| # taz.de -- Betreuung von Flüchtlingen: Die guten Cops von Seeth | |
| > Anders als in anderen Bundesländern befindet sich in Schleswig-Holstein | |
| > eine Polizeiwache in Flüchtlingsunterkünften. Bringt das was? | |
| Bild: „Für die Flüchtlinge ist es hier ideal“, sagt Hauptkommissar Frank … | |
| Seeth taz | Schon kurz hinter dem Ortsausgangsschild ist es mit der Idylle | |
| vorbei. Wo sich zuvor in der nordfriesischen Ebene reetgedeckte Häuschen | |
| hinter Hecken versteckten, bohrt sich auf einmal Stacheldraht durch ein | |
| Waldstück. Drei Reihen mit rostigen Spitzen sind zwischen Holzpfählen über | |
| einem grünen Maschendrahtzaun gespannt. Etwas weiter die Straße hinunter | |
| erreicht man den Haupteingang zum Gelände der ehemaligen Stapelholmer | |
| Kaserne – heute eine Landesunterkunft für Flüchtlinge. | |
| Hinter dem massiven Tor stehen Security-Mitarbeiter in orangefarbenen | |
| Warnwesten an einer abgesenkten Schranke. Gleich daneben parken zwei | |
| Polizeiautos vor einem Haus, das einst das „Lazarettregiment II“ | |
| beherbergte. | |
| Die Polizei hat hier eine Wache eingerichtet, wie in allen großen | |
| Flüchtlingsunterkünften in Schleswig-Holstein. Die Polizei soll, so die | |
| Landesregierung, „sowohl zum Schutz der Flüchtlinge, aber auch der | |
| Bevölkerung“ da sein. Zunächst ist der Eindruck eher bedrückend: ein | |
| Hochsicherheitstrakt mitten in der Einöde. Von Willkommenskultur keine | |
| Spur. | |
| Und dann sitzt im ehemaligen Lazarettgebäude, in einem schmucklosen Raum | |
| mit zusammengestellten eckigen Tischen, Polizeihauptkommissar Frank | |
| Brüchmann und sagt: „Für die Flüchtlinge ist es hier ideal.“ Wie kann das | |
| sein? | |
| ## Glücksmomente in der Kleiderkammer | |
| Noch immer hat man die Bilder des Polizisten im Kopf, der unter dem Jubel | |
| des Mobs im sächsischen Clausnitz einen verängstigten Flüchtlingsjungen | |
| rabiat aus dem Bus zog. Und im Ohr klingt die mahnende Stimme von Andrea | |
| Dallek vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein nach, die bei einem | |
| Telefongespräch am Vortag von Geflüchteten sprach, die „mit der Polizei als | |
| verlängertem Arm der Verfolgungsbehörden extrem schlechte Erfahrungen | |
| gemacht“ haben. Auch die Wörter „Rassismus“ und „Retraumatisierung“ … | |
| dabei. | |
| Doch Hauptkommissar Brüchmann und seine neben ihm sitzende Kollegin Sandra | |
| Otte wollen sich so gar nicht in dieses Bild fügen. Brüchmann spricht von | |
| den Glücksmomenten in der Kleiderkammer, über die Freude der Beschenkten, | |
| etwa eines kleinen Jungen, dem er einen Buggy überreichte und der aus dem | |
| Strahlen nicht mehr herauskam. | |
| 16 Jahre arbeitete der 45-Jährige im Revierdienst in Husum. Am Neujahrstag | |
| 2009 wurde er bei der Überführung eines Festgenommenen von diesem | |
| attackiert und durch Schläge auf den Kopf so schwer verwundet, dass er das | |
| Bewusstsein verlor und anschließend an Gedächtnisverlust litt. Brüchmann | |
| wechselte in den Innendienst. Im vergangenen Herbst meldete er sich dann | |
| freiwillig für die Arbeit in Seeth. Eine Reise zurück in seine | |
| Vergangenheit; hier verbrachte er den Großteil seiner achtjährigen | |
| Bundeswehrzeit. | |
| ## „Ich interessiere mich für andere Kulturen“ | |
| Hauptkommissarin Otte war in den ersten Monaten nach Eröffnung der | |
| Unterkunft im Juli 2015 hier im Einsatz. Inzwischen arbeitet sie in einem | |
| Containerdorf im 40 Kilometer entfernten Eggebek; für das Gespräch ist sie | |
| nach Seeth zurückgekehrt. Ernst sieht sie aus mit ihren zurückgebundenen | |
| schwarzen Haaren, Typ Sahra Wagenknecht. Doch wenn sie über ihre Arbeit | |
| spricht, wirkt sie entspannt. Warum sie sich für den Dienst in | |
| Flüchtlingsunterkünften gemeldet habe? „Nach 17 Jahren Revierdienst habe | |
| ich mir eine 14-monatige Auszeit genommen, bin nach Bolivien gefahren und | |
| in 4.000 Metern Höhe durch die Anden geritten“, erzählt sie. „Ich | |
| interessiere mich für andere Kulturen.“ | |
| Wie zum Beweis schiebt Otte hinterher: „Meine Eggebeker Kollegen und ich | |
| lernen im zweiten Semester Arabisch.“ Otte und Brüchmann haben zudem ein | |
| einwöchiges interkulturelles Kompetenztraining absolviert. Ob der Einsatz | |
| der Polizei sinnvoll sei, hänge vor allem von den Polizisten selbst ab, | |
| hatte die Flüchtlingsratsmitarbeiterin Dallek gesagt. Manche hätten das | |
| Ziel, „den Frieden zu erhalten“, andere seien auch schon negativ | |
| aufgefallen. „Wenn einer nur Plattdeutsch spricht und der Meinung ist, die | |
| sollen Danke sagen und zufrieden sein, ist der Einsatz kontraproduktiv.“ | |
| Der Polizistin Otte ist das Bemühen um ein gutes Verhältnis zu den | |
| Flüchtlingen anzumerken: „Viele haben ein ganz anderes Bild von der | |
| Polizei, und auf einmal kommen wir, helfen beim Tragen oder nehmen Kinder | |
| auf den Arm“, sagt sie. Für sie habe sich in der Arbeit mit den | |
| Geflüchteten ein längst vergessenes Gefühl eingestellt: „Die Leute freuen | |
| sich, wenn wir zu ihnen kommen.“ Vielleicht sind sie, wie es später eine | |
| Mitarbeiterin des Roten Kreuzes sagen wird, tatsächlich die „good cops“. | |
| ## Wie auf dem Dorf | |
| Fünf Polizisten sind in Seeth Tag und Nacht im Einsatz. Sie schieben Dienst | |
| auf der Wache, auf die auch schon mal ein Flüchtling kommt, um einen | |
| Diebstahl anzuzeigen. Doch die Hauptaufgabe bestehe darin, erzählt | |
| Brüchmann, Präsenz zu zeigen. Also laufen sie Streife auf dem 42 Hektar | |
| großen Gelände. Trotz der entspannten Lage haben Brüchmann und Otte stets | |
| ihren Gürtel mit der kompletten Ausrüstung dabei: Pistole, Pfefferspray, | |
| Handschellen. Einige Kollegen haben das zuletzt sehr lax gesehen, sagt | |
| Brüchmann. Auch wenn er es nicht explizit sagt, wird deutlich: Es geht um | |
| Autorität. „Die Flüchtlinge müssen hier unsere Regeln akzeptieren.“ | |
| Die Streife führt Brüchmann entlang Straßen, auf denen auch Panzer Parade | |
| fahren könnten, vorbei an roten Ziegelsteinhäusern. Die Flüchtlinge sind in | |
| sieben lang gestreckten Zweigeschossern untergebracht. Die ehemaligen | |
| Stuben bieten den Geflüchteten die Privatsphäre, die notwendig ist, um | |
| Konflikte erst gar nicht entstehen zu lassen. Alle Bewohner haben ihren | |
| eigenen Schlüssel, sie begegnen sich auf den Straßen, der Sporthalle, im | |
| kleinen Supermarkt. „Wie auf einem Dorf“, sagt Brüchmann. | |
| Wie einen Dorfpolizisten kennen ihn auch alle – ein „Moin“ hier, ein | |
| Lächeln da. Als Brüchmann die Sporthalle betritt, streckt sich ihm eine | |
| kleine Hand auf Hüfthöhe entgegen. Ein Junge mit weit aufgerissenen Augen | |
| strahlt den Polizisten an. Etwa 70 Flüchtlinge spielen Volleyball und | |
| Federball, Sportsachen trägt fast keiner. Eine Gruppe Jugendlicher stemmt | |
| im Fitnessbereich Hanteln. In einer Ecke versucht ein Kollege Brüchmanns | |
| drei Jungs das Köpfen mit dem Ball beizubringen. | |
| ## Leere Container | |
| Zurück auf der Straße sagt ein afghanischer Flüchtling, der nur seinen | |
| Vornamen, Hamid, nennt, dass er die Präsenz der Polizisten hier schätze. | |
| Schon einmal habe er bei einer Auseinandersetzung im Haus über den | |
| Sicherheitsdienst die Polizisten gerufen. Die hätten das Problem sofort | |
| geklärt. | |
| Der Weg führt vorbei an Kindergarten, Teestube, Krankenstation, Speisesaal | |
| und Kleiderkammer zu einem kleinen Edeka-Markt, wo ein jugendlicher | |
| Flüchtling der Kassiererin hilft und Einkäufe verpackt. Gegenüber ist in | |
| einem Flachbau ein interkultureller Gebetsraum eingerichtet. Etwas abseits | |
| stehen die Container, die kaum mehr Platz bieten als für zwei | |
| Doppelstockbetten und zwei Spinde. Momentan sind sie leer. | |
| Für die derzeit rund 500 Flüchtlinge reicht der Platz in den Gebäuden. | |
| Notfalls könnten in Seeth bis zu 2.000 Menschen wohnen, etwa viermal so | |
| viele Menschen, wie im Dorf leben. Bei der Infoveranstaltung für die | |
| Anwohner im Oktober sei es zu „vereinzelten kritischen Fragen“ gekommen, | |
| erzählt Otte. Die Ängste vor Überforderung kann sie verstehen, doch bei | |
| pauschalen Ressentiments wird sie wütend. So hätte ein Anwohner gefragt, | |
| wie es zu verantworten sei, dass weibliche Polizisten eingesetzt würden. | |
| „Da ist mir fast der Kragen geplatzt“, sagt Otte. Sie habe geantwortet, | |
| dass sich in 17 Jahren Streifendienst nie jemand um sie gesorgt habe. | |
| ## Entspanntes Schleswig-Holstein | |
| Zu den Vorfällen in Clausnitz, sagt sie: „Dafür schäme ich mich als | |
| Bürgerin dieses Landes.“ Nicht jedoch als Polizistin. Die Behandlung der | |
| Geflüchteten durch die Polizei wollen weder Otte noch Brüchmann | |
| verurteilen. Sie seien nicht in deren Lage gewesen, sagen beide. | |
| Rassistische Vorfälle aus der Bevölkerung hat es in Seeth noch nicht | |
| gegeben. Ob das ihr Verdienst ist, wollen Otte und Brüchmann nicht | |
| eindeutig bejahen. Auch sie wissen, die Stimmung in Schleswig-Holstein ist | |
| nicht mit der in Sachsen zu vergleichen. Die Menschen sind entspannt – und | |
| hilfsbereit. Die Spendenbereitschaft sei seit dem Sommer nicht abgerissen. | |
| Im Büro des Deutschen Roten Kreuzes auf dem Kasernengelände sitzt Elvira | |
| Beneke, die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Roten | |
| Kreuzes. „Ich weiß nicht, wie es wäre, wenn die Polizei nicht da wäre“, | |
| sagt sie. Die Zusammenarbeit laufe bestens. „Die Flüchtlinge sehen, dass | |
| wir sehr kollegial miteinander umgehen.“ Sie versteht die Polizei als Teil | |
| des Versuchs, die Menschen hier, so gut es geht, zu integrieren. Ihre | |
| Mitarbeiter stellen die Polizisten schon beim Empfang der Flüchtlinge vor. | |
| „Wir sagen ihnen, hier ist die Polizei nicht gegen euch, sondern für euch | |
| da.“ | |
| Doch wie in jedem Dorf ist manchmal auch echte Polizeiarbeit gefragt. | |
| Nächtliche Ruhestörungen, Schlichtung von Streitereien. Zweimal sei es zu | |
| körperlichen Auseinandersetzungen gekommen zwischen einer Gruppe Afghanen | |
| und Iranern, erzählt Brüchmann, einmal bei der wöchentlichen | |
| Taschengeldausgabe. Die Gruppen wurden getrennt, ein Teil der Randalierer | |
| später in eine andere Unterkunft gebracht. „Seitdem stehen wir bei der | |
| Geldausgabe immer dabei“, meint Brüchmann. Von Problemen will er aber nicht | |
| sprechen. „Meine grauen Haare“, sagt er, „die kommen von der Zeit davor.�… | |
| 31 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
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