# taz.de -- Bürgermeisterwahl in London: Wahlkampf mit bizarren Tönen | |
> Am 1. Mai wählt London einen neuen Bürgermeister. Zur Wahl stehen zwei | |
> Exentriker, die sich in nichts nachstehen. Der Labour-Mann Ken Livingston | |
> und der Tory-Mann Boris Johnson. | |
Bild: Ist inzwischen auch manchmal gegen Streik: Labour-Mann Ken Livingstone. | |
DUBLIN taz In einem Punkt sind sie sich einig: London sei das finanzielle, | |
kreative, musikalische, sportliche und Zentrum des Planeten. Aber wer | |
geeignet sei, die Geschicke dieser Superstadt zu lenken, darum streiten Ken | |
Livingstone und Boris Johnson. Am 1. Mai entscheiden die Wähler, ob der | |
Labour-Mann Livingstone Bürgermeister bleibt oder ob sein | |
Tory-Herausforderer Johnson ihn stürzen kann. Laut jüngsten Umfragen vom | |
Wochenende liegt Livingstone noch knapp vorn. | |
Die Wahl ist ein bizarres Medienereignis, bei dem sich zwei | |
Persönlichkeiten ständig zu inszenieren versuchen. In Johnson, einem | |
43-jährigen Oberschichts-Sprössling mit strohblondem Pilzkopf, haben die | |
Konservativen zum ersten Mal einen Kandidaten gefunden, der es in punkto | |
Exzentrik mit Livingstone aufnehmen kann. Während einer Wahlkampagne | |
versprach Johnson: "Wenn ihr für die Konservativen stimmt, bekommen eure | |
Frauen größere Brüste, und eure Chancen steigen, irgendwann einen BMW M3 zu | |
fahren." | |
Er mache mehr Wendemanöver am Tag als ein Londoner Taxi, behauptete der | |
knapp 20 Jahre älterer Livingstone über seinen Gegner Johnson. Livingstone | |
ahnt, dass er seinen Bürgermeisterposten, den er auf Lebenszeit zu haben | |
glaubte, diesmal verlieren könnte. Vielen Londoner geht sein | |
selbstherrlicher Stil auf die Nerven. Mitunter zeigt er sogar | |
staatsmännische Anwandlungen, als er den Regierungschef von Venezuela, Hugo | |
Chavez, mit großem Brimborium in London empfing und mit ihm einen günstigen | |
Öl-Deal abschloss, der den Londonern billigere Bustickets bescheren soll. | |
Aber der Fernsehsender Channel 4 enthüllte vor zwei Wochen auch, dass | |
Livingstone seinen ehemaligen Genossen in der trotzkistischen Socialist | |
Action gutbezahlte Jobs im Rathaus zugeschanzt habe. Livingstone sagt von | |
sich selber voller Stolz, er sei nach dem Premierminister der mächtigste | |
Mann im Land, gemessen an der Größe seines Budgets und der Tatsache, dass | |
er nicht entlassen werden könne - außer von den Wählern. | |
Die sollten das schleunigst tun, findet Johnson. Er gibt Livingstone die | |
Schuld an allem, was in der britischen Hauptstadt faul ist: die 37 Morde | |
unter Jugendlichen in den vergangenen 15 Monaten; die langen | |
Ziehharmonikabusse, die "auf einen Flughafen in Skandinavien verbannt" | |
werden sollten; die unerschwinglichen Hauspreise; und die "idiotische | |
Staugebühr" von 25 Pfund, die Livingstone für die "Chelsea-Traktoren" | |
erheben will - jene allradangetriebenen Spritschlucker, benannt nach | |
Londons vornehmem Stadtteil Chelsea. | |
Livingstone war bereits 1981 Bürgermeister von Groß-London, ein ständiges | |
Ärgernis für die damalige Premierministerin Margaret Thatcher. Das | |
Boulevardblatt Sun erklärte ihn zum "abscheulichsten Menschen | |
Großbritanniens". Weil sie Livingstone auf demokratischem Weg nicht | |
loswerden konnte, schaffte Thatcher den Londoner Stadtrat 1986 kurzerhand | |
ab. Als Tony Blair ihn 2000 wieder einführte, galt Livingstone als sicherer | |
Labour-Kandidat. Doch der Parteivorstand manipulierte das Wahlsystem. | |
Livingstone stellte sich daraufhin selbst auf und gewann haushoch. Heute | |
ist Livingstone längst genauso "New Labour" wie Blair. Er beteiligt | |
Privatunternehmen an öffentlichen Projekten, er hat den Nahverkehr | |
modernisiert und sich gegen Streiks ausgesprochen, und er macht gerne tiefe | |
Diener vor der Queen. | |
Vor allem aber bemüht er sich um die Verbrechensbekämpfung: "Die Kürzungen | |
der Tories in den neunziger Jahren führten zu einer Verbrechenswelle, Morde | |
und Vergewaltigungen nahmen um 70 Prozent zu", sagt er. "Wir haben diese | |
Tendenz umgekehrt, indem wir 10.000 neue Polizisten einstellten." | |
Boris Johnson, der das Eliteinternat Eton besuchte und in Oxford studierte, | |
arbeitete als Journalist und war von 1999 bis 2005 Chefredakteur des | |
konservativen Nachrichtenmagazins Spectator.Nach seiner Wahl ins Unterhaus | |
2001 wurde er stellvertretender Parteichef, drei Jahre später aber | |
gefeuert, weil er eine Affäre mit seiner Spectator-Kollegin Petronella | |
Wyatt geleugnet hatte. An seine Spectator-Artikel möchte Johnson nur ungern | |
erinnert werden. Er hatte darin Muslime als "paranoid" und den Islam als | |
"mittelalterlich, herzlos und widerlich arrogant" bezeichnet. Islamphobie | |
sei die "natürliche Reaktion jedes nicht-muslimischen Lesers des Koran". | |
Riskante Aussagen, gehört doch ein Drittel aller Londoner einer ethnischen | |
Minderheit an, zehn Prozent sind Muslime. | |
Deshalb entdeckte Johnson nun einen muslimischen Verwandten. Sein | |
Urgroßvater Ali Kemal war der letzte Innenminister des Osmanischen Reiches | |
und ließ Kemal Atatürk verhaften. Dafür wurde er von Atatürks Anhängern | |
gelyncht. Sein Sohn Osman Ali - Johnsons Großvater - floh nach London, | |
erzählt der Bürgermeisterkandidat, als ob ihm aufgrund seiner Ahnen | |
Absolution für sein islamophobes Geschwätz erteilt werden könne. | |
29 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
## TAGS | |
London | |
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