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# taz.de -- Terror in Brüssel: Ein Schlag gegen Europa
> Die Menschen stehen unter Schock. Auf Panik und Trauer folgen Fragen.
> Auch, ob die Behörden versagt haben. Der IS bekennt sich.
Bild: Patrouille vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel
Brüssel taz | Marie und Ana haben überlebt. Die beiden EU-Angestellten,
jeweils im Kommissionsgebäude und im Sitz des EU-Parlaments, gehören zu den
Tausenden von Menschen in Brüssel, die jeden Morgen im Berufsverkehr an der
U-Bahn-Station Maelbeek aussteigen, nur wenige hundert Meter von ihren
Arbeitsplätzen entfernt. Maelbeek war an diesem Dienstag kurz nach 9 Uhr
das Ziel des zweiten Terroranschlags in der belgischen Hauptstadt.
Am Dienstagabend teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass Fahnder bei
Hausdurchsuchungen in Brüssel eine Flagge der Terrormiliz IS, einen
Sprengsatz und chemische Substanzen gefunden haben. Am Nachmittag hatte
sich der „Islamische Staat“ (IS) nach Angaben einer ihr nahestehenden
Nachrichtenagentur zu den Anschlägen bekannt. Die Polizei fahndete am Abend
mit ersten Fotos nach Verdächtigen. [1][Auf Twitter] veröffentlichte sie
ein Fahndungsfoto, das einen Mann in weißer Jacke mit einem
Flughafengepäckwagen und einer schwarzen Tasche zeigt. Außerdem gibt es ein
Foto, das ihn und zwei weitere Männer am Flughafen zeigt.
Kurz vor 8 Uhr morgens hatten sich in der Abflughalle des internationalen
Flughafens Brüssel-Zaventem zwei Explosionen ereignet: mindestens ein
Selbstmordattenteäter sprengte sich in die Luft, so später die
Staatsanwaltschaft. Dann kam die Bombe in der U-Bahn bei Maelbeek. Nach
amtlichen Angaben vom Dienstagnachmittag haben die Anschläge insgesamt 28
Tote gefordert, 13 am Flughafen, 15 in der U-Bahn – und 90 Verletzte: 35 am
Flughafen, 55 in der U-Bahn.
Innerhalb weniger Stunden stürzte Brüssel erst in Panik, dann in Lethargie.
Augenzeugen am Fughafen berichten von Kolonnen angespannter, schockierter
Menschen auf dem Weg aus der eilig eingerichteten Sperrzone heraus, noch
ganz unter dem Eindruck des Todes und der Zerstörung in dem riesigen
modernen Flughafengebäude mit lauter zersplitterten Glasscheiben und
heruntergekrachter Deckenverkleidung. Sie erzählen von zerfetzten Körpern,
von Blut überall.
In Maelbeek liegen die Verletzten auf dem Bürgersteig der abgesperrten
Hauptverkersader „Rue de la Loi“ (Straße des Gesetzes). Feuerwehrleute und
Ersthelfer kümmern sich um sie. Augenzeugen auf der Straße berichten, dass
aus dem U-Bahnhof noch Schreie von Fahrgästen zu hören sind, die noch im
U-Bahn-Tunnel feststecken.
Es dauert nicht lange und Brüssel ist komplett lahmgelegt. Der öffentliche
Nahverkehr ist eingestellt: Busse, Straßenbahnen, U-Bahn. Eine halbe Stunde
später schließen die ersten Supermärkte, Einkaufszentren und Banken. An den
Bahnhöfen läuft nichts mehr, in ganz Belgien kommt es zu einem
Verkehrschaos. In anderen Städten wie Charleroi wird ebenfalls die U-Bahn
stillgelegt.
Die Nerven und die Geduld der Menschen sind auf eine harte Probe gestellt,
denn auch das Mobilfunknetz funktioniert lange nicht. Die Menschen wissen
nichts, sie können sich nicht darüber informieren, ob ihre Nächsten in
Sicherheit sind. Als das Netz wieder funktioniert, klingeln plötzlich
überall alle Handys auf einmal.
## „Wir haben keine Informationen“
„Was wir befürchteten, ist eingetreten“, sagt Premierminister Charles
Michel auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Innenminister Jan Jambon
und dem königlichen Generalstaatsanwalt Frédéric Van Leeuw. Sichtlich
bewegt veurteilt der Regierungschef die „blinden, gewalttätigen, feigen“
Anschläge und kündigt erste Maßnahmen an: 225 mehr Soldaten auf den
Straßen, verstärkte Grenzkontollen, Einstellung des öffentlichen
Nahverkehrs in ganz Brüssel und Schließung der Schulen.
Auf die Frage, ob die Anschläge etwas mit der Verhaftung des Verdächtigen
Nummer Eins der Pariser Anschläge vom 13. November 2015, Salah Abdeslam, im
Stadtteil Molenbeek am vergangenen Freitag zu tun haben, antwortet Charles
Michel: „Wir haben keine Informationen“. Aber die Brüsseler Medien betonen,
dass zwei Komplizen des in Brügge unter Hochsicherheitsbedingungen
inhaftierten Abdeslam noch immer auf freiem Fuß sind: Najam Lachraoui und
Mohamed Abrini.
Am Sonntag hatte Belgiens Außenminister Didier Reynders gewarnt, Abdeslams
Komplizen seien im Begriff, Anschläge vorzubereiten – darauf deute das
Auffinden schwerer Waffen in einem ihrer Verstecke vor einer Woche im
Stadtteil Foret hin.
Doch trotz dieser Warnungen wurde die Sicherheitsstufe in Belgien nicht
erhöht. Die Regierung erklärte lediglich, dass die schon seit Wochen
geltende Terrorwarnstufe drei bis April verlängert werde. „Alerte 4“, also
die höchste Warnstufe, wurde nicht ausgerufen.
Am Dienstag dominiert zunächst jedoch das Leid der Hinterbliebenen – und
die Erleichterung der Überlebenden. Und eine gewisse Resignation. Der
türkische Buchladen Gül im Stadtteil Schaerbeek hat weiter geöffnet, anders
als der Carrefour-Supermarkt nebenan. „Inschallah (So Gott will) wird hier
nichts passieren“, sagt ein marokkanischer Kunde. „Inschallah“, antwortet
die Buchhändlerin, fatalistisch. Beim arabischen Bäcker gegenüber herrscht
eher Empörung, als im Fernsehen gezeigt wird, wie am Flughafen Charleroi
die Mülleimer versiegelt werden, damit man keine Bombe hineinlegen kann.
„Man muss sowas doch machen, bevor die Bomben hochgehen“, sagt der Bäcker.
## Innenminister Jambon in der Kritik
Wenn die ersten Emotionen verflogen sind, dürfte es viele Fragen in Belgien
geben, wie diese Anschläge möglich waren. Innenminister Jambon, der
großspurig versprochen hatte, Molenbeek von Dschihadisten zu „säubern“,
dürfte im Zentrum der Kritik stehen.
Ganz offenbar wollten die Täter den größtmöglichen Schaden anrichten. Ihr
Ziel haben sie mit Bedacht ausgesucht: Der Flughafen ist ein Drehkreuz in
Europa, von dem auch auch Staats- und Regierungschefs, Minister und
EU-Beamte abfliegen und ankommen.
Auch die Metro-Station Molenbeek ist symbolträchtig: Sie liegt in der Rue
de la Loi, der größten Verkehrsader mitten im Brüsseler Europaviertel – in
Sichtweite der EU-Kommission und in der Nähe des Amtssitzes des belgischen
Premierministers. Die Terroristen wollten offenbar nicht nur Belgien
treffen, sondern auch die EU.
Die Europäer reagierten prompt: „Terroristen haben Brüssel getroffen, aber
es war Europa, das ins Visier genommen wurde“, sagte der französische
Staatspräsident François Hollande.
Die Anschläge zielten „auf das Herz Europas und richten sich in ihrer
verbrecherischen Heimtücke auf wehrlose Menschen“, so der deutsche
Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
## Kampf gegen den Terror
Besonders betroffen zeigte sich die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini:
Bei einer Pressekonferenz in Jordanien brach sie in Tränen aus. Emotional
reagierten auch einige Europaabgeordnete, die wegen der Attentate ihre
Sitzungen in Brüssel unterbrachen und eine entschiedene Reaktion der EU
forderten.
Bisher hat die Union im Kampf gegen den Terror versagt: Nach den ersten
Attentaten auf das Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar 2015 in Paris
wurden zwar viele Beschlüsse gefasst, doch die Umsetzung lässt immer noch
auf sich warten. Vor allem die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und
der Geheimdienste lässt immer noch zu wünschen übrig.
Nur Frankreich und Belgien haben ihre Kooperation spürbar verstärkt. Eine
gemeinsame Razzia hatte vor einer Woche zur Aufdeckung eines Waffenlagers
im Brüsseler Stadtteil Forest geführt. In dem Versteck fanden die Ermittler
auch Fingerabdrücke von Saleh Abdeslam, die schließlich zu seiner Festnahme
im Brüsseler Problemviertel Molenbeek führten.
Die große Frage ist nun, ob die Terroristen zum Netzwerk von Abdeslam
gehören - oder ob sich der „Islamische Staat“ für seine Festnahme rächen
wollte. Die belgischen Behörden wollten sie dazu zunächst nicht äußern. Sie
konzentrieren sich nun auf die Ermittlungen; bereits am Dienstag fanden
mehrere Razzien in Brüssel statt.
22 Mar 2016
## LINKS
[1] https://twitter.com/police_temoin/status/712322827744108544
## AUTOREN
François Misser
Eric Bonse
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