# taz.de -- Alltagsgegenstand der Panama Papers: Liebeserklärung an einen Brie… | |
> Schwedische sind selten abschließbar, manche bringen Glück, andere sind | |
> einsam. taz-Autoren über Briefkästen. | |
Bild: Doch, klar gibt‘s hier eine Firma. Sie hat nur keinen Namen und keine K… | |
Vertrauen und Vielfalt | |
Da stehen sie. Oder genauer: Da hängen sie. In Reih und Glied zwar, aber | |
kaum einer gleicht dem anderen – wie eine Leibgarde, in der nur Clowns | |
dienen. Ich liebe es, in Schweden an diesen Ansammlungen von Briefkästen | |
vorbeizufahren: rot, blau, gelb, grün, weiß, mal mit Zeitungsrolle, mal | |
ohne. Manch einer groß wie ein Kaninchenstall, andere so klein, dass sein | |
Besitzer froh sein kann, dass kaum noch große Kataloge verschickt werden. | |
Mal ist der Name groß draufgepinselt, mal kaum lesbar in dieses Adressfeld | |
hinter durchsichtiges Plastik gequetscht, mal mit längst verblichenem | |
Filzstift einfach auf Metall oder Kunststoff gekritzelt. | |
Vollkommen unnormiert sehen die Reihen aus. Manchmal sind auch noch ein, | |
zwei, drei weitere Pflöcke daneben eingeschlagen. Noch mehr Briefkästen. | |
Irgendwo hinter dieser Abzweigung muss noch mal gebaut worden sein. | |
Doch das Interessanteste: Viele der Briefkästen sind nicht einmal | |
abschließbar, obwohl sie teilweise Hunderte Meter entfernt von ihren | |
Besitzern aufgestellt sind und jeder mal rechts ranfahren und sich bedienen | |
könnte. Sie sind ein Sinnbild für das Vertrauen in die Nachbarinnen und | |
Nachbarn. Und ein Sinnbild für die Entschleunigung: denn wenn solch ein | |
Kasten so weit weg steht, gehe ich da nicht täglich hin. Wenn das Wetter zu | |
gut ist, bleibe ich lieber auf meiner Terrasse. Und wenn das Wetter zu | |
schlecht ist, ach, jeder Brief kann immer mindestens noch einen Tag warten. | |
Oder vielleicht bringt mir ja mein Nachbar die Post vorbei. | |
[1][ JÜRN KRUSE ] | |
Die Absender sind ausgestorben | |
Mein Briefkasten ist einsam. Und womöglich auch ein bisschen depressiv. Die | |
Einzige, die ihn einmal täglich bewegt, bin ich. Notdürftig, könnte man | |
sagen. Gerade so sehr, dass er nicht gänzlich verkümmert und abfällt. | |
Schlüssel rein, Klappe auf, Klappe zu, Schlüssel raus. Das war’s. Denn es | |
ist nichts drin. Zumindest so gut wie nie. Außer vielleicht mal an meinem | |
Geburtstag. | |
Was sollte auch drin sein? Postkarten aus dem Urlaub schreibt fast niemand | |
mehr. Man schickt Nachrichten. Liebesbriefe bekomme ich nicht (was äußerst | |
bedauerlich ist). Rechnungen und auch alles andere, was man sonst so sagen | |
will, wird mittlerweile elektronisch verschickt. Zeitungen lese ich auf dem | |
iPad. Die Korrespondenz mit dem Finanzamt regelt meine Steuerberaterin. Und | |
zu allem Überfluss habe ich auch noch einen „Bitte keine Werbung“-Sticker | |
draufgeklebt. Die Absender sind ausgestorben. | |
Trotzdem gucke ich jeden Tag, wenn ich nach Hause komme, nach. Warum, weiß | |
ich selbst nicht so recht. Vielleicht um mich solidarisch zu zeigen mit dem | |
armen Ding? Oder aber, und das ist wahrscheinlicher, weil ich die Sehnsucht | |
meines Briefkastens, es möge eines Tages jemand schreiben, teile. Das | |
Warten gehört ja zum Briefkasten auch irgendwie dazu. Generationen von | |
Menschen standen bibbernd im Hausflur, um auf den Briefträger zu warten, | |
auf dass er ihnen eine gute oder schlechte Nachricht bringt. So weit muss | |
ich nun nicht gehen. Aber wer weiß, vielleicht finde ich ja doch irgendwann | |
einen Liebesbrief darin. | |
[2][ MARLENE HALSER ] | |
Kasten, Schlitz und retour | |
Aufgewachsen bin ich mit einem Briefkasten als Quell häuslicher | |
Disharmonie: Mein Vater bekam in ihn den CSU-Bayernkurier gesteckt, mein | |
ältester Bruder die DKP-UZ. Der Postbote hatte seinen Spaß, wir hatten das | |
Geschrei. | |
Als ich nach Berlin-Neukölln zog, vermisste ich schon deswegen auf den | |
ersten Blick nichts. Außerdem waren Briefe zuletzt entweder Absagen | |
gewesen, oder sie kamen vom Amt. Es war dann die Hausverwalterin, die | |
meinen Blick auf den Schlitz in der Wohnungstür ganz oben unterm Dach | |
lenkte: Da käme die Post direkt hinein, die Briefkästen seien immer | |
aufgebrochen worden – oder Schlimmeres. Was das gewesen war, wollte ich gar | |
nicht wissen. Wissen wollte ich allerdings, ob der Postbote wirklich | |
tendenziell jeden Tag zu mir hochkraxeln würde. Auf diese naive Frage bekam | |
ich natürlich nur ein hauptstädtisches Schulterzucken. | |
Die Post steckte von nun aber tatsächlich jeden Tag in der Tür – abgesehen | |
davon, dass sie natürlich manchmal geklaut wurde. Deswegen hätte ich | |
möglicherweise begründete Ängste entwickeln und die ein oder andere | |
faschistische Partei wählen können wie so einige Landsĺeute. Dazu war ich | |
aber wohl letztlich einfach zu glücklich: mit mir, mit meiner | |
Schlitzwohnung, in Neukölln. | |
Jetzt wohne ich woanders, habe einen schönen weißen Baumarktbriefkasten; | |
und warte mal ab, was – und ob überhaupt noch – meinem ältesten Sohn | |
demnächst so nach Hause geschickt werden wird. | |
[3][AMBROS WAIBEL] | |
Der Glücksgefühl-Provider | |
Der gute alte Hausbriefkasten! Neben Schallplattenspieler, Polaroidkamera | |
und Schnurtelefon das letzte Rudiment der Analogzeit, das dem nostalgischen | |
Studenten geblieben ist. | |
Egal, ob man auf das neue Semesterticket, den Liebesbrief seiner | |
Erasmusaffäre oder eine fette Stromrückzahlung wartet: Er ist ein | |
zuverlässiger Provider von atemlosen Glücksmomenten. Unvergleichlich, | |
dieser Adrenalinflash, wenn man noch vor dem ersten Kaffee aus unserer | |
Wohnung stürmt, 5 ½ Stockwerke runterrennt, um zu überprüfen ob das | |
ersehnte Schreiben schon da ist. | |
Der kleine, wunderschön verschnörkelte Schlüssel rein in das Cremeweiß des | |
Kastens – klick, die Tür öffnet sich, unzählige Werbebroschüren hageln | |
einem entgegen, uuund da! Der verdammte gelbe Zettel, der den | |
20-Minuten-Gang zur DHL-Station bedeutet. Selbst ein kleines Päckchen | |
sprengt nun mal die Kapazität dieses Minikästchens. Und der Postbote war | |
mal wieder zu faul, um das Paket hochzubringen. | |
Aber hey, auch das notorische Platzproblem des Briefkastens hat einen | |
gigantischen Mehrwert. Seit nämlich immer mehr Postfilialen zumachen und | |
dabei gleichzeitig die Paketflut immer stärker wird, gibt unser Postbote | |
die Päckchen bevorzugt beim kleinen Herrenfriseur nebenan oder drei Etagen | |
unter uns ab. | |
Der kleine Briefkasten ist somit der einzige Garant dafür, dass ich | |
überhaupt ein paar Mal im Jahr meine Nachbarn sehe. | |
MORGANE LLANQUE | |
6 Apr 2016 | |
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## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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Morgane Llanque | |
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