwort Labours kam zügig: Auch Livingstone wurde unter dem Vorwurf des | |
Antisemitismus suspendiert. Einer der Ersten, die das forderten, war der | |
Labour-Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl, Sadiq Khan. Der Muslim will | |
am 5. Mai das mächtigste politische Amt Londons für Labour zurückerobern, | |
gegen den Konservativen Zac Goldsmith, dessen Großvater jüdischer Immigrant | |
aus Deutschland war. Eine Antisemitismusdebatte ist das Letzte, was er da | |
brauchen kann. | |
„Alles, was ich gesagt habe, ist wahr“, beharrte Livingstone am Freitag, | |
als ihn Parteikollegen heftig kritisiert hatten – „ekelhaft, beleidigend | |
und krass“ fand Vizeparteichef Tom Watson seine Äußerung. | |
## Von Israel-Kritik zum Antisemitismus | |
Wie andere, die diesem Vorwurf ausgesetzt sind, sagt auch Livingstone, er | |
sei kein Antisemit – das seien nur Leute, die Juden allgemein hassen, | |
„nicht nur die in Israel“, dozierte er – sondern Antirassist. Auch | |
Parteichef Jeremy Corbyn bediente sich dieser Verteidigungslinie gern, | |
bevor er Parteichef wurde. | |
In der unkritischen Wahl der Assoziation und Verteidigung von militanten | |
Extremisten und Judenhassern haben Corbyn und andere Linke, auch Sadiq | |
Khan, in ihrer Vergangenheit Fehler gemacht. Immerhin hat Khan, wie | |
Livingstone, einst mit radikalen Islamisten auf der Rednerbühne gestanden, | |
als Anwalt militante Islamisten verteidigt und den Boykott Israels | |
gefordert. | |
Manche Linksaktivisten sehen Zionisten und Israel als hinter 9/11 oder dem | |
„Islamischen Staat“ (IS) stehend. Eine Labour-Politikerin postete kürzlich, | |
Juden hätten bekanntlich „große Nasen“; ein anderer Labour-Politiker | |
kritisierte, dass im Geschichtsunterricht so viel von Hitlers Mord an | |
„sechs Millionen Zionisten“ die Rede sei. | |
Jetzt muss die Labour-Führung durchgreifen, obwohl Corbyns Antipathie | |
gegenüber Israel kein Geheimnis ist. Als langjähriger Schirmherr der | |
Palästina-Solidaritätsbewegung in Großbritannien tut er sich damit | |
besonders schwer. Sein Vize Tom Watson spricht nun von der Notwendigkeit | |
neuer Maßnahmen und expliziter Regeln. | |
## Juden als Spielball | |
An der Basis der Partei herrscht zum Teil Entsetzen, wie bei Sarah Heyward, | |
Chefin der Labour-Bezirksregierung von Camden im Norden Londons. Manche | |
fragen sich aber, wieso diese Dinge gerade jetzt hochkommen, kurz vor den | |
Wahlen vom 5. Mai. Das lag doch schon in der Schublade, behauptet ein | |
Mitglied aus Wirral bei Liverpool. | |
Könnte es sein, dass man Corbyn und sein Umfeld jetzt absichtlich mit dem | |
Vorwurf des Antisemitismus schwächen wolle? So oder so würden Juden zum | |
Spielball. | |
Das Problem der Verschmelzung von Antizionismus und Antisemitismus betrifft | |
aber nicht nur Labour. Auch bei Grünen und Liberalen gibt es dazu | |
kompromisslose unbedachte oder absichtlich boshafte Stellungnahmen. Statt | |
sich spezifisch zu politischen Begebenheiten zu äußern, wird Kritik an | |
Israel verallgemeinert und mit bekannten antisemitischen Stereotypen | |
verbunden. | |
Aus dem ewigen Juden wird ein blutrünstiger Zionist, Israel ist an allem | |
schuld und man hat gegen dessen Existenz zu kämpfen. Das hört man nicht nur | |
von militanten Islamisten oder marginalen Linksradikalen, sondern auch in | |
den Führungsetagen etablierter Parteien. | |
2 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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