# taz.de -- Kunst vom Dorf: Wo das Wasser steigt | |
> Regionale Kunsthäuser präsentieren eher ungern regionale Künstler. Dass | |
> Spannendes aber auch in der Provinz entsteht, zeigt gerade die Kunsthalle | |
> Wilhelmshaven. | |
Bild: Hat die Ausstellung kuratiert: Wilhelmshavener Kunsthallenchefin Viola We… | |
HAMBURG taz | Susann Hartmann lebt auf dem Dorf, irgendwo unterhalb von | |
Bremen. Vermutlich gibt es dort keinen Buchladen, keine Galerie und wohl | |
auch keine noch so kleine Bühne für Theater oder Musik. All das aber hält | |
die Künstlerin nicht davon ab, genau dort ihren Lebensmittelpunkt zu haben: | |
auf dem Land. | |
Da ist es folgerichtig, wenn Hartmann mit ihrer Arbeit „Wassereinbruch Nr. | |
2“ in der Sammelausstellung „Zwei Meter unter Null“ vertreten ist. Diese | |
dient der Kunsthalle Wilhelmshaven gerade dazu, künstlerische Positionen | |
aus der sie umgebenden Region vorzustellen – Thema: „Klimawandel“. | |
Bei Hartmann geht es dazu an den Frühstückstisch. Für eine Person ist der | |
gedeckt, und die darauf ausgebreiteten Utensilien muten eher karg an: ein | |
Glas Marmelade, ein Ei, eine aufgerissene Packung „Salami 1A“, eine Scheibe | |
Toast. Doch etwas läuft schief: Aus dem Kaffeebecher läuft unentwegt Wasser | |
– und aus dem Toaster auch. Das Wasser Läuft über die Tischdecke, läuft und | |
läuft und will nicht versiegen. | |
Über dem Tisch hängt eine Pinnwand: ein ausgerissener Zeitungsausschnitt | |
mit erstaunlich billigen Wohnungsangeboten (falls man wegziehen will), ein | |
Schnipsel, welche Staubsaugerbeutel die richtigen sind (M40, natürlich). | |
Und ein gelber Post-it-Zettel: „Ulli anrufen!“ Wer ist Ulli? Und was wollen | |
wir ihr sagen (oder ihm)? Dass das Wasser steigt? | |
## Das Plätschern hört nicht auf | |
Denn es plätschert, und dieses Plätschern wird nicht aufhören: Es begleitet | |
den Zuschauer auf dem Rundgang durch die Halle, von Arbeit zu Arbeit. | |
Constantin Jaxy entwirft auf einer wandfüllenden Kohlearbeit die Utopie | |
einer Stadt auf Stelzen, Ilse Hellwig zeigt mit einer elegischen Näharbeit | |
neu gewonnenen Meeresboden auf, und Malerin Brigitte Schulten lässt Fische | |
knapp über dem Bordstein gründeln. Da gibt es Bilder zu sehen, die genauso | |
Korallenstrukturen wie Flusslandschaften abbilden könnten, gespeist aus | |
Google Earth und künstlerischer Fantasie; der Mensch aber lässt sich kaum | |
blicken. | |
Konzipiert und kuratiert hat die Ausstellung Viola Weigel, die Leiterin der | |
Kunsthalle Wilhelmshaven. „Ich komme aus dem Süden, aus dem Schwarzwald“, | |
sagt sie. Als sie in den Norden kam, „waren mir die topografischen | |
Begebenheiten der Gegend nicht vertraut; war mir nicht klar, unter welchen | |
extremen Bedingungen die Menschen hier leben und schon immer gelebt haben: | |
Die Küstenlinie ist ja schon immer in Gefahr“. Zugleich greift sie auf | |
einen ganzen Reigen von Ausstellungen zum Thema zurück, die in den | |
vergangenen Jahren zu sehen gewesen seien. | |
„Meist ging es bei diesen Ausstellungen in die Arktis oder Antarktis“, sagt | |
Weigel. „Man sah ständig abschmelzende Eisberge oder bedrohte Eisbären, der | |
Zugang zum Thema war immer sehr direkt, war sehr spektakulär ausgerichtet.“ | |
Weil sie diesen Weg nun gerade nicht beschreiten wollte, setzt die | |
Ausstellung nun auf vielschichtig Assoziatives; didaktisch aufgeladene und | |
politisch appellhafte Erklärungskunst fehlt glücklicherweise gänzlich. | |
## Plädoyer für regionale Kunst | |
„Zwei Meter unter Null“ ist aber nicht nur Bekenntnis zu einer | |
unaufgeregten Ausstellungspraxis, sondern auch ein Plädoyer: dafür, die | |
regionale Kunst ernst zu nehmen; so ernst wie die Kunst aus den großen | |
Städten mit ihren vielfältigen Austragungsorten. Nicht nur schreibt die | |
Wilhelmshavener Kunsthalle seit 2000 alle zwei Jahre den „Preis der | |
Nordwestkunst“ aus. | |
Chefin Viola Weigel tritt auch zwischendurch immer wieder an die örtlichen | |
Kunstschaffenden heran: 2009 mit der hauseigenen Ausstellung „Top Secret“, | |
2012 mit „Schaufenster der Region“ – und jetzt eben mit „Zwei Meter unt… | |
Null“, für die es mehr als 100 Einsendungen gab, von denen 40 ausgewählt | |
wurden. | |
Weigel, die an der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe gearbeitet hat und dann | |
länger für die für die Fondation Beyeler in Basel, gibt bereitwillig zu, | |
dass ihr Interesse an der Kunstproduktion im Nordwesten nicht von Anfang an | |
stabil war. Es sei nach und nach gewachsen, auch weil sie seit neun Jahren | |
in Wilhelmshaven lebt und nicht etwa pendelt. „Ein gutes Leben in einer | |
Region zehrt auch von den Künstlern, die dort leben“, sagt sie heute. | |
„Anders gesagt: Je mehr Künstler in einer Region leben, desto angenehmer | |
ist das Leben dort.“ | |
## Kontakte mit verwandten Häusern | |
Im kommenden Jahr will sie diese Arbeit fortsetzen und dabei den Kontakt | |
mit verwandten Häusern vertiefen: der Kunsthalle Bremerhaven, dem Museum | |
gegenstandsfreier Kunst in Otterndorf oder der Städtischen Galerie | |
Delmenhorst. Im Gespräch ist eine Art Best-of-Schau mit Stücken aus den | |
jeweiligen Sammlungen – ein Blick auf die nicht immer einfache | |
Sammlungsgeschichte solcher nicht zuletzt ja chronisch unterfinanzierten | |
Häuser. | |
Im kommenden Jahr? Es ist durchaus nicht ausgemacht, dass es für die | |
Kunsthalle ein nächstes Jahr überhaupt geben wird: Wilhelmshavens | |
Stadtobere möchten die finanzielle Förderung einstellen, nicht nur aus rein | |
monetären Erwägungen heraus, sondern auch weil sich nach ihrem Verständnis | |
das Programm der Kunsthalle zu sehr der Kunst verpflichtet fühlt – und zu | |
wenig einem besser zu vermarktenden Angebot für die Touristen, die am Hafen | |
flanieren. Lange dümpelte die Diskussion vor sich hin, Ende vergangenen | |
Jahres wurden Fakten geschaffen: Die Stadt hat den bisherigen Vertrag mit | |
dem „Verein der Kunstfreunde für Wilhelmshaven“ – dem Betreiber der Hall… | |
zum Ende des Jahres 2016 einseitig gekündigt. | |
Ab dem 1. Januar 2017 soll kein Geld mehr fließen. Bleibt es dabei, ist | |
auch die Kunsthalle selbst in Gefahr: ein modernistischer Bau aus Beton, | |
Stahl und Glas, der 1968 eigens für die Kunst geschaffen wurde, der selbst | |
Kunst ist und einem Kontrast bildet zu den klobigen und herrschaftsaffinen | |
Verwaltungsbauten der einstigen Marine- und damit Militärstadt. | |
## Kein Stifter in Sicht | |
Hinter den Kulissen und im Gespräch mit Ratsfraktionen und Stadtverwaltung | |
versucht der Träger-Freundeskreis derzeit zu retten, was zu retten ist. Auf | |
dem Tisch liegt etwa das Konzept einer Kulturstiftung, die künftig die | |
Finanzierung der Kunsthalle und anderer Wilhelmshavener Häuser übernehmen | |
soll. Jedoch – und das ist wenig überraschend für eine strukturschwache | |
Region – gibt es keinen Stifter, und in Sicht ist auch keiner. | |
Also soll die Stadt selbst erst mal dieser Stifter sein, mit der äußerst | |
vagen Idee, eines Tages könnte man für sogenannte Zustifter derart | |
attraktiv sein, dass sie sich langfristig zurückziehen kann. | |
Der Unterschied zur bisherigen Förderung wäre wesentlich: Prüft und billigt | |
derzeit der Freundeskreis autonom das jeweilige Ausstellungsprogramm, würde | |
das dann ein Stiftungsvorstand tun, begleitet von einem Stiftungskuratorium | |
– in dem sich auch genau die nun so sparfreudigen Kommunalpolitiker | |
wiederfänden. Der Grundkonflikt Kunst versus Touristisches würde sich also | |
auch in die konkrete Programmplanung verlagern – und verschärfen. | |
## Nur eines von drei Häusern | |
Dazu kommt, dass die Kunsthalle nur eines von drei Häusern wäre, über das | |
sich das Dach einer solchen Stiftung spannen könnte; dazu gehörte noch das | |
Wattenmeer-Besuchszentrum sowie das ortsansässige Küstenmuseum. Ersteres | |
ist ein sehr ordentliches, die Ökologie des Watts vermittelndes Haus, das | |
zum Nationalpark Wattenmeer gehört; letzteres schlingert als eine Art | |
verkapptes Stadtmuseum finanziell und konzeptionell angeschlagen hin und | |
her. | |
Seit September stellt es in seinen Räumen etwa Werke des Plakatkünstlers | |
Ernst Volland aus, dessen Kunstkonzeption auf der Homepage des Museums so | |
beschrieben wird: „Er verfremdete Fotos des kollektiven Gedächtnisses mit | |
politischen und gesellschaftlichen Themen durch Unschärfe und machte sie zu | |
visuellen Rätseln.“ Scharfgestellt, dürfte das Interesse an Volland weniger | |
seiner Plakatkunst als seiner Person geschuldet sein: Volland wurde in | |
Wilhelmshaven geboren und ging hier zur Schule – um die Stadt nach dem | |
Abitur sofort zu verlassen. Wie so viele junge Leute. | |
In Wilhelmshaven aufgewachsen ist auch Rainer Fetting, später einer der | |
„Jungen Wilden“ der Malerei. Ihm wollten die Stadtväter zwischenzeitlich | |
die Kunsthalle in die Hand drücken, aus ihr eine Art Rainer-Fetting-Museum | |
machen. Eine Idee, die sich rasch wieder zerschlug. Nun steht eine kleine | |
Fetting-Skulptur in der aktuellen Ausstellung: ein nackter Mann, Füße und | |
Beine grün angemalt, könnten Gummistiefel sein, wie man sie braucht – wenn | |
das Wasser steigt. | |
„Zwei Meter unter Null. Eine Kunstausstellung zum Klimawandel im Norden“: | |
bis 28. März, Kunsthalle Wilhelmshaven | |
15 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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